Verbraucherschützerin Mohn:"Schlechte Beratung muss weh tun"

Nach dem Fall Lehman: Verbraucherschützerin Dorothea Mohn fordert mehr Schutz für Anleger und eine stärkere Haftung der Banken.

Simone Boehringer

Im Zuge der Finanzkrise gewinnen Verbraucherschützer in der Politik an Einfluss. Falsch beratene Privatanleger etwa werden bald mehr Zeit und Mittel haben, Profis etwaiges Fehlverhalten nachzuweisen. Nach der schlechten Erfahrung mit Zertifikaten der US-Pleitebank Lehman Brothers fordert der Verbraucherzentrale-Bundesverband (VZBV) mehr: Finanzberater sollen wie Ärzte sein, Kunden "müssen sich auf Diagnose und Medikamentierung verlassen können", sagt VZBV-Geldanlage-Expertin Dorothea Mohn im Interview. Anlegerschutz ist ein Schwerpunktthema auf der Anlegermesse in Stuttgart.

Lehman, Bank, ddp

Der Fall Lehman Brothers: Tausende Kunden, auch in Deutschland, haben Zertifikate der Pleite-Bank gekauft - und viel Geld damit verloren.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Frau Mohn, Verbraucherschützer wie Sie fordern seit langem, die Menschen bei der Geldanlage besser zu schützen. In der Bankenbranche hat man Sie dafür gerne belächelt. Aber auch bei Politikern fanden Sie teils wenig Gehör. Hat sich mit der Finanzkrise etwas geändert?

Dorothea Mohn: Eine Politik, die sich allein an den Bedürfnissen der Anbieterseite orientiert, ist gescheitert. So finden wir heute definitiv mehr Gehör bei der Politik als vor Ausbruch der Krise. Das ist auch das Verdienst der Verbraucher selbst, die in den vergangenen Monaten in ihren Wahlkreisen an Abgeordnete herangetreten sind, um diese mit ihren persönlichen Fällen zu konfrontieren. Zudem haben wir der Politik gegenüber verdeutlichen können, dass es in Deutschland ein systematisches Problem in der Bankberatung gibt. Der schnöde Verweis auf Einzelfälle, wie er in der Finanzbranche üblich war, zieht nicht mehr.

SZ: Wo genau sehen Sie ein systematisches Problem?

Mohn: Insbesondere bei Zertifikaten zeigt die wachsende Anzahl von Verbraucherbeschwerden, dass über diese Produktkategorie offenbar bei vielen Instituten nicht richtig aufgeklärt worden ist. Bei den uns bekannten Fällen wurde etwa den Kunden häufig nahegelegt, von gesicherten Einlagengeschäften, also Sparbriefen, Tages- oder Festgeld, in Zertifikate umzuschichten, ohne den Kunden gleichzeitig zu erklären, welche Risiken die Anlageformen in sich bergen.

SZ: Der Totalverlust, den Anleger mit Zertifikaten der amerikanischen Pleitebank Lehman Brothers erlitten, dient Kritikern als willkommener Präzedenzfall, kompliziertere Anlageprodukte unter Generalverdacht zu stellen. Hätte der Gesetzgeber den Verkauf solcher Papiere in Deutschland verhindern können?

Mohn: Ja, zumindest in dieser Breite. Ausgerechnet in den liberalen USA sind Zertifikate für den Vertrieb an Privatanleger ja nicht zugelassen, weil eben diese Papiere als zu riskant eingestuft wurden. So hätte man auch in Deutschland den aktiven Verkauf an Privatanleger verbieten können, ähnlich wie dies hierzulande für Hedgefonds gilt. Die Fonds dürfen nicht aktiv vermarktet oder an Private verkauft werden - es sei denn, die Kunden fragen explizit danach. Das wäre ein guter Ansatz auch für Zertifikate. Profis wäre der Zugang nicht versperrt, unbedarfte Rentner, denen die Lehman-Zertifikate offenbar zuhauf zum Verhängnis geworden sind, wären geschützt.

SZ: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem Lehman-Fall generell für den Anlegerschutz in Deutschland?

Mohn: Vordringliches Ziel muss es sein, die Qualität in der Anlageberatung deutlich zu verbessern. Allen Beratern müsste klar sein, dass sie für falsche Empfehlung empfindlich haften. Wenn klar wäre, dass schlechte und falsche Beratung dem Verkäufer richtig weh tun kann, wäre vieles anders.

SZ: Wie wollen Sie das erreichen?

Mohn: Dazu benötigen wir präventiven Druck. Die konsequenteste und beste Lösung wäre eine Beweislastumkehr zugunsten der Verbraucher. Die Bank sollte nachweisen müssen, dass sie richtig beraten hat und nicht der Kunde das Gegenteil, wie es derzeit noch gilt. Darüber hinaus ist es wichtig, die unabhängige Honorarberatung auszuweiten, wie sie etwa in Großbritannien oder Skandinavien schon durchaus üblich ist. Eine direkte Vergütung der Beratungsleistung an sich, statt einer indirekten Vergütung über Provisionen bei Vertragsabschluss ist die Voraussetzung für eine wirklich neutrale und gute Beratung. Die Provisionen hängen nämlich fast immer am Verkauf bestimmter Produkte, damit ist ein Interessenkonflikt programmiert.

SZ: Haben Sie diesbezüglich schon etwas erreicht?

Mohn: Gut sieht es hinsichtlich der Verlängerung der Verjährungsfristen aus. Auch soll es in Kürze zumindest eine bessere Beweisbarkeit für Anleger geben, die falsch beraten wurden. Beides ist im Regierungsentwurf zur Reform des Schuldverschreibungsrechts enthalten.

SZ: Was konkret bedeutet das für die Privatanleger?

Mohn: Künftig werden Verbraucher deutlich mehr Zeit haben, um Beratungsfehler zu erkennen und rechtliche Schritte einzuleiten. Heute muss ein Beratungsfehler binnen drei Jahre nach Kauf des Produkts bemerkt und anzeigt werden. Das ist zu kurz. Künftig gilt eine Verjährung von zehn Jahren ab Kauf. Innerhalb dieser Zehnjahresfrist haben Verbraucher dann drei Jahre ab Kenntnis, dass die Beratung fehlerhaft war, Zeit, Ansprüche geltend zu machen. Darüber hinaus wird es eine gewisse Beweiserleichterung für die Anleger dadurch geben, dass Kunden künftig auf eine verpflichtende Dokumentation des Beratungsgesprächs zurückgreifen können.

Im zweiten Teil: Verbraucherschützerin Mohn fordert mehr ökonomische Bildung - und sagt, wie die Banken ihre Beratung ändern müssen.

Bankberater als Lehrer

SZ: Sie führen lauter Regeln an, die in erster Linie die Verbraucher vor sich selbst schützen. Gibt es auch Ansätze, wie sich Verbraucher selbst vor Reinfällen bei der Geldanlage schützen können?

Mohn, oh

Verbraucherschützerin Dorothea Mohn: "Allen Beratern müsste klar sein, dass sie für falsche Empfehlung empfindlich haften."

(Foto: Foto: oh)

Mohn: Ich sehe es schon als staatliche Aufgabe, Verbraucher vor unseriösen Produkten und unpassenden Empfehlungen zu schützen. Der so gern bemühte mündige Verbraucher, der auf Augenhöhe mit den Anbietern agiert, ist bei so komplexen Themen wie Finanzdienstleistungen eine Fiktion. Das hat natürlich Gründe. So fehlt es schlicht an Angeboten, die Verbraucher mündig zu machen. Wir haben in unseren Schulen zumeist nicht einmal ein Fach Wirtschaft. Das Thema Geldanlage ist schon gar nicht in Lehrplänen verankert. Gleichzeitig wird den Bürgern gesagt, sie müssen sich privat mehr um ihre Altersvorsorge kümmern, weil die staatliche Rente nicht ausreicht. Da passen Anspruch und Wirklichkeit nicht zusammen.

SZ: Wie wäre es mit mehr ökonomischer Bildung, wie es Experten seit langem fordern?

Mohn: Das unterstützen wir natürlich. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Das merken die Verbraucherschützer vor Ort ja jeden Tag. Der aktuelle Beratungsbedarf ist riesig. Und wo sollen hauptberufliche Bäcker, KfZ-Mechaniker und Lehrer plötzlich das tiefgründige Wissen hernehmen, um ihre Altersvorsorge autark in die Hand zu nehmen und die verschiedenen Angebote alleine abzuwägen? In anderen Lebensbereichen wie der Gesundheit, wird von den Menschen auch nicht verlangt, Experte zu sein. Sie können und müssen sich bei Diagnose und Medikamentierung auf den Arzt verlassen können. Soweit müssen wir auch in der Anlageberatung kommen.

SZ: Was genau ist ihr Ziel?

Mohn: Unsere Forderungen zielen darauf ab, dass die Unterstützung der Kunden zur Entscheidungsfindung bei der Geldanlage fair und sauber abläuft. Wer falsch berät, muss dafür geradestehen und haften. Hier passt wieder der Vergleich mit dem Arzt: Wenn der aus Versehen den falschen Zahn zieht, muss er auch entschädigen.

SZ: Das klingt danach, dass Sie Bankberater zu Lehrern machen wollen.

Mohn: Ich halte es für unrealistisch, dass die Schule die Menschen für alle Lebensbereiche fit macht. Wir leben in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Spezialthemen wie etwa die Gesundheit oder eben auch die Altersvorsorge bleiben beratungsintensiv. Hier dürfen Berater, wenn sie sich schon so nennen, nicht nur im eigenen Verdienstinteresse handeln.

SZ: Kann man die Menschen nicht auch anders vor ihrer Gier schützen, indem man ihnen zum Beispiel klarmacht, dass sie eben nicht immer nach Hilfe oder neuen Gesetzen rufen können, wenn sie sich verspekuliert haben?

Mohn: Anleger sollen nicht vor Kursverlusten geschützt werden, sondern davor, dass sie über mögliche Verluste und andere Risiken nicht richtig aufgeklärt werden. Es geht uns nicht um Leute, die bewusst spekulieren. Wir wollen nur, dass an den Kapitalmärkten fair agiert und richtig aufgeklärt wird. Es kann nicht sein, dass die Industrie das Unwissen der Anleger einseitig zu ihrem Wohl ausnutzt. Der Staat muss daher Rahmenbedingungen schaffen, die sicherstellen, dass solche Informationsungleichgewichte nicht in dem Maße wie bislang ausgenutzt werden. Das entlastet die Verbraucher natürlich nicht, sich auf Beratungsgespräche vorzubereiten und so lange nachzufragen, bis sie die ihnen empfohlene Anlagestrategie verstanden haben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: