Vergnügungssteuer gegen die Sucht:Die Spielverderber

Die Zahl der Geldspielautomaten wächst drastisch und damit die Fälle von Spielsüchtigen. Viele Kommunen wollen nicht länger zusehen - und ziehen den Hebel Vergnügungssteuer.

Karin Prummer und Dominik Stawski

Von wegen Spiel und Entertainment. Für Bürgermeister Stefan Bubeck (CDU) bedeuten Spielhallen nur Ärger. In seiner 10000-Einwohner-Stadt Mengen in Baden-Württemberg führt er seit einem Jahr einen Kampf gegen sie. "Es kostet Kraft, aber es lohnt sich", sagt Bubeck. Wie in so vielen deutschen Kommunen blinkten in immer mehr Spielhallen der Stadt immer mehr Automaten. 2004: vier Hallen, 2009 sieben, und es lagen drei weitere Anträge auf dem Tisch. Der Gemeinderat erhöhte im März vergangenen Jahres die Vergnügungssteuer von 15 auf 20 Prozent. Es reichte nicht, es kamen trotzdem neue Anträge. Sechs Monate später hoben sie den Satz erneut. Jetzt verlangen sie in Mengen 25 Prozent auf die Umsätze eines jeden Geldspielautomaten, das ist der wohl bundesweit höchste Satz.

Wenn Spielen zur Sucht wird

Wenn Spielen zur Sucht wird ARCHIV: Ein Jugendlicher steckt ein Geldstueck in einen Geldspielautomaten einer Spielothek in Aue (Foto vom 22.11.00). Es sind vorwiegend Maenner, die den eher stillen 'Dialog' mit dem Spielautomaten suchen. Ihr Alter reicht meist von Mitte 20 bis Anfang 40. Wie viele von ihnen abhaengig sind und fast taeglich in der Spielothek oder der Kneipe um die Ecke versuchen, das kleine oder grosse Glueck zu finden, laesst sich nicht sagen. Statistiken fehlen, die Dunkelziffern sind hoch. Deutschlandweit rechnen Experten mit 90.000 bis 150.000 Spielsuechtigen, sagt Kerstin Klanert, Leiterin der Suchtberatungsstelle der Magdeburger Stadtmission der evangelischen Kirche. (zu ddp-Text) Foto: Uwe Meinhold/ddp *** Local Caption ***

(Foto: ag.ddp)

Steuer raufsetzen und das Geschäft mit den Automaten damit unrentabel machen? Darüber denken gerade Kommunen in vielen Bundesländern nach. Eine aktuelle Studie des "Arbeitskreises gegen Spielsucht", der bundesweit die umfassendsten Zahlen zum Spielhallenmarkt erhebt, zeigt, dass die Zahl der Geldspielautomaten in Deutschland von 2006 bis 2010 drastisch angestiegen ist - in allen Bundesländern. In Baden-Württemberg um 82 Prozent, in Berlin um 65,5, in Bayern um mehr als 60 Prozent.

Wer Bürgermeister nach Spielhallen fragt, bekommt Antworten, die nach Katastrophen klingen: Seuche, Plage, die Hallen stürzten die Menschen doch ins Verderben; machten wegen ihres Schmuddelimages Stadtviertel für anderes Gewerbe unattraktiv; die Gemeinden hätten rechtlich kaum Chancen, die Verbreitung zu begrenzen.

Das Spiel am Automaten gilt formal nicht als Glücksspiel, das der Staat strenger kontrolliert. Spielbanken unterliegen dem Glücksspielstaatsvertrag, die Automaten sind laut dem Gesetzgeber "Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit", die der Unterhaltung dienen. Gemäß der Gewerbeordnung und dem Baurecht muss eine Gemeinde eine Halle in vielen Stadtgebieten zulassen, wenn der Betreiber die Auflagen erfüllt: Jugendschutz, Sanitäranlagen und so weiter.

Deswegen sehen viele Gemeinden nur einen Hebel: die Vergnügungssteuer. Über die Höhe der Steuer können die Kommunen selbst entscheiden. Auch in Berlin sind sich die Parteien im Abgeordnetenhaus einig, dass etwas passieren muss. Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) hat sich der Forderung nach höheren Steuern angeschlossen. "Wir haben eine moralische Verantwortung, vor allem gegenüber Jugendlichen und sozial Schwächeren." Bislang beträgt die Steuer in Berlin elf Prozent, nun sind 15 Prozent im Gespräch. Problematisch wird es erst dann, wenn aus der Vergnügungssteuer eine existenzgefährdende Abwürgesteuer wird, dann könnte sie verfassungswidrig sein.

Die Vergnügungssteuer wird bislang in allen Ländern außer in Bayern erhoben. Die Oppositionsparteien im Landtag wollen sie nun wegen der Spielhallen einführen und haben Gesetzesentwürfe eingereicht. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte die Steuer selbst ins Gespräch gebraucht, doch nun zögert die CSU. Herrmann befürchtet, dass einige Gemeinden wegen der zusätzlichen Einnahmen sogar Interesse daran haben könnten, dass sich Spielhallen ansiedeln. Branchenvertreter werfen den Kommunen vor, sie wollten mit der Steuer nur die Kassen füllen. "Wir sind völlig enttäuscht und empört", sagt etwa der Justitiar des Verbandes der Automatenkaufleute Berlin und Ostdeutschland, Hendrik Meyer. Die Ausbreitung der Spielhallen lasse sich nicht über eine Steuer regeln, das Planungsrecht der Kommunen sei völlig ausreichend. "Eine Erhöhung der Steuer wäre eine Katastrophe." Arbeitsplätze seien gefährdet.

Von Rekord zu Rekord

Die Branche jedoch jagt gerade von Rekord zu Rekord. Im vergangenen Jahr machte sie in Deutschland 3,3 Milliarden Euro Umsatz, so viel wie nie zuvor. Als einen wichtigen Grund sehen Experten, dass das Wirtschaftsministerium 2006 die Spielverordnung liberalisiert hat. Seitdem laufen die Spiele schneller, liegen die möglichen Gewinne, aber auch die möglichen Verluste (80 Euro pro Stunde) höher, und es dürfen mehr Spielautomaten in den Hallen stehen. Der Anreiz zu spielen, ist damit gestiegen.

Was Lokalpolitiker mit ihren Steuerplänen machen, sei deshalb nur ein "Herumdoktern an Symptomen", sagt Gerhard Meyer, Rechtspsychologe an der Universität Bremen. Meyer forscht seit Jahrzehnten zum Thema Glücksspiel. Die Ursachen des Booms liegen im Spiel. Die beträchtlichen Gewinne, die hohe Frequenz, das reize den Menschen einfach zu sehr. Er fordert, dass die Spielverordnung geändert wird. Statt 500 Euro soll ein Spieler nur noch 45 Euro pro Stunde gewinnen können. Nur so könne man der Lage Herr werden, sagt er.

Das Wirtschaftsministerium hat die Folgen der Verordnung vom Münchner Institut für Therapieforschung untersuchen lassen. Die Forscher befragten Hunderte Spieler und Hallenbetreiber. Die fertige Studie liegt seit wenigen Wochen im Ministerium, zu den Inhalten will sich noch niemand äußern. Rechtspsychologe Meyer sitzt im wissenschaftlichen Beirat der Studie. Er kennt nur die Zwischenergebnisse, aber er ist sich sicher: "Die Studie ist brisant. Die Ergebnisse werden zu einer Novellierung der Spielverordnung führen." Das Wirtschaftsministerium will bis Ende des Jahres dem Bundesrat einen Bericht über die Ergebnisse vorlegen. Dann können die Debatten beginnen, am Ende muss die Länderkammer einer Änderung zustimmen.

Im Saarland lässt die Regierung gerade prüfen, ob man nicht mit einem Landesgesetz schneller reagieren könnte. Zwar gilt die Spielverordnung des Bundes, die die Grundregeln des Spiels bestimmt. Aber seit der Föderalismusreform 2006 liegt das "Spielhallenrecht" in der Hand der Länder. Inwieweit sie mit Landesgesetzen die Ausbreitung der Hallen begrenzen dürfen, ist aber juristisch umstritten.

Viele Kommunen wollen nicht mehr warten. Ihnen bereitet Sorgen, was sie als Folgen des Booms identifiziert haben: Sucht und Kriminalität.

Von den geschätzten bis zu 290.000 Spielsüchtigen in Deutschland sind 80 Prozent vom Automaten abhängig. In Berlin hat die Polizei festgestellt, dass die Folge- und Beschaffungskriminalität im Umfeld von Spielhallen eindeutig zunimmt.

Bürgermeister Bubeck aus Mengen ist sich bewusst, dass die Vergnügungssteuer da "nur eine Stellschraube" ist, um die Ausbreitung zu begrenzen. Der Gemeinderat, der in den vergangenen zwei Jahren gleich zweimal die Steuer erhöht hat, erzielte damit eine unverhoffte Wirkung: Die Hallen sind zu. Die Betreiber haben Widerspruch gegen die hohen Steuern eingelegt, am 3. Mai sind sie in den Ausstand getreten. In der Stadt haben sie sich darüber gefreut, sagt Bubeck. Bald wird es wohl einen Gerichtsprozess geben. 25 Prozent, so argumentieren die Gegner, sind existenzgefährdend.

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