Versicherungen:Das Geschäft mit der Angst

Das weltweite Geisel-Geschäft boomt. Seit einigen Jahren bieten deshalb deutsche Versicherungen spezielle Entführungsversicherungen an. Sie übernehmen die nötigen Kosten, um ihre Kunden aus den Händen ihrer Entführer zu befreien. Ein Urteil, das das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg jetzt fällte, dürfte die Nachfrage weiter ankurbeln.

Frederik Obermaier

Einmal Geiselbefreiung, macht 12.640 Euro: Für einen Hubschrauberflug aus dem kolumbianischen Dschungel in die Freiheit stellte das Auswärtige Amt im Jahr 2003 einer Bremer Physiotherapeutin die Kosten in Rechnung. Die ehemalige Geisel weigerte sich zu zahlen und zog vor Gericht. In zweiter Instanz entschied am Donnerstag das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, dass im Ausland entführte Deutsche die Kosten ihrer Geiselbefreiung mittragen müssen. Das Urteil dürfte einem Randprodukt der Versicherungsbranche zu weiterem Aufschwung verhelfen - der Entführungsversicherung.

Die Anbieter der Policen erstatten im Fall einer Geiselnahme das Lösegeld, zahlen aber auch Vermittler, Dolmetscher sowie Psychiater und Ärzte zur Nachbetreuung. Einige Versicherungen beteiligen sich auch an den Kosten für Sicherheitstrainings ihrer Klienten. Für Unternehmen bewegen sich die Deckungssummen dabei durchschnittlich zwischen fünf und zehn Millionen Euro, "bei Privatpersonen auch darunter", sagt Stefan Siepold vom Frankfurter Versicherungsmakler Marsh. Bei den Prämien gebe es "einen Verhandlungsspielraum". Experten sprechen von Summen im fünfstelligen Bereich.

In Deutschland bieten nur wenige Versicherungsunternehmen - darunter Allianz, AIG Europe, Chubb, HDI Gerling, die Nassau Versicherung - Entführungs-Policen an. Hiscox vermittelt seine Kunden an die Mutterfirma in London. Sie ist nach eigenen Angaben der weltweit größte Anbieter von "Kidnap & Ransom"-Versicherungen.

Vorbild USA

Das Geschäft läuft derzeit gut für die Entführungs-Versicherer: Tendenziell würden die Policen immer mehr nachgefragt, sagt Siepold. Nach der heutigen Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg rechnet er "mit einer steigenden Nachfrage".

Während es Lösegeld-Policen in Amerika schon seit der Entführung des Sohnes von Flieger-Pionier Charles Lindbergh im Jahr 1932 gibt, galten sie in Deutschland lange Zeit als sittenwidrig. Erst 1998 erlaubte das frühere Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, die heutige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Versicherung - allerdings auch nur unter strengen Auflagen. So dürfen die Versicherungsunternehmen nach BaFin-Angaben keine Werbung für ihre Kidnapping-Policen machen. Sämtliche Daten müssen verschlüsselt werden und über den Abschluss eines Vertrages soll auch der Versicherte "höchstens drei Personen seines Vertrauens" einweihen.

"Teilweise weiß es die Familie des Versicherten selbst nicht", sagt ein Sprecher des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Über weitere Details des "hochsensiblen Produkts" hüllt er sich in Schweigen. Er sei angehalten, darüber "wenig bis gar nichts" zu sagen. Denn wenn bekannt würde, dass bestimmte Manager eine entsprechende Versicherung abgeschlossen haben, könnte dies die Entführungsgefahr erhöhen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: