Währungshüter Axel Weber hat noch viel vor:"Ich spüre Tatendrang"

Bundesbankpräsident Axel Weber im Interview mit der Süddeutschen Zeitung: Über den kurzen Atem der Politik, einen ausgeglichenen Haushalt - und den Vorwurf, er sei altmodisch.

Helga Einecke

SZ: Früher war der Bundesbankpräsident einflussreicher als viele Politiker und Manager. Heute haben wir die Europäische Zentralbank. Brauchen wir noch eine Bundesbank?

Weber: Ja, wir brauchen eine starke Bundesbank als integraler Teil des Eurosystems. Europa ist zugleich supranational und dezentral organisiert. Es gibt zum Beispiel ein deutsches und ein europäisches Parlament. Die geldpolitischen Entscheidungen sind weitestgehend europäisiert, aber die Umsetzung der Geldpolitik, etwa die Operationen mit den Banken oder der Zahlungsverkehr finden nach wie vor in den nationalen Notenbanken statt.

SZ: Brauchen Sie dafür 9000 Mitarbeiter und zahlreiche Dependancen in vielen Bundesländern?

Weber: Wir sind mitten im Konsolidierungsprozess. Wir werden Ende dieses Jahres 60 Prozent unserer Filialen und 30 Prozent des Personals abgebaut haben. Für eine öffentliche Institution ist das eine erhebliche Schrumpfung, die schon 2006 zu Einsparungen von 280 Millionen Euro geführt hat.

SZ: Bleiben 9000 Mitarbeiter. Viele Politiker glauben, 5000 würden auch reichen.

Weber: Damit könnte die Bundesbank ihre Aufgaben nicht in der gewohnten Qualität erbringen. Und der Anspruch an die Qualität unserer Leistungen ist im europäischen Rahmen in den letzten Jahren weiter gestiegen. Wir gestalten die europäische Geldpolitik mit, vertreten Deutschland in internationalen Finanzstabilitätsgremien, und im personalintensiven Bargeldverkehr sichern wir die Versorgungsqualität. Wir sind außerdem das Rückgrat des deutschen und europäischen elektronischen Zahlungsverkehrs und in die deutsche Bankenaufsicht eingebunden.

SZ: Kann die BaFin nicht die Bankenaufsicht allein übernehmen?

Weber: Aus guten Gründen ist die Bankenaufsicht in Deutschland die gemeinsame Aufgabe von Bundesbank und BaFin. Wir sind für die laufende Aufsicht vor Ort zuständig. Der Auftrag der Notenbank für Finanzstabilität macht es zudem notwendig, sehr zeitnah Informationen aus den Kreditinstituten zur Verfügung zu haben. Die Einbindung in die Bankenaufsicht stellt dies sicher.

SZ: Braucht denn jede der 13 Nationalbanken im Euroraum eine volkswirtschaftliche Abteilung oder kann man sich diese Arbeit auch teilen?

Weber: Für die Bundesbank ist es sehr wichtig, sich ein genaues Bild von der Konjunktur und den Finanzmärkten zu machen, um dies in die Beratungen des EZB-Rats mit einzubringen. Deutschland steht für ein Drittel des Euroraums. Für die Bundesbank als größter nationaler Notenbank im Euro-Raum ist volkswirtschaftliche Kompetenz schlechterdings unverzichtbar.

SZ: Warum kommt dann das amerikanische Notenbanksystem mit viel weniger Mitarbeitern aus als das europäische?

Weber: Das US-System ist über Jahrzehnte gereift. Für das Eurosystem ist der Übergang zur gemeinsamen Währung weniger als 10 Jahre alt. Wir sind dabei, uns veränderten Anforderungen zu stellen. Man sollte aber auch bedenken, dass dies gerade bei der Anpassung in der Personalstärke nicht von heute auf morgen zu erreichen ist.

SZ: Das Verhältnis zwischen Bundesbank und Politik gilt als belastet. Es gab Streit um die Goldreserve, die Höhe der Gehälter, die Besetzung von Vorstandsposten. Nerven Sie die Demütigungen?

Weber: Weder empfinde ich Auseinandersetzungen zu Sachthemen als Demütigung noch habe ich in meinem Amt acht ruhige, spannungsfreie Jahre erwartet. Diskussionen mit der Politik gehören zum Tagesgeschäft. Eine unabhängige Notenbank muss zu einigen, für die Geldpolitik relevanten wirtschaftspolitischen Themen einen grundsätzlichen und klaren Standpunkt einnehmen. Die Politik ist häufig von Wahlzyklen und kurzfristigem Denken getrieben, während Notenbanken eher langfristig arbeiten. Da bleiben gelegentlich Spannungen nicht aus.

SZ: Können sich die Notenbanken denn durchsetzen?

Weber: Ein typisches Beispiel war der Konflikt um den Stabilitätspakt, einem Hauptanliegen der Bundesbank und des Eurosystems. Die Notenbanken mahnten regelmäßig eine konsequente Einhaltung der Haushaltsregeln an. Das war nötig, um diesen europäischen Regeln zu einer gewissen Bindungswirkung zu verhelfen. Wir haben den Regierungen immer wieder klar gemacht, spannungsfreie Geldpolitik kann es ohne stabile öffentliche Finanzen nicht geben.

"Ich spüre Tatendrang"

SZ: Sind Sie mit der Politik von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück zufrieden?

Weber: Wir bestätigen den Bundesfinanzminister darin, den Haushalt zu konsolidieren. Dank der guten Konjunktur haben wir einen erheblichen Abbau des Budgetdefizits erreicht und sehen eine gute Chance, in diesem Jahr deutlich unter ein Prozent zu kommen. Der Haushaltsausgleich ist bereits in greifbare Nähe gerückt, ich halte ihn in 2008 - spätestens jedoch in 2009 - für geboten. Vor diesem Hintergrund besteht kein Spielraum für neue Ausgabenprogramme. Ich wünsche mir, dass "Budgetüberschuss" zum Wort des Jahres 2010 wird.

SZ: Spart die Regierung also nicht genug, wenn sie erst 2010 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen will?

Weber: Deutschland sollte sich ambitioniertere Ziele vornehmen, weil sich die Wirtschaft sehr günstig entwickelt und die Steuereinnahmen sprudeln. Man könnte das Defizit schneller senken, wenn man die konjunkturellen Mehreinnahmen zur Konsolidierung nutzt und keine neuen Ausgabenprogramme plant.

SZ: Welche Weichen muss die Politik im guten Konjunkturumfeld stellen?

Weber: Die hell strahlende Konjunktursonne darf nicht zu früh zu hitzefrei auf den Reformbaustellen führen. Wir sind noch lange nicht am Ende der notwendigen Reformen angelangt, etwa am Arbeitsmarkt oder bei den Themen Gesundheit und Pflege.

SZ: Sind die Zinserhöhungen, die von der EZB im Laufe dieses Jahres noch erwartet werden nicht gefährlich für diese Konjunktursonne?

Weber: Wir sehen Risiken für die Preisstabilität. Die Inflationsrate dürfte nach unserer Einschätzung im Durchschnitt dieses und des kommenden Jahres über unserer Obergrenze für Preisstabilität liegen. Eine Gefährdung der konjunkturellen Entwicklung sehe ich nicht.

SZ: Das gilt auch für Deutschland?

Weber: Ja. Die europäisch orientierte Geldpolitik passt auch zu der Entwicklung in Deutschland. In Deutschland ist das langfristige Wachstumspotenzial zwar niedriger als im Euroraum. Es ist aber nicht Aufgabe der Geldpolitik, sondern Aufgabe der nationalen Wirtschaftspolitik, hier Strukturreformen in Gang zu setzen, die das Wachstumspotenzial anheben.

SZ: Haben die Arbeitnehmer nicht einen ordentlichen Lohnzuschlag verdient?

Weber: Im Umfeld von einer immer noch hohen Massenarbeitslosigkeit sollten Tarifabschlüsse in konjunkturell guten wie schlechten Zeiten die Schaffung von mehr Beschäftigung in den Mittelpunkt stellen. Wir müssen mehr Leute in Beschäftigung bringen. Die ist uns jüngst gelungen und dabei war eine gewisse Lohnzurückhaltung förderlich.

SZ: Bedeuten höhere Löhne auch eine Gefahr für die Preisstabilität?

Weber: Die jüngsten Tarifabschlüsse in Deutschland waren höher als von uns noch vor einem Jahr erwartet. Bei der dynamischen Konjunkturentwicklung steigt das Risiko, dass Firmen ihren Spielraum nutzen, um höhere Kosten an die Konsumenten weiterzugeben.

SZ: Bedeuten höhere Löhne nicht mehr Konsum?

Weber: Den Konsum stützt eine Erhöhung der Beschäftigung stärker und nachhaltiger als eine Lohnerhöhung. Das zeigen unsere eigenen Untersuchungen. Gerade das Kaufkraftargument kann deshalb nicht für Lohnsteigerungen genutzt werden, sondern spricht für mehr Beschäftigung.

"Ich spüre Tatendrang"

SZ: Liegen die Gefahren für die Preise nicht eher in der hohen Liquidität, die Aktienkurse und andere Vermögenswerte treibt und sich auf die reale Wirtschaft übertragen könnte?

Weber: Wir sehen eine Reihe von Preisrisiken. Aktuell kommen die Gefahren neben der starken Liquiditätsdynamik auch von der Binnenwirtschaft, etwa der Lohnentwicklung, der hohen Kapazitätsauslastung oder von größeren Überwälzungsspielräumen. Aber auch die Kreditvergabe ist weiterhin dynamisch.

SZ: Trotz der höheren Zinsen verteuern sich einige Vermögensanlagen weiter. Wirkt die Geldpolitik nicht?

Weber: Die Finanzmärkte spiegeln die gute Ertragslage der Unternehmen wider, insofern passt das gut zur Konjunktur. Weil die Marktteilnehmer sehr zuversichtlich sind, bewerten sie Risiken geringer. Die Risikoaufschläge sind auf historisch niedrigem Niveau. Das beinhaltet die Gefahr, dass es zu Rückschlägen kommt.

SZ: Wie die Kursrückgänge an den Börsen im März oder im Mai 2006.

Weber: Ja, aber Finanzmärkte sind häufig durch Volatilität gekennzeichnet und Kurskorrekturen sind nichts Ungewöhnliches. Wir Notenbanken müssen auf ein funktionierendes Risikomanagement pochen, damit die Marktteilnehmer in einem weniger günstigen Umfeld abgefedert sind. Die neuen Finanzinstrumente, etwa jene zum Transfer von Kreditrisiken oder Derivate, haben ihre Leistungsfähigkeit noch nicht im Krisenfall unter Beweis gestellt.

SZ: Können die Notenbanken die globale Liquidität einfangen, die 2001 mit niedrigen Leitzinsen entfesselt wurde?

Weber: Die von Notenbanken zur Verfügung gestellte Liquidität ist nur ein Teil der gesamten globalen Liquidität. Finanzmärkte generieren auch eigene Liquidität über gehebelte Positionen oder Kreditvergabe. Diese globale Liquidität sucht rentable Anlagemöglichkeiten. Der Euroraum ist attraktiv für Finanzinvestoren, mit der Folge, dass Geld von außen zufließt. Überschussliquidität birgt aber mittel- bis langfristig auch Inflationsrisiken. Diesen muss die Politik der Notenbank entgegentreten.

SZ: Hat die Notenbank auf die nicht von ihr zur Verfügung gestellte Liquidität genug Einfluss?

Weber: Dass Geld- und Kreditschöpfung auf entwickelten Banken- und Finanzmärkten nicht allein vom Handeln der Notenbanken abhängt, heißt nicht, dass Notenbanken darauf überhaupt keinen Einfluss haben. Eine Straffung der Geldpolitik leistet letztlich eine Dämpfung der Überschussliquidität. Was Notenbanken Sorgen bereitet ist, dass in einem Umfeld hoher Liquidität manche Marktteilnehmer zu Sorglosigkeit neigen und Risiken nicht richtig bepreist werden.

SZ: Was könnte die Neueinschätzung der Risiken auslösen?

Weber: Etwa eine stärkere Abkühlung der Konjunktur als erwartet oder ein Nachlassen der Gewinndynamik in Unternehmen. Die historisch niedrigen Risikoaufschläge gehen auf günstige Konjunktur- und Profitabilitätserwartungen zurück. Marktteilnehmer sollten die Risiken ausgewogener einordnen und auch die eine oder andere weniger vorteilhafte Entwicklung bei ihrer Anlagestrategie mit in Betracht ziehen.

SZ: Sie sind ein Jahrgang mit der Bundesbank, die im Sommer ihr 50jähriges Bestehen feiert. Haben Sie ein gemeinsames Motto mit ihrer Institution gefunden?

Weber: Ich persönlich spüre Tatendrang und schaue wie die Institution Bundesbank in die Zukunft. Die Bundesbank hat sehr fachkundige Mitarbeiter mit viel Erfahrung und kann ihre Stabilitätsorientierung in das Eurosystem einbringen und damit den Währungsraum aktiv mitgestalten.

SZ: Sie gelten als strenger Geldpolitiker, der schneller als andere zu Zinserhöhungen neigt.

Weber: Ich bin davon überzeugt, dass Preisstabilität wichtig ist. Konjunkturelles Strohfeuer durch laxe Geldpolitik zu entfalten ist nicht meine Philosophie.

SZ: Sie sollen auch überholte Konzepte verteidigen, wie die Orientierung an der Geldmenge.

Weber: Der Vorwurf, wir wären altmodisch, wenn wir den Wert der monetären Analyse betonen, trifft weder mich noch das Eurosystem. Wir jedenfalls sind weder auf dem realwirtschaftlichen noch dem monetären Auge blind. Würden wir die Geldpolitik nur an der Konjunktur ausrichten, hätten wir zwar weniger Konflikte mit der Regierung, würden aber unserem Mandat zur Sicherung von Preisstabilität nicht gerecht.

SZ: Sind andere Notenbanken blind?

Weber: Auch bei anderen Notenbanken spielt die monetäre Seite eine Rolle. Wichtig ist, dass unsere Strategie uns geholfen hat, relativ nahe bei unserer Preisstabiliätsnorm zu bleiben. Letztlich zählt der Erfolg, und unsere Strategie ist dafür mitverantwortlich, dass wir in den letzten achteinhalb Jahren recht erfolgreich waren.

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