Weltweite Proteste gegen Banker:Kollateralschaden der Geldindustrie

"Occupy Wall Street" - überall gehen die Menschen auf die Straße. Wofür sie demonstrieren, bleibt unklar. Die Protestbewegung wirkt zwar wie eine diffuse Gegen-irgendwas-Veranstaltung. Doch sie setzt eine Diskussion über das Finanzsystem fort, die schon lange vorher begonnen hat. Es wäre dumm, sie zu ignorieren.

Hans von der Hagen

Jalousien auf, Jalousien zu: Interessiert sich in den Bankentürmen dieser Welt irgendjemand für die Wall-Street-Protestler, die tief unten in den Straßen lärmen? Mit vielen Pappschildchen, aber ohne Konzept. Was wollen denn die überhaupt?

Occupy Wall Street march

Angestellte der Bank JPMorgan Chase beobachten die Demonstranten der Occupy-Wall-Street-Bewegung.

(Foto: dpa)

Eine neue Welt? Ist gerade nicht zur Hand. Ein Leben ohne Banken? Funktioniert nicht! Mehr Geld? Da könnte ja jeder kommen! Gerechtigkeit? Unklar, was das sein soll! Es wäre ein Leichtes, die Protestler zu ignorieren. Allein: Es wäre dumm.

Wut auf die Wirtschaft ist nicht neu: Gegen Weltbank und Währungsfonds, Bosse und Konzerne, Globalisierung und Klimawandel wird seit langem munter marschiert und gefühlt revolutioniert. Nur geschieht es selten aus persönlicher Betroffenheit.

In der Bewegung Occupy Wall Street (OWS) hingegen sammeln sich neben den Berufsempörten eben auch jene, die tatsächlich aufgebracht über Willkür und Macht der Finanzindustrie sind, teils aus dem eigenen Erleben heraus.

Viele haben viel verloren in den Jahren der Krise: Job, Haus, Vermögen - und Zukunft. Sie tragen damit die Folgen von Raffsucht und Fehlentscheidungen anderer, sie sind der Kollateralschaden der Finanzindustrie, die sonst scheinbar so wenig mit ihrem eigenen Leben zu tun hat.

Andere sind mittelbar von der Wirtschaftskrise betroffen: Weil etwa Spekulanten ihr überschüssiges Geld auf die Suche nach behäbigeren und damit risikoloseren Anlagen in Bereiche lenken, in denen sie anderen das Leben schwermachen. Sie investieren in Rohstoffe, Ackerland und Immobilien und treiben damit Lebensmittelpreise und Mieten in die Höhe.

Bei allen Demonstranten aber wird die Wut durch das Wissen befeuert, dass mit den Banken gerade jene Unternehmen mit vielen Milliarden gestützt werden, die noch vor wenigen Jahren auftrumpfend in Geldorgien schwelgten. Regte sich freilich in jener Zeit Protest gegen diese Exzesse, wurde er mit dem Wort Neiddiskussion erschlagen. Aber hinter der vermeintlichen Neiddiskussion steckte schon damals die Forderung, dass das Geschehen in den Banken auch für die Vernunft eines Nichtbankers nachvollziehbar sein sollte. Jetzt steht die Chiffre OWS für die Fortsetzung jener Diskussion mit anderen Mitteln und in breiterer Form.

Längst kein New Yorker Phänomen mehr

Sie muss weitergeführt werden, weil die Hilflosigkeit der Politik ebenso offensichtlich wie erdrückend ist. Die Regierungen finden nur einen Weg, um derzeit mit der Krise umzugehen, und der heißt Geld. Wo immer ein Problem auftaucht - es wird mit Geld überdeckt. Es ist Geld, das mit ihren Steuern auch jene gezahlt haben, die nun auf die Straße gehen.

Zunächst schien die Umverteilung von den Bürgern zu den Bankern Erfolg zu haben. 2010 war die Welt für die Geldhäuser weitgehend wieder in Ordnung. Die Boni-Maschine lief ordentlich, die symbolischen Klapse der Behörden taten nicht weh: Die Banken konnte dort weitermachen, wo sie 2007 aufgehört hatten. Alles gut und die Bürger nahmen es hin. Was sollten sie auch tun - für Demos war die Zeit offensichtlich noch nicht reif.

Doch nichts war gut, die Hilfsmilliarden hatten die Probleme nur überdeckt. Nach den Banken rutschten die Staaten in die Krise, jetzt sind wieder die Banken dran - nun aber gemeinsam mit den Staaten. Mittlerweile ist so viel Geld in Rettungstöpfe geflossen, dass viele Länder klamm sind und auf Jahre hinaus anämisch bleiben werden. Das nur vage Gefühl von Chaos und Verwundbarkeit in der ersten Zeit der Krise ist vielfach Not gewichen. Überall fehlt das Geld. Diejenigen, die jetzt auf die Straße gehen, wollen am Ende nicht Abfall einer Krise sein, der irgendwann in einer Bad Bank der Gesellschaft entsorgt wird.

Längst ist die OWS-Bewegung kein New Yorker Phänomen mehr. In den Vereinigten Staaten und auch in Europa - allerorten wollen Menschen auf die Straße gehen.

Ja, es stimmt, die Demonstranten haben keine Antworten, kein Konzept. Sie wissen, dass ihr Gerechtigkeitsempfinden gestört ist. Sie wissen, wogegen sie sind, aber nicht, wofür. Das entwertet die Demonstrationen aber nicht per se, selbst wenn gerade aufgrund der Planlosigkeit am Ende die Kraft zum Weitermachen fehlten könnte.

Die Politik ist gut beraten, nicht wieder nur die eigene Ratlosigkeit zu zelebrieren, sondern auf die diffusen Anliegen der Demonstranten konkrete Antworten zu finden.

Die werden nicht helfen, weitere Krisen zu verhindern - Marktwirtschaft ist nun mal Krisenwirtschaft. Aber die Unwuchten könnten erträglicher werden. Jalousien auf, Jalousien zu: Das funktioniert nicht.

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