Werkswohnungen:Beim Arbeitgeber einziehen

Durchweg in der Gartenstadt Margarethenhöhe in Essen, 1982

Die Essener Margarethenhöhe, benannt nach der Stifterin Margarethe Krupp, diente als Wohnsiedlung für Angestellte des Unternehmens, aber auch für Beamte der Stadt.

(Foto: Brigitte Hellgoth)

Dort, wo die deutsche Wirtschaft brummt, ist Wohnraum Mangelware. Unternehmen, die Fachkräfte suchen, locken deshalb bei Jobangeboten auch mit Mietverträgen.

Von Lars Klaaßen

Heute fehlen mehr als 800 000 Wohnungen in Deutschland", sagt Arnt von Bodelschwingh, Geschäftsführer des Berliner Instituts Regio-Kontext, das zu den Themen Stadtentwicklung, Wohnungsmärkte und Wirtschaftsförderung forscht. "Davon sollten mindestens 60 000 neue Wohnungen für Haushalte mit mittleren Einkommen und 80 000 Wohnungen für Haushalte mit unteren Einkommen - also Sozialmietwohnungen - jährlich erstellt werden."

Bodelschwingh hat im April die Studie "Wirtschaft macht Wohnen" erstellt. Sie befasst sich mit einem Modell, das Teil der Lösung werden könnte: bezahlbare Wohnungen, die Unternehmen ihren Mitarbeitern bereitstellen. Wer nun an Werkswohnungen denkt, von denen es laut Schätzungen noch Ende der 1970er-Jahre 450 000 gegeben hat, liegt nicht ganz falsch. Was zwischenzeitlich als überholtes Modell abgetan wurde, kommt wieder. Unternehmen kümmern sich zunehmend um Wohnungen für ihre Mitarbeiter, allerdings auf neuen Wegen.

Die Renaissance der Mitarbeiter-Wohnungen findet dort statt, wo die deutsche Wirtschaft brummt. Gerade in urbanen Ballungsräumen, in denen Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter suchen, wird Wohnraum knapp und damit teuer. Der Fachkräftemangel macht erfinderisch. Es sind nicht nur große Konzerne, die mit verschiedenen Instrumenten im Wohnungsmarkt agieren. Auch die Bäckerei Märkisches Landbrot mit Sitz in Berlin-Neukölln ist mit von der Partie. Das Unternehmen hat 49 feste Mitarbeiter (auch welche in Teilzeit), davon fünf Bäckermeister und zwei Auszubildende. Joachim Weckmann, einer der beiden Geschäftsführer, hat mit zwei weiteren Personen ein Wohnhaus gekauft, einen Altbau, in dem bereits Mieter leben. "Mit der Eigentümergesellschaft habe ich vereinbart, dass mindestens ein Drittel der Wohnungsfläche, also mein Anteil, Mitarbeitern von Märkisches Landbrot zum Wohnen angeboten wird", sagt Weckmann und betont: "Bestandsmieter werden dafür nicht gekündigt. Das soll schrittweise mit der natürlichen Fluktuation der Mieter erfolgen."

Früher hatten die Arbeitgeber so ein Druckmittel - wer kündigte, verlor zugleich seine Unterkunft

Die Bäckerei vermietet die Wohnungen ohne Aufschlag an ihre Mitarbeiter weiter, also für sechs bis 6,50 Euro pro Quadratmeter. Die Rendite liegt laut Weckmann bei drei Prozent: "Ein schöner Lohn sind auch motivierte Mitarbeiter, die mit Überzeugung hinter ihrem Arbeitgeber stehen."

Wie motivierend solch ein Angebot wirken kann, verdeutlicht die Entwicklung im direkten Umfeld: Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat auf Basis von Daten des Portals Immo-Scout errechnet, dass die Quadratmeterpreise in Neukölln bei Neuvermietungen zwischen 2010 und 2014 um 58 Prozent gestiegen sind - so stark wie in keiner anderen deutschen Großstadt. Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Märkisches Landbrot können Mitarbeiter ihre Wohnung behalten. Damit unterscheidet sich das Angebot der Neuköllner Bäckerei von anderen aktuellen Modellen ebenso wie vom historischen Vorgänger, der Werkswohnung. "Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten Häuser von Industriekonzernen - vor allem im Ruhrgebiet - gebaut wurden, bestand eine Bindung der Werkswohnung an den Arbeitsplatz", sagt Bernd Fuhrmann. Der Historiker an der Universität Siegen befasst sich mit der Geschichte des Wohnens. "Damit hatten die Arbeitgeber bei Auseinandersetzungen ein starkes Druckmittel in der Hand, Kündigung bedeutete zugleich Wohnungsverlust."

Wie auch die heutigen Mitarbeiterwohnungen waren schon Werkswohnungen das Produkt einer Mangelsituation. Damals wurden für die ersten großen Fabriken dringend Mitarbeiter gesucht - und zwar viele. Der lokale Wohnungsmarkt und die kommunale Wohnungswirtschaft waren nicht in der Lage, für die stark wachsende Bevölkerung ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. "Wie heute wurden vor allem qualifizierte Fachkräfte mit bezahlbarem Wohnraum angesprochen", sagt Fuhrmann, "erst später rückten dann auch Meister und Vorarbeiter in den Fokus."

Bis weit ins 20. Jahrhundert blieb Wohnraum knapp und teuer. Erst in den 1970er-Jahren entspannte sich der Markt deutlich. Die Anzahl der Mitarbeiter in großen Konzernen nahm zudem ab. "Zeitgleich wurden die Wohnimmobilien der Unternehmen zu einem erheblichen Kostenfaktor", erläutert Fuhrmann. "Die Häuser waren weiten Teils in die Jahre gekommen, statt Sanierung erschien der Verkauf attraktiver." Die städtebauliche Qualität einiger Siedlungen ist zum Glück wieder entdeckt worden, einige wurden unter Denkmalschutz gestellt. Viele Städte erließen Erhaltungssatzungen. Auch heute sind viele der ehemaligen Werkswohnungen bei Mietern begehrt.

Stellt der Chef eine günstige Wohnung, muss der geldwerte Vorteil versteuert werden

Unternehmen, die heute Wohnungen für ihre Mitarbeiter bereitstellen, bauen keine Siedlungen mehr im großen Stil. Bodelschwingh unterscheidet in seiner Studie drei idealtypische Organisationsmodelle, in denen die aktuelle Bandbreite an Lösungswegen zusammengefasst ist:

Im ersten Modell wird lediglich die reine Bautätigkeit und damit die Erstellung des Wohngebäudes nach außen vergeben. Die anschließende Verwaltung und Bewirtschaftung der Objekte verbleibt in der Hand des Unternehmens oder alternativ in der Hand des Unternehmers als Privatperson.

Das zweite Modell geht davon aus, dass eine unternehmenseigene Fläche für den Bau genutzt und verkauft wird. Die entstehenden Wohnungen können entweder durch das Unternehmen selbst verwaltet werden oder in der Hand des immobilienwirtschaftlichen Kooperationspartners verbleiben. In diesem Fall erhält das gewerbliche Unternehmen ein Kontingent an Belegungsrechten über eine bestimmte Zahl von Wohnungen, die an seine Mitarbeiter vergeben werden können.

Auf dieser Idee basiert auch das dritte Modell, bei dem jedoch im Unterschied zum vorherigen von Unternehmensseite keine geeigneten Flächen eingebracht werden können. Auch in diesem Fall, so die Studie, zeige sich ein praktikables Realisierungsmodell, das sich in der Praxis bereits bewähre.

Bodelschwingh weist darauf hin, dass die öffentliche Hand solche Angebote von Unternehmen an ihre Mitarbeiter unterstützen könne. Im Fall einer unentgeltlichen oder verbilligten Überlassung einer Wohnung durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer entsteht derzeit zum Beispiel ein geldwerter Vorteil, der lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtig ist. Der Wert der unentgeltlichen oder verbilligten Überlassung einer Wohnung ist nach dem ortsüblichen Mietpreis zu bemessen.

"Um das Modell des Mitarbeiterwohnens, das auch für den jeweiligen Gesamt-Wohnungsmarkt wichtige Entlastungseffekte zeitigt, zu unterstützen und zu forcieren", so Bodelschwingh, "könnte die Einführung eines speziellen Freibetrages erwogen werden." Auch der frühere Paragraph 7k Einkommensteuergesetz über "erhöhte Absetzungen für Wohnungen mit Sozialbindung" könne wieder eingeführt und auf das Mitarbeiterwohnen ausgedehnt werden. "Auf diese Weise entstünde ein zusätzlicher Anreiz für Arbeitgeber, die Wohnsituation der Beschäftigten aktiv zu unterstützen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: