Wege aus der Finanzkrise:Muss der Staat Banken retten?

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Ja, ohne Hilfe geht alles unter, meint Alexander Hagelüken. Marc Beise ist anderer Ansicht: Nein, kein Geld. Für niemanden, schreibt er.

Pro

US-Präsident George W. Bush zeigte sich erleichtert, als er das nun auch vom US-Repräsentantenhaus abgesegnete 700-Milliarden-Rettungspaket durch seine Unterschrift auf den Weg bringen durfte. (Foto: Foto: AFP)

Selten war es so verführerisch wie jetzt, Geldhäuser einfach pleitegehen zu lassen. Haben uns nicht all diese habgierigen Banker und Aktionäre die größte Finanzkrise seit 80 Jahren eingebrockt? Und da sollen Hypo Real Estate, AIG und wer weiß wer noch mit Steuergeld herausgeboxt werden? Eine empörende Vorstellung.

Die entscheidende Frage für den gemeinen Steuerzahler ist aber nicht, ob er mit seinem Geld einer häufig arroganten Kaste häufig überbezahlter Finanzleute hilft. Die Frage ist: Was ist für Bürger, Beschäftigte, Sparer momentan das Beste? Und da zeigt sich: Wenn große Geldhäuser einfach untergehen, schadet das der Allgemeinheit - und nicht nur Bankern und Investoren.

Finanzhäuser sind so miteinander verwoben, dass ein Kollaps leicht andere Institute einstürzen lässt. Eine Pleite von Hypo Real Estate (HRE) hätte den Markt schwer gestört, auf dem sich Banken kurzfristig Geld besorgen - mit unabsehbaren Folgen.

Zu groß zum Versagen?

Landesbanken und andere Kreditinstitute hätten noch höhere Verluste zu verzeichnen und würden womöglich ins Wanken geraten. Diese und weitere Risiken listen Bundesbank und Finanzaufsicht in einem Schreiben auf.

Es lässt nur einen Schluss zu: Ob der Staat eine Bank untergehen lässt, muss er sich im Moment gut überlegen. Wenn Sparer die Filialen stürmen und der Kreditfluss an Firmen und Verbraucher stockt, bricht die ganze Wirtschaft zusammen. Das muss eine Regierung vermeiden.

Politisch ist deshalb immer abzuwägen: Ist eine Bank zu groß zum Sterben, too big to fail, wie die Amerikaner sagen? Die Mittelstandsbank IKB war sicher so klein, dass sich der Bund die acht Milliarden Euro Steuergeld hätte sparen sollen. Die US-Investmentbank Lehman untergehen zu lassen, schien die richtige Entscheidung.

Nach der Lehman-Explosion wurden die Finanzmärkte allerdings so nervös, dass die Kosten für kurzfristige Ausleihungen nach oben schossen - und der HRE, die zu stark auf diese Ausleihungen angewiesen war, die Blutzufuhr ausging. Das ist ein Beispiel für Kettenreaktionen, die vorkommen.

Es zeigt, dass die Regierungen bei großen Geldhäusern eingreifen müssen. Ein paar Lehman-Fälle sind zu verkraften, zehn Stück nicht. Natürlich weiß das keiner hundertprozentig sicher. Aber wollen wir wirklich riskieren, dass es stimmt und alles untergeht?

Der Staat als Feuerwehr

Bleibt die Frage, warum ausgerechnet der Staat einspringen muss - und nicht die Branche für ihre kranken Mitglieder zahlt. Das ist eine berechtigte Frage. Die Bundesregierung hat bei HRE die Branche verpflichtet, ein Viertel der möglichen Rettungskosten von 35 Milliarden Euro zu tragen. Das ist etwas, aber nicht sehr viel.

Die Regierung muss sich mit ihren EU-Partnern Lösungen ausdenken, die Branche stärker an den Kosten zu beteiligen. Ruhig über Zahlungen, die die Branche erst leistet, wenn das Schlimmste der Krise vorbei ist. Niemand muss Bankaktionäre dafür bedauern, dass sie schrumpfenden Renditen entgegensehen.

In dem Moment, in dem es um das Ja oder Nein einer Rettungsaktion geht, kann sich die Regierung aber nicht vom Zahlungswillen der Banker abhängig machen. Es war schwer genug, den Bankern ein Viertel der möglichen Kosten für HRE abzuringen. Die Regierung muss eingreifen, weil sonst keiner Verantwortung für das Allgemeinwohl übernimmt.

Wenn ein Haus brennt, löscht es die Feuerwehr. Sie verhindert damit, dass sich der Brand auf die ganze Stadt ausweitet. Die Feuerwehr löscht auch dann, wenn der Hauseigentümer keine Steuern gezahlt hat oder nicht für den Feuerwehrball spendete.

Genau darum geht es jetzt: Der Staat löscht Brände, damit die Menschen nicht stärker unter der Finanzkrise leiden. Wie künftige Rettungen ausgestaltet werden, kann man sich in aller Ruhe überlegen. Aber nicht in dem Moment, in dem ein Geldhaus brennt und die Flammen an den Nachbarbauten züngeln.

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Contra

Die Bundesregierung ist skeptisch, was ein europäisches Hilfsprogramm für Banken angeht: Sie möchte jeweils im Einzelfall entscheiden, wie Wirtschaftsminister Michael Glos bekräftigte. (Foto: Foto: AFP)

Ein Virus ist in der Welt, man kann es das "Virus der Kernschmelze" nennen. Die Finanzmärkte, die Regierungen, die Medien sind von diesem Virus infiziert. Es vernebelt die Hirne und blockiert den Blick aufs große Ganze.

Alle haben Angst. Angst davor, dass der Zusammenbruch einer Bank eine Kettenreaktion auslöst. Damit das nicht geschieht, müsse der Staat, heißt es, jede Krise mit Milliarden von Geld im Keim ersticken.

Das Virus schafft sich seine eigene Welt und erzwingt eine political correctness ganz neuer Art. Kein verantwortlicher Politiker glaubt es sich noch leisten zu können, die Rettungsschreie der Banker zu überhören.

Als Bundesfinanzminister Peer Steinbrück vor Wochenfrist einige Stunden zögerte, der Münchner Hypo Real Estate die geforderten 35 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen und auf eine Mitfinanzierung durch die Bankenbranche drang, verließen die Herren des Geldes empört den Saal; am Ende konnte Steinbrück die staatliche Bürgschaft auf 26 Milliarden Euro runterhandeln. Dafür wird er nun von manchen als einer verspottet, der den Ernst der Lage wohl nicht erkannt habe.

Neuer Verschuldungsberg

Und wenn sich US-Kongressabgeordnete weigern, mal eben die schwindelerregende Summe von 700 Milliarden Dollar abzunicken, wird über "Wahlkampf" und "Populismus" gelästert. Es sei keine Zeit, heißt es, über die Rettung zu diskutieren, ja will man denn die ganze Welt in den Abgrund reißen?

Nein, wir wollen uns das Denken nicht verbieten lassen. Und fragen unverdrossen, ob das alles so sein muss und so sein darf. Wer weiß denn eigentlich wirklich, dass es im Zweifelsfall zu der angekündigten Kernschmelze kommt?

Handelt es sich nicht vielleicht um in der Marktwirtschaft übliche - leider häufig schmerzhafte - Korrekturen nach Exzessen? Wird wirklich der gesamte Geldmarkt zusammenbrechen, werden die Bürger nichts konsumieren, die Firmen nichts investieren können? Bewiesen ist das nicht.

Obwohl man es nicht weiß, werden Maßnahmen ergriffen, deren Folgen zentnerschwer wiegen. Der Staat, der sich die Rettungsgelder ja auch borgen muss, baut im Ernstfall einen neuen Verschuldungsberg auf, der die Gesellschaften auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte lähmen könnte.

Wie sicher ist es eigentlich, dass nicht immer mehr Geld benötigt wird, bis der Staat am Ende kapitulieren muss? Keine unternehmerische Entscheidung würde auf dieser schwachen Erkenntnisbasis gefällt werden.

Es geht nicht um Spielgeld

Dieselben Leute aber, die die Eigenverantwortung der Marktteilnehmer propagiert haben, handeln und reden nun ganz anders. Wenn sie recht hätten, wenn es dem Staat tatsächlich gelingen könnte, die gescheiterten Institute aus der Krise zu lenken, dann sollten wir wirklich zur Planwirtschaft als der besseren Wirtschaftsordnung übergehen. Zu dumm nur, dass diese, wir erinnern uns dunkel, leider nie funktioniert hat.

Wenn es sich aber, etwa in der DDR, bewiesen hat, dass Politiker und Beamte eben nicht den grenzenlosen Weitblick haben, alles und jedes zu regeln - warum sollte es dann in der Finanzkrise von heute anders, besser sein?

Bleibt die Möglichkeit (und so stellen sich das die Helden in den Banken ja vor), dass der Staat sich darauf beschränkt, das Geld rüberzuschieben und sie selbst über dessen Verwendung frei entscheiden können: Woher aber sollen wir dann das Vertrauen nehmen, dass die Banker das Richtige tun?

Haben sie nicht gerade erst bewiesen, wie fehlbar sie sind? Dass sie Dinge tun, die sie nicht verstehen? Dass sie nur kurzfristig agieren und hoffen, es werde schon gut gehen? Glaubt denn einer ernsthaft, dass sie geläutert sind? Im Gegenteil wird es so sein, dass das Signal "Der Staat paukt uns raus" der Startschuss zu neuen Vabanque-Spielen ist - alles andere wäre wider die menschliche Natur.

Es wäre höchste Zeit, diese Fragen zu diskutieren. Stattdessen wird eine Rettungsaktion nach der anderen beschlossen, als gehe es um Spielgeld. Mit Panik gewinnt man die Zukunft nicht.

© SZ vom 04.10.2008/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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