USA: Zwangsversteigerungen:Häuserkampf 2010

Die Hypothekentricks der Banken belasten die Wall Street, Furcht vor einer neuen Krise macht sich breit. Mittendrin: die Deutsche Bank.

Moritz Koch, New York

Die Banken griffen zu bewährten Beruhigungsformeln. Die Rechtsprobleme mit Zwangsversteigerungen in den USA seien eine Lappalie, hieß es zuerst, Papierkram, der rasch erledigt sei. Doch immer mehr Investoren bekommen Zweifel. Die Unsicherheit wächst - und damit die Furcht vor einer neuen Krise an der Wall Street. An der New Yorker Börse stießen nervöse Anleger am Donnerstag massenhaft Bankaktien ab. Die Papiere der Bank of America verbuchten Verluste von mehr als fünf Prozent. JP Morgan Chase zog es fast drei Prozent ins Minus. Am Freitag setzte sich der Kursrutsch fort. In Frankfurt geriet die Deutsche Bank unter Druck.

Housing Crisis Continues To Grow In Colorado

Hausräumung in Aurora, Colorado: Die Rechtsprobleme mit Zwangsversteigerungen in den USA seien eine Lappalie, hieß es zunächst, Papierkram, der rasch erledigt sei. Doch immer mehr Investoren bekommen Zweifel. Die Unsicherheit wächst - und damit die Furcht vor einer neuen Krise an der Wall Street.

(Foto: AFP)

Die Probleme sind fundamental. Ein funktionierendes Finanzsystem ist davon abhängig, dass Kreditverträge vollstreckt werden können. Doch gerade das ist in Amerika seit ein paar Wochen nicht mehr der Fall. Weil die Banken oft nicht belegen können, dass sie der rechtmäßige Eigentümer einer Hypothek sind oder dass sie im Auftrag des rechtmäßigen Besitzers handeln, sahen sie sich gezwungen, einen Zwangsversteigerungsstopp anzuordnen. Den Anfang machte Ally Financial, früher GMAC.

Das Institut setzte in jenen 23 Bundesstaaten, in denen Zwangsversteigerungen einer gerichtlichen Zustimmung bedürfen, alle Verfahren gegen säumige Schuldner aus. Kurz darauf zogen JP Morgan und Bank of America nach. Vergangenen Freitag weitete die Bank of America ihr Moratorium sogar auf das gesamte Land aus. Seither versichern die Konzerne mantraartig: In ein paar Wochen sei das Problem gelöst. Doch viele Ökonomen stellen das in Frage. Der linksliberale Nobelpreisträger Paul Krugman warnt bereits: "Das Hypothekenschlammassel kann eine neue Finanzkrise auslösen."

Die Rollenverteilung im Kredit-Morast ist unübersichtlich. Das Chaos ist ein Resultat des Verbriefungsgeschäfts, das bis 2007 an der Wall Street florierte. Investmentbanken erwarben Hypotheken, die von kleineren Kreditinstituten vergeben wurden, verarbeiteten sie zu Wertpapieren und verkauften sie an Investoren in aller Welt. Dabei heuerten die Investmentbanken sogenannte Servicer an, die etwa die Ratenzahlungen der Hypothekennehmer an die Investoren weiterreichen. Zusätzlich sicherten sie sich die Dienste von Treuhändern, die im Auftrag der Investoren Verwaltungsaufgaben übernehmen und unter anderem die Dokumente aufbewahren, die die Existenz der zugrundeliegenden Hypotheken belegen.

Verliert nun ein Fabrikarbeiter in New York seinen Job und kann seine Hypothek nicht mehr bedienen, müssen die Investoren eine Zwangsversteigerung durchsetzen, um wenigstens einen Teil ihres Gelds zurückzubekommen. Der Servicer hat die Aufgabe, eine Räumungsklage gegen den Fabrikarbeiter anzuordnen und sein Haus weiterzuverkaufen. Der Treuhänder muss die benötigten Dokumente liefern und wird vor Gericht als Streitpartei genannt, ohne direkt in das Räumungs- und Versteigerungsverfahren involviert zu sein.

Wie stark die Finanzkonzerne von der aktuellen Krise betroffen sind, hängt davon ab, welche Rolle sie im großen Wertpapierkarussell der Wall Street übernommen haben. Die Bank of America, JP Morgan und Ally sind meist Servicer. Die Deutsche Bank dagegen agiert in der Regel als Treuhänder. Die Servicer stehen nun im Kreuzfeuer der Kritik, weil sie Zwangsversteigerungen fließbandartig abgefertigt haben. Oft wurden einzelne Mitarbeiter beauftragt, Tag für Tag hunderte Akten zu unterzeichnen, darunter eidesstattliche Erklärungen, in denen sie versichern, alle Papiere genau gelesen zu haben - was zeitlich unmöglich ist.

In etlichen Bundesstaaten streben Generalstaatsanwälte Prozesse gegen die Servicer an. Doch auch die Treuhänder sind ins Zwielicht geraten, weil sie in vielen Fällen die benötigen Dokumente nicht mehr auftreiben können. Die Deutsche Bank betont, dass sie ihre Akten ordentlich geführt hat. Doch wie die jüngsten Kursverluste zeigen, glauben viele Investoren nicht daran. Wie geht es nun weiter? Bekommen die Banken ihre Probleme nicht schnell in den Griff, sind die Dimensionen der Krise kaum zu unterschätzen.

Zwangsversteigerungen machen derzeit 24 Prozent aller Häuserverkäufe in den USA aus, die Moratorien der Banken drohen daher den gesamten Immobilienmarkt einzufrieren. Die labile US-Konjunktur würde das nicht verkraften. Im schlimmsten Fall könnten Gerichte sogar bereits vollzogene Zwangsversteigerungen für ungültig erklären. Ein Chaos wäre die Folge, das das Mutterland des Kapitalismus bis ins Mark erschüttern würde. Ohne klar definierte Eigentumsrechte kann keine Marktwirtschaft funktionieren.

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