Versicherungen:Die Maschine urteilt

Eine Mutter verletzt sich beim Spiel mit ihren Kindern. Den Schaden meldet sie dem privaten Unfallversicherer. Bislang entscheidet ein Mitarbeiter, ob sie Geld erhält. Bald könnte Software den Job übernehmen - mit bitteren Konsequenzen.

Von Anna Gentrup, Köln

Eine Mutter tobt mit ihren Kindern, sie stürzt und verletzt sich am Fuß. Den Schaden meldet sie ihrem privaten Unfallversicherer. Sie erläutert den Unfallhergang schriftlich und reicht den Bericht des Hausarztes beim Versicherer ein. Bislang übernimmt in solchen Fällen ein Mitarbeiter des Versicherungsunternehmens den Fall. Er prüft die Schadenmeldung und den Unfallhergang und versucht, Betrugsabsichten zu erkennen. Dann folgt die Entscheidung, ob der Versicherer den Schaden zahlt oder nicht. Doch in Zukunft könnte das ganz anders ablaufen.

Google Deutschland, eine Tochter des globalen Internetkonzerns Alphabet, arbeitet zusammen mit der Versicherungsbranche daran, dass bald kluge Software die Haftungsfrage bei Versicherungsfällen klärt. Gemeinsam mit einem großen Unfallversicherer testete Google, ob die Technik bei Schäden von Privatkunden richtig entscheiden kann, ob der Versicherer zahlen muss oder nicht. "In 85 Prozent der Fälle lag das System richtig", sagte Jan Müller, Manager bei Google Deutschland auf einer SZ-Fachkonferenz in Köln. Das Programm untersuchte im Test eine fünfstellige Zahl von Versicherungsfällen, bei denen es um Schadensummen zwischen 500 Euro und 5000 Euro ging.

Google bietet Versicherern seine selbstlernenden Programme und Datenschnittstellen an und hofft auf gutes Geschäft. Sprach- und Bilderkennung sowie Textanalyse und Übersetzungen sind einige der Funktionen. Die Versicherer wiederum wollen ihr Geschäft automatisieren, um die Schadenbearbeitung deutlich zu beschleunigen und ihre Kosten zu senken. Die klugen Programme könnten bald tausende Versicherungsmitarbeiter ersetzen, die für die gleichen Aufgaben deutlich länger brauchen.

Bei Versicherungsmitarbeitern dürfte dieses Vorhaben naturgemäß auf wenig Gegenliebe stoßen. Sie müssen fürchten, dass ihre Arbeitsplätze in einigen Jahren den Sparvorhaben der Konzernleitung zum Opfer fällen. Auch Versicherte dürfte es irritieren, wenn nicht abschrecken, dass ein automatisierter Prozess entscheidet, ob sie eine dringend benötigte Schadenszahlung erhalten oder nicht. Aus diesem Grund werden die Versicherer wohl alles daran setzen, dass der Kunde nicht mitbekommt, ob Mensch oder Maschine seinen Fall entscheidet.

Noch steht die neue Technologie ganz am Anfang. Die Ergebnisse der Programme seien bislang nicht beeindruckend, sagte Müller. Beispielsweise könnte die Software lernen, auf Bildern Hunde, Katzen oder bestimmte Obstsorten zu erkennen. Bei Spracherkennung seien die Algorithmen bislang meistens noch schwach. Heute ist das Niveau der künstlichen Intelligenz etwa auf dem von Schimpansen, trotz Spezialbegabungen bei Schach oder dem Brettspiel Go. Die Weiterentwicklung werde aber immer schneller voranschreiten, erwartet er. "Das wird sehr schnell an das menschliche Potenzial herankommen, beziehungsweise sich darüber hinaus entwickeln", sagte Müller. Das könne in wenigen Jahren geschehen.

Damit Software die Aufgaben von Schadenbearbeitern bei Versicherern erledigen kann, muss sie zuvor riesige Datenmengen analysieren. Indem ein Programm Schäden und die zugehörigen Bearbeitungsergebnisse auswertet, lernt es, wie richtige Entscheidungen in ähnlichen Fällen aussehen.

Damit das funktioniert, müssen die Zielsetzung und Wissensstand der Analyse-Software zueinander passen. "Es kann sein, dass sie bei Machine Learning mit Kanonen auf Spatzen schießen", sagte Müller. "Entweder es bringt einen großen Mehrwert, oder se hatten nur einen riesigen Aufwand."

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