USA: Regulierung des Finanzmarkts:Obamas Jahrhundertreform

Nach der Krise ist vor der Krise: Was die neuen amerikanischen Finanzmarktregeln für die Weltwirtschaft bedeuten - die wichtigsten Konsequenzen aus dem 2300 Seiten umfassenden Gesetz.

Nikolaus Piper, New York

Mit den Stimmen der Demokraten und einiger weniger Republikaner hat der US-Senat die umfassendste Reform der Finanzmarktregeln seit der Weltwirtschaftskrise beschlossen. Sie tritt in Kraft, sobald Präsident Barack Obama diese unterzeichnet hat. Er hofft, dass so die Gefahr einer neuen Finanzkrise gebannt ist. Kritiker halten die Reform für unzureichend oder zu weit gehend. Hier Antworten auf die wichtigsten Fragen zu dem 2300-Seiten-Gesetz.

1. Worin liegt die Bedeutung der Reform?

Amerika hat mit dem Gesetz die Konsequenzen aus der Finanzkrise gezogen und international die Führung bei der Reform des Finanzsystems übernommen. Das Gesetz dürfte teilweise zum Maßstab für andere Länder werden. Zwar hat die Lobby der Wall Street massiv versucht, Einfluss zu nehmen, im Ergebnis ist das Gesetz jedoch wesentlich schärfer ausgefallen, als viele erwartet hatten.

2. Was sind die wichtigsten Maßnahmen?

Erstens die Schaffung der "Resolution Authority". Demnach bekommt die Regierung das Recht, ein Finanzinstitut bei einer drohenden Pleite unter Zwangsverwaltung zu stellen und geordnet abzuwickeln. Hätte es dieses Recht schon 2008 gegeben, wäre der Zusammenbruch von Lehman Brothers verhindert worden. Der Staat ist auch nicht mehr gezwungen, Banken mit Steuermitteln zu retten. Gläubiger können daher nicht damit rechnen, dass die Regierung notfalls für ihre Ansprüche geradesteht. Das wird riskante Finanzierungen verteuern.

Zweitens wird das Geschäft mit komplexen Finanzprodukten ("Derivaten") beschränkt. Sie müssen auf transparenten Plattformen gehandelt werden. Wenn zum Beispiel eine Bank auf einen steigenden Euro wettet und die andere auf einen sinkenden, müssen beide das Geschäft über eine zentrale Clearingstelle abwickeln. Diese springt ein, sollte eine Seite zahlungsunfähig werden. Allerdings gibt es von der Vorschrift eine Reihe von Ausnahmen.

Drittens werden die Risiken der Banken begrenzt. Der profitable, aber sehr riskante Eigenhandel muss zurückgefahren werden. Die Institute dürfen nicht mehr unbegrenzt in Hedgefonds und Privatfinanzierer investieren. Geschäfte mit bestimmten Finanzprodukten ("Swaps") müssen sie aus ihrer Bilanz nehmen und in Tochterfirmen verlagern, die dann mit zusätzlichem Kapital auszustatten sind. Wenn eine Bank Hypothekenkredite zu neuen Wertpapieren (Mortgage-Backed Securities) bündelt und weiterverkauft, muss sie entweder bestimmte, sehr hohe Qualitätsstandards einhalten oder mindestens fünf Prozent der Kreditsumme in den Büchern behalten. Dies soll verhindern, dass faule Kredite bedenkenlos im Finanzsystem weiterverkauft werden.

Viertens wird ein neuer Regulierungsrat entstehen, der rechtzeitig Risiken für die Stabilität des Finanzsystems entdecken soll. Dieser Rat bekommt sogar das Recht, bei drohenden Krisen gegen einzelne Institute vorzugehen - eine bisher wenig beachtete, aber sehr weitreichende Befugnis.

Wie wird sich die Reform auf die Banken auswirken?

3. Wie wird sich die Reform auf die Banken auswirken?

Viele Institute werden Teile ihres Geschäfts veräußern oder umstrukturieren müssen. Die Details werden aber erst klar sein, wenn die Regulierungsbehörden mit der praktischen Umsetzung der Reform beginnen.

Zum Teil gelten mehrjährige Übergangsfristen. Analysten von Goldman Sachs schätzten kurz vor Abschluss der Reform, dass die großen Banken mit 13 Prozent ihres "normalen" Gewinns belastet werden, kleinere Banken mit fünf Prozent. Auch für die Bezahlung der Chefs wird sich etwas ändern. Hauptversammlungen bekommen das Recht, die Gehälter der Vorstände zu kommentieren ("Say on Pay"). Die Voten werden zwar unverbindlich sein, aber eine erhebliche öffentliche Wirkung haben.

4. Was ist aus dem Plan Obamas geworden, die großen Banken zu zerschlagen?

Die Schlagzeilen vom "Zerschlagen" der Banken waren missverständlich. Tatsächlich hatte Obama dies nie vor, er wollte stattdessen die "Volcker-Regel" umsetzen. Der frühere US-Notenbankchef und Obama-Berater Paul Volcker hatte vorgeschlagen, allen Banken, die normale Kundeneinlagen halten, Spekulation auf eigene Rechnung ("Eigenhandel") zu untersagen. Dies hätte einige Institute, etwa JP Morgan Chase oder Citigroup, gezwungen, sich von ihrem Investmentbankgeschäft zu trennen.

Zu den Überraschungen des Gesetzgebungsverfahrens gehört es, dass sich die Volcker-Regel trotz Protesten der Lobby im Gesetz gehalten hat, wenn auch in stark verwässerter Form. So werden Beteiligungen von Banken an Hedgefonds und Privatfinanzierern auf drei Prozent des Kernkapitals beschränkt. Spekulationsgeschäfte auf eigene Rechnung sind erlaubt, wenn sie der Begrenzung eigener Risiken dienen oder Liquidität für andere Marktteilnehmer bereitstellen sollen. Dabei müssen "Interessenkonflikte" vermieden werden. Diese Formulierung setzt die Banken einem hohen Risiko aus, verklagt zu werden, wenn ein Geschäft aus Kundensicht danebengeht.

Was ändert sich für die Verbraucher?

5. Was ändert sich für die Verbraucher?

Zum Schutz der Verbraucher entsteht innerhalb der Notenbank Federal Reserve eine neue Behörde, das "Consumer Financial Protection Bureau" (CFPB). Die Banken dürften versuchen, einen Teil der Kosten der neuen Gesetzgebung an die Verbraucher zu überwälzen. Kredite könnte also tendenziell teurer werden, sagen Kritiker. Befürworter des Gesetzes glauben, dass Kredite sogar billiger werden, wenn die Banken deren Kosten nicht mehr verstecken können.

6. Was bedeutet die Reform für die Ratingagenturen?

Die Ratingagenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch waren im Zuge der Finanzkrise unter massive Kritik geraten. Sie hatten die Krise lange nicht wahrgenommen, dann jedoch durch die plötzliche Herabstufung mehrerer großer Schuldner die Lage noch destabilisiert. Das Muster hatte sich während der Euro-Krise wiederholt. Die Reform lässt die Agenturen unangetastet. Allerdings können sie bei Fehlentscheidungen künftig bereits dann belangt werden, wenn sie grob fahrlässig handeln. Bisher war dies nur bei böser Absicht möglich. Die Börsenaufsicht SEC wird mit einer Studie über das Geschäftsmodell der Branche beauftragt. Wenn diese Studie in zwei Jahren fertig ist, könnte es durchaus noch zu Änderungen kommen. Im Gespräch ist ein Ausschuss, der verhindern soll, dass die Banken sich das für sie günstigste Rating aussuchen können. Oder es könnte explizit verboten werden, dass große Pensionsfonds ihre Investitionsentscheidungen von Ratings abhängig machen.

7. Was bedeutet die Reform für Hedgefonds?

Hedgefonds müssen sich künftig registrieren lassen.

8. Was ist mit den Plänen für eine Bankenabgabe?

Das Gesetz sieht keine Bankenabgabe vor. Zunächst wollte der Senat noch eine Gebühr einführen, mit der Banken für die Kosten der neuen Regulierung aufkommen sollten. Der Plan fiel dem Kompromiss mit republikanischen Senatoren zum Opfer. Stattdessen soll nun das Bankenrettungsprogramm Tarp ein paar Monate früher als geplant auslaufen. Außerdem müssen große Banken höhere Gebühren an die staatliche Einlagensicherung FDIC zahlen. Präsident Obama ist angeblich gar nicht so unglücklich über den Verzicht auf die Gebühr. Dies gibt ihm die Möglichkeit, die Bankenabgabe in einem gesonderten Gesetzentwurf einzubringen. Sie könnte dann ergiebiger gestaltet werden und besonders riskante Geschäftspraktiken zusätzlich belasten.

9. Was muss noch geschehen?

Vieles hängt davon ab, wie effizient die Regulierungsbehörden ihre neuen Aufgaben wahrnehmen. Hier muss mit Überraschungen gerechnet werden. Ungelöst ist, wie es mit den privaten, aber staatlich kontrollierten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac weitergeht. Sie haben wesentlich zum Ausbruch der Immobilienkrise beigetragen, ihr Geschäftsmodell gilt als gescheitert.

10. Reicht die Reform, um eine Wiederholung der Finanzkrise zu erreichen?

Sie macht eine neue Krise unwahrscheinlicher, aber schließt sie nicht aus. Das größte Problem liegt darin, dass es für den Umgang mit international verflochtenen Banken noch keine überzeugende Lösung gibt. Am besten wäre es, diese Institute in kleinere Einheiten zu zerlegen, die für nationale Regulierer beherrschbar sind. Doch dafür fehlt der politische Wille, in den USA ebenso wie in Europa. Entschärft werden könnte das Problem bei den derzeit in Basel laufenden Verhandlungen der internationalen Bankaufseher über neue Eigenkapitalregeln. Sie werden in der Öffentlichkeit kaum beachtet, sind aber für das Weltfinanzsystem ebenso wichtig wie die US-Reform. Je besser die Banken mit Eigenkapital ausgestattet sind, desto besser können sie Krisen überstehen. In diesem Punkt sind sich die Regierungen weltweit einig, viele versuchen jedoch, ihre nationalen Institute zu schützen. Das Ergebnis der Verhandlungen ist offen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: