Weltwirtschaft:Lehren aus der Finanzkrise

Zum ersten Mal in der Geschichte hat die einstige Dritte Welt eine Finanzkrise entschärft, die in der einstigen Ersten Welt entstanden ist.

Nikolaus Piper

Vor einem Jahr kamen die ersten schlechten Nachrichten von der Wall Street. Sie waren für Laien schwer zu entziffern: Bear Stearns, eine in Europa weitgehend unbekannte Investmentbank, steckte in Problemen, Immobilienpreise brachen ein, amerikanische Hausbesitzer konnten ihre Kredite nicht mehr bedienen.

So begann die schwerste und gefährlichste Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie hat die Welt der Banken nachhaltig verändert, Zehntausende Jobs gekostet und das Ansehen des Kapitalismus besonders in Europa beschädigt. Ein Ende ist heute, nach zwölf Monaten, nicht absehbar. Möglich aber ist es, Lehren zu ziehen.

Dicht vor der Kernschmelze

Festzuhalten ist zum Beispiel die gar nicht so selbstverständliche Tatsache, dass die Weltwirtschaft bisher nicht eingebrochen ist. Selbst die Vereinigten Staaten, wo die Krise ihren Anfang nahm, dürften um eine Rezession herumkommen.

Das ist zum einen der Tatsache zu danken, dass die Notenbanken, vor allem die amerikanische Federal Reserve, die Finanzmärkte mit Geld überschüttet haben. Die zum Teil gewagten Aktionen haben das Inflationsrisiko erhöht, aber eine akute Vertrauenskrise abgewendet. Zudem hat die Regierung Bush mit einem Konjunkturprogramm Milliarden Dollar unter den Amerikanern verteilt.

Genauso wichtig war es aber, dass frühere Entwicklungsländer wie China, Indien und andere mit ihrem Wachstum und ihrem Kapital die Weltwirtschaft stabilisiert haben.

Zum ersten Mal in der Geschichte hat die einstige Dritte Welt eine Finanzkrise entschärft, die in der einstigen Ersten Welt entstanden ist. Das war nur deshalb möglich, weil es, anders als bei früheren Krisen, funktionierende globale Finanzmärkte gibt. Der Finanzkapitalismus stellt Mittel bereit, um die von ihm verursachten Krisen zu beheben - eine wichtige erste Lehre.

Der gefährlichste Tag im bisherigen Krisenverlauf war vermutlich der letzte Palmsonntag. An diesem Tag stand Bear Stearns kurz vor dem Zusammenbruch. Hätte die Investmentbank tatsächlich am folgenden Montag Gläubigerschutz beantragen müssen, wäre möglicherweise eine Kernschmelze im Finanzsystem gefolgt, die eine Insolvenz von Kreditinstituten reihenweise ausgelöst hätte.

Notenbank und Finanzministerium in Washington stützten die strauchelnde Bank mit einem Milliardenkredit und ermöglichten die geordnete Übernahme durch die Großbank JP Morgan. Dieser Markteingriff ist im Nachhinein nur dann zu rechtfertigen, wenn jetzt schnell der nächste Schritt folgt: eine umfassende Neuregulierung des Finanzsektors.

Die modernen Finanzmärkte sind so verflochten, dass es nicht mehr zu verantworten ist, einzelne Bereiche, etwa Investmentbanken oder Hedgefonds, von der Marktaufsicht quasi auszunehmen - dies ist die zweite Lehre aus der Krise.

Lehren aus der Finanzkrise

Die dritte Lehre betrifft die Banken insgesamt. Selbst angesehene Institute haben so getan, als könnten Immobilienpreise in Amerika ewig steigen, und als würde auch der verrückteste und riskanteste Kredit immer bedient. Damit das nicht mehr vorkommt, müssen die Institute ihr Risikomanagement und ihre Branchenstandards komplett überholen.

Die global operierenden Banken haben versprochen, genau dies zu tun. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann wird die Ergebnisse der Bemühungen nächste Woche vorstellen. Sollten diese Ergebnisse unzureichend ausfallen, müssen die Gesetzgeber weltweit mit strengeren Vorschriften nachhelfen. Die Finanzkrise hat zwar zu keiner Kernschmelze geführt, aber sie dauert nun schon viel länger, als sich vor zwölf Monaten irgendjemand hätte vorstellen können.

Das hat auch damit zu tun, dass die Finanzbranche ihr Geschäftsmodell an die Realitäten anpassen muss: weniger Kredite, weniger Risiken, normalere Renditen. Nicht alle Institute sind darauf vorbereitet.

Kein Grund zur Überheblichkeit

Eine letzte Lehre aus der Krise sollten speziell die Deutschen ziehen: nicht überheblich werden! Zwar hat das Unglück tatsächlich in Amerika begonnen mit der verantwortungslosen Vergabe von Immobilien- und anderen Krediten. Danach waren aber deutsche Banker kaum besser.

Die Krisen bei IKB, SachsenLB, WestLB und BayernLB sprechen für sich. Das deutsche fragmentierte und vom Staatseinfluss dominierte Bankensystem ist auf seine Weise genauso krisenanfällig wie das amerikanische. Die vergangenen Monate haben einen erheblichen Mangel an Finanzmarktkompetenz in Deutschland offenbart.

Es liegt im Interesse des Landes, diesen Mangel zu beheben. Die globalen Finanzmärkte werden weiter stürmisch wachsen - trotz der Krise, oder genauer: Weil sich auch in der Krise deren Wert gezeigt hat.

In diesen Wochen wird die Finanzkrise mehr und mehr von einer anderen überlagert: Der beispiellose Anstieg der Öl- und Rohstoffkosten setzt die Wirtschaft direkt unter Druck. Bisher haben die Industrieländer erstaunlich gut mit Energiepreisen leben gelernt, die bis vor kurzem noch als abenteuerlich gegolten hätten.

Aber der Widerstandskraft sind Grenzen gesetzt. Den Ursachen der Teuerung - wachsende Nachfrage und knappes Angebot - ist kurzfristig nicht beizukommen. Umso wichtiger ist es, die Altlasten der Finanzkrise schnell und entschlossen abzuarbeiten.

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