Verräterische Mails:"Hoffe, wir sind reich, bevor Kartenhaus zusammenbricht"

Lesezeit: 3 min

Die US-Börsenaufsicht legt in einem Report offen, wie Mitarbeiter der Ratingagenturen die Krise bereits vorausahnten.

Alexander Hagelüken

Wenn zwei Kollegen unter sich sind, wirklich unter sich, dann werden sie schon mal vertraulich. Die beiden Analysten einer großen Agentur für die Bewertung von Wertpapieren waren unter sich im Dezember 2006, als der eine dem anderen eine E-Mail schickte.

Darin ahnte er die Finanzkrise voraus, die inzwischen weltweit Konjunktur und Aktienkursen schadet und allein den Banken Verluste von etwa 400 Milliarden Dollar beschert hat. Der Analyst misst der Arbeit der Ratingagenturen, seiner eigenen Arbeit, eine große Schuld an der Katastrophe zu, die er kommen sah: "Wir züchten hier das nächste Monster heran. Hoffentlich sind wir alle reich und in Pension, bevor dieses Kartenhaus zusammenbricht."

Inzwischen sind die beiden Analysten nicht mehr unter sich. Die amerikanische Börsenaufsicht SEC hat diese Woche ihre E-Mails veröffentlicht, ohne ihre Namen zu nennen, zusammen mit weiteren anonymen Mails aus den Agenturen.

In dem 37seitigen Report der Börsenaufsicht finden sich Perlen der Erkenntnis darüber, wie die mächtigen Ratingagenturen ihre Arbeit machten, beziehungsweise nicht machten. "Ich konnte nur die Hälfte der Risiken des Geschäfts abschätzen", notiert eine namenlose Analystin. Ein Kollege schreibt: "Wir haben überhaupt nicht die Ressourcen, um das zu tun, was wir tun".

Blind fürs Risiko

Die Börsenaufsicht SEC bestätigt damit die Einschätzung vieler Beobachter, dass die Ratingagenturen für die Finanzkrise mitverantwortlich sind. Binnen weniger Jahre haben sich Firmen wie Standard & Poor's, Moody's oder Fitch eine zentrale Stellung in der Wirtschaftswelt erobert.

Von ihrer Bewertung von Anleihen und anderen Finanzprodukten hängt ab, welchen Preis der Verkäufer bei der erstmaligen Ausgabe erzielen kann. Anleger investieren aufgrund der Bewertungen Milliarden, oder sie investieren eben nicht. Ohne Rating geht inzwischen nichts mehr.

Den Agenturen wird vorgeworfen, der Verantwortung ihrer herausragenden Position keineswegs gerecht geworden zu sein. Vor allem gaben sie komplizierten Papieren, die auf amerikanischen Immobilienkrediten fragwürdigen Inhalts beruhten, sehr gute Noten - Investoren dachten, die Papiere seien ohne großes Risiko und griffen zu. Inzwischen sind viele Kredite geplatzt und die Kurse der Papiere gefallen. Dabei hinkten die Agenturen mit der Bewertung der fallenden Papiere hinterher.

Ein Grundproblem ist, dass Moody's und Co. von den Zahlungen der Finanzhäuser leben, deren Papiere sie bei der Emission bewerten. Es wird daher vermutet, dass sie die Papiere zu günstig bewertet haben, um sich das Geschäft nicht zu verderben.

In dem SEC-Report finden sich dafür Belege. Ein Analyst zeigt sich unsicher, ob er ein kritisches Rating aussprechen soll, weil dies Einnahmen kosten könnte. "Ich versuche abzuschätzen, ob wir wegen unserer Entscheidung Umsatz verlieren, und wenn ja, wieviel?"

In einer anderen E-Mail erwähnen Mitarbeiter eine Zusammenkunft, die ein schlechtes Licht auf die Zustände bei den Agenturen wirft: "Wir treffen uns diese Woche um zu diskutieren, ob wir die Kriterien für Ratings anpassen, weil wir Geschäft zu verlieren drohen". Kritisch merkt die Börsenaufsicht an, es scheine bei einer bestimmten Agentur keine Bemühungen gegeben zu haben, die offiziell unabhängigen Analysten von Diskussionen über Gebühren und Einnahmen von Emittenten abzuschirmen.

"Wie von einer Kuh"

Aus manchen E-Mails ist der Eindruck zu gewinnen, dass es Agenturen nicht um Sorgfalt, sondern um schnellen Gewinn geht. "Unsere dünne Personaldecke wirft die Frage auf, ob wir unsere Gebühren überhaupt wert sind", schreibt ein Mitarbeiter im April 2007. Ein anderer kritisiert einen Kollegen: "Wenn ich die Börsenaufsicht wäre, würde ich prüfen, warum du immer die selben Annahmen verwendest."

Die amerikanische Börsenaufsicht ruft längst nach Reformen. Vor kurzem wurde beschlossen, die Bezahlung der Agenturen zu verändern, um sie unabhängiger von den Auftraggebern zu machen. Die Aufseher wollen auch die Macht der Agenturen beschneiden. Bestimmte Investmentfonds sollen nicht mehr gezwungen werden, Wertpapiere nur zu kaufen, wenn diese ein Rating haben. Auch in Europa wird über Reformen beraten.

Die EU-Finanzminister beschlossen diese Woche, alle Ratingagenturen müssten sich in Europa registrieren. Auf diese Weise soll es möglich sein, sie besser zu kontrollieren.

Ob das schon reicht, um die Arbeit der Agenturen zu verbessern, ist sehr fraglich. Politiker und Aufsichten auf beiden Seiten des Atlantiks wollen in den kommenden Monaten weitere Vorschläge machen.

Alle drei großen Rating-Agenturen gelobten nach Erscheinen des SEC-Reports, ihre Praktiken zu verbessern. Von welcher Agentur genau welche Mails stammen, verrät die Börsenaufsicht nicht.

Ebensowenig äußern sich die Agenturen diese Woche zum hochinteressanten Inhalt des elektronischen Briefverkehrs. Es ist auch zu peinlich. Noch ein Beispiel? Im April 2007 schrieb eine Analystin in der schon erwähnten Mail, sie habe die Risiken des Geschäfts eben nur zur Hälfte abschätzen können, bevor sie ihre Bewertung abgab.

Keine besonders seriöse Arbeit, fand sie offenbar selbst. Dann flüchtet sie sich in Fatalismus über die Praktiken ihres Arbeitgebers: "Selbst wenn dieses Produkt von Kühen konstruiert worden wäre: Wir würden es trotzdem bewerten."

© SZ vom 11.07.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: