Weltweite Finanzkrise:Umsteuern mit aller Macht

Antworten auf tausend offene Fragen: In Washington stemmen sich die Großen der Finanzwelt gegen den Sog der Bankenkrise. Ein globaler Aktionsplan soll nun die Wende bringen. Doch es bleibt die Angst vor einem neuen Absturz an den Börsen.

Nikolaus Piper

Am Freitagabend ist die Pennsylvania Avenue schwarz. Eine unübersehbare Schlange dunkler Lincoln-Limousinen legt den Verkehr lahm, Menschentrauben blockieren die Gehwege. Männer aller Hautfarben und jedweden Alters in Nadelstreifen, dazwischen ein paar Frauen im Business-Kostüm, außerdem Chauffeure, ebenfalls schwarz, aber ohne Nadelstreifen, und, als weiße Einsprengsel, ein paar Westafrikaner in wehender Nationaltracht. Es ist der erste Abend der Weltwährungskonferenz in Washington.

Weltweite Finanzkrise: Die Großen der Finanzwelt stemmen sich gegen den Sog der Bankenkrise.

Die Großen der Finanzwelt stemmen sich gegen den Sog der Bankenkrise.

(Foto: Foto: AP)

Gerade haben die G-7-Finanzminister und Notenbankchefs ihren Aktionsplan zur Rettung der Welt vor der Finanzkrise beschlossen. Jetzt streben alle zu den Verpflichtungen des Abends: Empfängen, Dinners, Besprechungen in diskreten Hotelzimmern. Erfahrene Washingtoner wissen, dass sie in den guten Restaurants der amerikanischen Hauptstadt an diesem Abend gar nicht erst wegen eines Platzes nachfragen müssen.

Im Herzen Washingtons, dort, wo die Pennsylvania Avenue die 19. Straße kreuzt, stehen zwei wuchtige Bürokästen: rechts der Internationale Währungsfonds (IWF), links die Weltbank. Und jedes Jahr im Oktober kommen deren Hauptakteure - Politiker aus mittlerweile 185 Staaten - zu ihrer Jahresversammlung zusammen. Aber das ist nur die technische Bezeichnung.

Tatsächlich ist das Ganze ein Finanzgipfel, zu dem Politiker, Banker, Entwicklungsexperten und Ökonomen aus der ganzen Welt alljährlich zu Tausenden in die amerikanische Hauptstadt strömen. Schon in normalen Zeiten übt die Atmosphäre rund um IWF und Weltbank auf Außenstehende eine eigentümliche Faszination aus.

Zu Gast im "Nervenzentrum der Weltgesellschaft"

Vor 20 Jahren schickte das Magazin Geo Hans Magnus Enzensberger nach Washington, um die beiden Institutionen zu beschreiben. Er bezeichnete sie als "Nervenzentren der Weltgesellschaft" und als "Ungeheuer", wobei der IWF das "harte Monster" und die Weltbank das "weiche" sei und deren Mitarbeiter die "Schamanen des internationalen Kapitals".

Zumindest die Sache mit den "Nervenzentren der Weltgesellschaft" stimmt an diesem Wochenende mehr, als Enzensberger sich dies 1988 hätte vorstellen können. Es ist die bei weitem größte Krise in der 64-jährigen Geschichte von IWF und Weltbank.

Die Börsenkurse stürzen ab, das normale Kreditgeschäft zwischen den globalen Banken ist praktisch zum Erliegen gekommen. Die Finanzwelt steht am Rande des Abgrunds - und es war daher von vorneherein unvorstellbar, dass Banker und Finanzminister am Sonntagabend wieder nach Hause fahren würden, ohne zuvor substantielle Beschlüsse gefasst zu haben.

Erste Hinweise auf das, was kommen würde, gibt es am Freitag in einem kleinen überfüllten Raum des Hotels Fairmont in Washington. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und Bundesbankpräsident Axel Weber haben zum Pressegespräch geladen. "Ich bin davon überzeugt, dass wir mit Fall-zu-Fall-Lösungen nicht mehr weiterkommen und zu einem umfassenden Ansatz für den Sektor insgesamt kommen müssen", sagt Steinbrück gleich zu Beginn. Jeder kann sich jetzt ausrechnen, dass auch in Deutschland die Steuerzahler für die Rettung des Finanzsystems in Haftung genommen werden.

Zunächst einmal aber gehen die normalen Rituale der IWF-Jahrestagung weiter. Und in diesem Zusammenhang muss der Name von Fred Bergsten fallen. Der Ökonom ist ein alter Haudegen der internationalen Wirtschaftspolitik, er führt heute das Peterson Institute of International Economics an der Massachusetts Avenue.

Jedes Jahr veranstaltet Bergsten am ersten Tag der IWF-Tagung eine wissenschaftliche Konferenz, und weil er über einigen Einfluss in Washington verfügt, bringt er immer interessante Leute in sein Institut. In diesem Jahr sitzt zum Beispiel Larry Summers auf dem Podium. Der Harvard-Ökonom war einst Finanzminister unter Bill Clinton und berät jetzt den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Barack Obama. Scheinbar sehr theoretisch lässt sich Summers über die Ursachen der Finanzkrise aus.

Da gebe es zwei Theorien, sagt er. Nach der ersten sei das ganze Desaster "made in USA", nach der zweiten dagegen das Ergebnis "einer Periode doher Liquidität und wachsender Komplexität der Institutionen im Finanzsektor", wobei die Krise "mehr oder weniger zufällig" in den Vereinigten Staaten ausgebrochen sei. Die Wahrheit liege vermutlich irgendwo in der Mitte.

Die akademischen Reflexionen sind in Wahrheit hochpolitisch: An Summers Worten kann man ablesen, wie ein Präsident Obama mit seinen Verbündeten über die Finanzkrise reden wird. Auch er wird die Alleinschuld der Weltmacht an der Katastrophe nicht akzeptieren.

Aus deutscher Sicht fast noch interessanter ist der Beitrag von Thomas Mayer. Der Chefökonom der Deutschen Bank für Europa ist ein überzeugter Marktwirtschaftler, manche würden ihn als "neoliberal" bezeichnen. Er beginnt seinen Vortrag mit einer Warnung: "Diejenigen, die mich kennen, werden sagen: Der hat sich aber schwer verändert."

Tatsächlich fordert Mayer nicht nur die Beteiligung des Staates an den Banken, sondern auch eine viel umfassendere Reaktion: Die Regierungen sollten massenhaft neue Anleihen auflegen, "um dem Markt die sicheren Anlageinstrumente zu liefern, die er verlangt". Die Europäer sollten den Stabilitätspakt von Maastricht für eine Weile zur Seite leben. Einfacher ausgedrückt fordert Mayer ein gigantisches, schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm. Man kann nur ahnen, wie viel Angst in den Banken herrscht, wenn einer wie er so etwas vorschlägt.

Umsteuern mit aller Macht

Angesichts dessen sind am Freitagabend erst einmal viele enttäuscht, als die Finanzminister und Notenbankchefs der G-7-Staaten ihr Kommuniqué veröffentlichen. Manche Banker hatten bereits einen konkreten Aktionsplan erwartet, stattdessen erklären die Politiker nur, dass die Krise "dringende und außergewöhnliche Maßnahmen" erfordere, dass die Regierungen "alle verfügbaren Mittel einsetzen werden, um systemisch wichtige Finanzinstitutionen zu stützen", und dass sie die Bankeinlagen in ihren Ländern sichern werden.

Die Frage nach dem "Wie" wird nicht beantwortet. Es bedarf einiger Stunden, damit die ungeheure Wucht der Botschaft in Washington begriffen wird: Alle Industrieländer haben sich ohne Vorbehalt und ohne Einschränkungen verpflichtet, ihren Finanzsektor zu retten. Es gibt ihn, den globalen Aktionsplan, und die Details fehlen nur deshalb, weil sie von Land zu Land unterschiedlich ausfallen müssen. Die Europäer beschließen ihren Teil des Programms am Sonntagabend auf dem Krisengipfel in Paris.

An Bord des Schiffes

In Washington wird die neue Richtung vorgegeben, aber ein paar Dinge bleiben doch wie gehabt. Dazu gehört die Bootsfahrt der Commerzbank. Seit 40 Jahren lädt der Vorstand der Bank alles, was Rang und Namen im deutschen Finanzwesen hat, an Bord eines Schiffes namens Cherry Blossom (Kirschblüte) ein. Drei Stunden lang fährt die Gesellschaft auf dem Potomac spazieren.

Aus den Gesprächen darf nicht zitiert werden, wie man überhaupt in Washington mit vielen interessanten Leuten nur vernünftig reden kann, wenn man ihnen versichert, dass ihr Name am anderen Tag nicht in der Zeitung steht. Verraten darf man aber, dass der Chef der Commerzbank, Martin Blessing, die Gäste in offenem Hemd und sehr entspannt empfängt, was in diesen Tagen allein schon beruhigend wirkt.

An Bord räumt ein Banker ein, dass "die Stimmung schon sehr gedämpft ist in diesem Jahr". Zerknirscht will sich aber auch keiner geben. "Natürlich nicht, es gibt hier ja auch niemanden, der sich persönlich schuldig fühlt", sagt er. Tags drauf wird in Washington bekannt, dass Bundespräsident Horst Köhler von den Bankern eine Entschuldigung für die Krise verlangt. Ähnliche Töne bekommen sie am Samstag im großen Ballsaal des Renaissance Hotels zu hören.

Dort tagen die Mitglieder des Instituts of International Finance. Das IIF ist die Interessenvertretung und die Denkfabrik von knapp 400 global operierenden Banken. Der Vorsitzende heißt Josef Ackermann und ist Chef der Deutschen Bank. Als Redner zum Mittagessen haben die Banker Jacob Frenkel eingeladen. Frenkel gehört zu den anerkannten alten Männern des Gewerbes. Er war früher einmal Chefökonom des IWF, später Präsident der Nationalbank von Israel und sitzt jetzt im Verwaltungsrat der zusammengebrochenen Versicherung AIG. Frenkel weist den Bankern nach, dass er schon vor zwei Jahren vorausgesagt hat, dass die Praktiken im Geldgewerbe nicht durchzuhalten sind. Jetzt sei radikale Umkehr notwendig. "Die Krise ist ein Weckruf für uns alle", sagt Frenkel.

Unter den Zuhörern findet sich auch Saruhan Özel, Chefökonom der Deniz Bank, der viertgrößten Bank der Türkei. Özel befindet sich in einer bizarren Situation. Seine Bank ist gesund, sie wurde aber vor ein paar Jahren von Dexia gekauft, der belgischen Bank, die sich mittlerweile unter die Obhut des Staates begeben musste.

Auf nationaler Ebene schon durchgemacht, was global passiert

Er ist auch insofern Experte, als es 2001 in der Türkei eine große Bankenkrise gab. "Wir haben auf nationaler Ebene durchgemacht, was jetzt global passiert", sagt der Ökonom. Und die Steuerzahler sollten gar nicht erst hoffen, dass sie das Geld wiedersehen, das die Politiker jetzt in die Banken steckten. Die türkische Bankenkrise habe die Öffentlichkeit seinerzeit 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eines Jahres gekostet. Später sagt Josef Ackermann den IIF-Mitgliedern noch, dass sie nur dann einen moralischen Anspruch auf das Geld der Steuerzahler hätten, wenn sie ihre "Hausaufgaben" machen.

Am Samstagabend schließlich ist allen klar, dass sich in den beiden vergangenen Tagen die Welt wirklich verändert hat. IWF-Generaldirektor Dominique Strauss-Kahn tritt mit zwei Stunden Verspätung vor die Presse und verkündet, was der Lenkungsausschuss des IWF gerade beschlossen hat: Industrie- und Entwicklungsländer stellen sich einmütig hinter den Fünf-Punkte-Plan der G 7. "Die erste Koordinierung von entwickelten Ländern und dem Rest der Welt ist jetzt auf dem Weg", sagte er. Der IWF werde die "Führung" dabei übernehmen, eine neue und bessere Regulierung der globalen Finanzmärkte zu finden. Es ist die größte Stunde des IWF und eine der gefährlichsten der jüngeren Wirtschaftsgeschichte.

Vor dieser Pressekonferenz war Strauss-Kahn mit den G-7-Finanzministern bei Präsident George W. Bush im Weißen Haus. Es ist ein eher symbolischer Akt, der aber deutlich macht, dass die Supermacht USA mit aller Kraft hinter dem Plan steht. "Wir stecken gemeinsam drin, und wir werden gemeinsam herauskommen", sagt Bush nach dem Treffen.

Später dann macht sich die Kolonne der Lincoln-Limousinen wieder auf in die Restaurants und Hotels der Hauptstadt. "Ich fühle mich heute Abend besser, als ich mich gestern Abend gefühlt habe", sagt ein führender deutscher Banker. Es gebe ein neues "Gefühl der Solidarität", bekennt in ungewöhnlicher Wortwahl der Vertreter einer großen amerikanischen Bank. Er hoffe nur, dass nicht doch noch der "Tsunami" folge. Der Tsunami - der würde wohl kommen,, wenn die an diesem Wochenende beschlossenen Maßnahmen nicht wirken und der Absturz der Finanzmärkte in dieser Woche unvermindert weitergeht.

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