Wettbewerb um Standorte:Die Mode macht's

Shoppers on Orchard Road Ahead OF CPI Figures

Im Geschäft stöbern ist den Kunden nicht mehr so wichtig, sie kaufen mehr im Internet. Mit dieser Entwicklung hat H&M zu kämpfen.

(Foto: Nicky Loh/Bloomberg)

Textilketten investieren gern in 1a-Lagen, halten aber auch abseits der Metropolen nach guten Plätzen Ausschau. Das ist ein Hoffnungsschimmer für die Städte, denen der Bevölkerungsrückgang und der Online-Handel zu schaffen macht.

Von Stefan Weber

Vier Farben verdeutlichen das ganze Dilemma des stationären Einzelhandels in Deutschland. Um zu zeigen, auf was sich Ladenbetreiber im Zeitalter der Digitalisierung einstellen müssen, haben die Trendforscher des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) eine Landkarte der besonderen Art erstellt. In Rot haben sie alle jene Regionen in Deutschland gekennzeichnet, in denen die Geschäfte bis 2020 im Durchschnitt voraussichtlich 30 Prozent ihres aktuellen Umsatzes verlieren werden. Orange markiert Standorte mit einem möglichen Minus von 15 Prozent. Die gelben Flecken stehen für einen erwarteten Rückgang von mindestens acht Prozent. Und nur da, wo es grün leuchtet, werden die Ladenbetreiber digitaler Konkurrenz und Konjunkturdellen wohl einigermaßen trotzen können - mit einem Umsatzverlust von etwa drei Prozent.

Das Schlimme aus Sicht des stationären Handels ist: Die Karte ist übersät von roten und orangen Flächen. Nur hier und da, vornehmlich in Baden-Württemberg und Bayern, gibt es ein paar gelbe Tupfer. Und grüne Punkte finden sich allenfalls im Umfeld von Metropolen wie München, Hamburg, Berlin, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf oder Köln. Die Folge aus Sicht des IFH: In den nächsten fünf Jahren werden möglicherweise 45 000 Geschäfte, also nahezu jeder zehnte Standort, schließen. Die größten Einbrüche erwarten die Handelsforscher in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen. Der Einzelhandel in vielen Regionen dieser Bundesländer hat es besonders schwer, weil dort immer weniger Menschen leben. "Der erwartete Bevölkerungsrückgang verstärkt Versorgungslücken, die dann durch den Onlinehandel aufgefangen werden", erklärt Boris Hedde, Geschäftsführer des IFH. Mit ihrem düsteren Szenario sind die Kölner Forscher nicht allein. Auch der HDE Handelsverband Deutschland hält es für möglich, dass bis 2020 etwa 50 000 Ladenlokale verschwinden werden - weil ihnen die Kunden ausgehen oder weil die Geschäftsinhaber keinen Nachfolger finden.

Gibt es kein Entrinnen aus diesem Teufelskreis? Olaf Roik, Chefvolkswirt beim Handelsverband Deutschland (HDE), weiß eine Lösung: "Die Städte können diese Entwicklung beeinflussen, indem sie mehr in ihre Infrastruktur und ihr Angebot investieren." In Sauberkeit und Sicherheit beispielsweise. Oder einen besseren Mix aus Gastronomie, Kultur, Ambiente und Freizeitangeboten. Noch, so betont auch IFH-Forscher Hedde, könnten die Kommunen den Wandel aktiv gestalten.

Hoffnung für viele Städte macht, dass große Handelsketten, insbesondere aus der Modebranche, inzwischen verstärkt auch abseits der Metropolen nach neuen Standorten Ausschau halten. Vor allem kleinere Großstädte mit 100 000 bis 250 000 Einwohnern rücken dabei nach einer Umfrage des Immobiliendienstleisters JLL unter mehr als 400 Expansionsleitern aus dem Bekleidungshandel in den Fokus. Mehr als jedes zweite der befragten Unternehmen plane dort in den nächsten zwölf Monaten neue Filialen. Das setzt einen Trend fort. Bereits in den vergangenen fünf Jahren ist der Anteil der Städte dieser Größenordnung am gesamten innerstädtischen Vermietungsvolumen von 19 Prozent auf 22 Prozent gestiegen.

Internationale Labels drängen nach Deutschland, angelockt von der hohen Kaufkraft

Ein Grund dafür ist, dass in den Top-Lagen der Metropolen gut geschnittene Ladenlokale kaum noch zu haben sind. Wird einmal eine Fläche frei, interessieren sich dafür vor allem Anbieter aus der Modebranche. Mehr als 40 Prozent der Neuvermietungen, die der weltweit größte Immobiliendienstleister CBRE im vergangenen Jahr an Eins-a-Standorten vermittelte, gingen an Bekleidungshändler. Einschließlich der Ladenflächen, die Anbieter von Schuhen und Lederwaren mieteten, betrug der Anteil sogar 53 Prozent. Getrieben wird diese Entwicklung insbesondere von der starken Nachfrage internationaler Modelabels. Sie drängen - angezogen von der hohen Kaufkraft in Deutschland - in die Einkaufsstraßen und mieten sich in Shoppingcenter ein. Zwei Drittel der Ladenlokale mit mehr als 1000 Quadratmetern, die JLL im ersten Halbjahr 2015 vermietete, gingen an internationale Konzepte. Das treibt die Mieten. JLL notierte im ersten Halbjahr in München Höchstmieten von 360 Euro pro Quadratmeter. In Berlin waren es 320 Euro, in Frankfurt 310 Euro. Es folgten Düsseldorf (290 Euro), Hamburg (280 Euro), Köln (255 Euro) und Stuttgart (250 Euro). Und die Klettertour wird nach Einschätzung von Beobachtern weitergehen - wenn auch mit gebremstem Tempo. Diese Preise sind für manche Modeanbieter bezahlbar, weil sie teilweise erheblich höhere Margen erwirtschaften als Händler anderer Branchen.

Aber warum setzen Verkäufer von Bekleidung in Zeiten der Digitalisierung so stark auf den Vertriebskanal Ladengeschäft? Wo doch die Verbraucher nach Einschätzung von Experten gerade Mode künftig immer häufiger online ordern werden? So schätzen die Marktforscher der Nürnberger GfK, dass in zehn Jahren jeder dritte Euro im Bekleidungshandel im Internetgeschäft erwirtschaftet wird. Die Umfrage des Immobiliendienstleisters JLL unter Expansionsleitern des Modehandels kommt dagegen zu anderen Erkenntnissen: "Trotz der Zunahme des Onlinegeschäfts erwartet nur eine Minderheit der befragten Modeunternehmen, dass der stationäre Handel mittelfristig an Bedeutung verlieren wird. Im Gegenteil rechnen mehr als 90 Prozent der Befragten damit, dass Ladenflächen in den nächsten fünf Jahren eine gleich hohe oder gar steigende Bedeutung haben", sagt Dirk Wichner, der bei JLL für die Vermietung von Handelsflächen zuständig ist. Entsprechend wollten die Modeanbieter ihre Präsenz in den Spitzenlagen der Innenstädte ausbauen.

In vielen Fällen heißt die Frage jedoch nicht: online oder offline? Vielmehr vermischen sich beide Vertriebskanäle immer stärker. Stationäre Händler setzen ihre Waren immer öfter auch über einen eigenen Webshop ab. Und mancher Online-Händler stellt fest, dass es von Vorteil sein kann, an ausgesuchten Standorten mit einem Laden oder einem Showroom Flagge zu zeigen. Auch das erklärt, warum die Nachfrage nach guten Ladenflächen vielerorts nicht sinken wird. Selbst in den Regionen, die auf der Deutschlandkarte der IFH-Forscher gelb oder orange gefärbt sind.

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