USA:Ein Stück vom Himmel

New York City

Stadt der Extreme: Manche Experten befürchten, dass in New York bald nur noch sehr hohe oder sehr niedrige Häuser gebaut werden.

(Foto: Yorick Jansens/dpa)

Höher bauen als eigentlich erlaubt? Das ist in New York möglich, wenn man den Nachbarn Luftbaurechte abkauft. Der Handel damit blüht - zum Teil mit skurrilen Folgen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Das kostbare Gut, das Robert Shapiro seit mehr als fünf Jahrzehnten kauft und verkauft, lässt sich nicht anfassen. Man kann es nicht sehen, keine Fotos davon machen und es nicht in Hochglanzprospekten vermarkten. "Wir handeln buchstäblich mit nichts", sagt Shapiro, doch sein Augenzwinkern verrät, dass er von diesem Nichts sehr gut leben kann. Ja, es hat ihn gar wohlhabend gemacht und wird mit jedem Jahr noch wertvoller: Shapiro, Gründer und Chef der New Yorker Immobilienberatungsfirma City Center Real Estate, handelt mit Luftbaurechten.

Luftrechte werden benötigt, wenn sich Bauherrn bei der Errichtung eines Wohn- oder Bürogebäudes nicht mit der Maximalhöhe zufriedengeben wollen, die ihnen das örtliche Regelwerk zugesteht. Sie sind somit vor allem ein Phänomen amerikanischer Großstädte, wo Land knapp ist und sich zusätzlicher Wohnraum oft nur noch dadurch schaffen lässt, dass man in die Höhe baut. Zugleich wächst etwa in Manhattan die Nachfrage nach Apartments mit spektakulärer Aussicht und viel Licht, für Ultrareiche, die ohne zu zögern hohe zweistellige Millionenbeträge auf den Tisch legen. Der Trend geht derzeit zu spektakulären, superschlanken Wolkenkratzern.

Lange Zeit herrschte unter Juristen Einigkeit darüber, dass einem Landeigentümer auch der über seinem Grundstück liegende Luftraum gehört - gewissermaßen bis ins Weltall. Schon im 13. Jahrhundert soll der Rechtsgelehrte Accursius den lateinischen Satz "Cuius est solum, eius est usque ad caelum et ad inferos" formuliert haben, was frei übersetzt heißt: Wem Land gehört, dem gehört es bis hinauf zum Himmel und hinab zur Hölle. Mit dem Bau der ersten Wolkenkratzer, dem Entstehen des kommerziellen Flugverkehrs und der Aufnahme ästhetischer Überlegungen in die Stadtplanung wurde dieses Recht in den USA jedoch begrenzt. Seither ist die maximale Höhe eines Gebäudes, vereinfacht gesagt, an die Grundstücksgröße gekoppelt.

Der Schritt muss gut überlegt sein: Einmal verkaufter Luftraum ist für immer weg

In einem Land jedoch, in dem beinahe alles ein Preisschild hat, sind auch solche Obergrenzen verhandelbar. Wer höher bauen will als eigentlich möglich, kann die fehlenden Luftrechte schlicht zukaufen. Dazu muss er zunächst die Besitzer der angrenzenden Grundstücke und dann wiederum deren direkt Nachbarn bitten, ihm nicht genutzte Luftrechte niedrigerer Häuser zu übertragen. Das kann für beide Seiten lukrativ sein: Der Käufer darf den erworbenen Luftraum gewissermaßen aufeinander stapeln und entsprechend höher bauen, auf den Verkäufer wiederum regnet ein unerwarteter Geldsegen herab, der in Spitzenlagen leicht mehrere tausend Dollar pro Quadratmeter Luft ausmachen kann.

Dennoch muss der Schritt gut überlegt sein, denn einmal verkaufter Luftraum ist für immer weg - man kann also das eigene Haus nie wieder aufstocken. Auch kann es sein, dass der neue Nachbar sein Hochhaus mit Auskragungen versehen darf, die die verfügbare Grundfläche des Wolkenkratzers erhöhen und buchstäblich über den Nachbarhäusern schweben. Und einigen wird es ergehen wie der New Yorkerin Amy Casey, die einst auch deshalb in die 58. Straße in Manhattan zog, weil ihr der Ausblick auf die berühmte Carnegie Hall so gut gefiel. Dann jedoch verkauften sie und die übrigen Mitglieder der Wohnungsbaugenossenschaft die Luftrechte ihres Apartmentgebäudes und setzten sich damit selbst ein Hochhaus vor die Nase. Seither ist Carnegie Hall nicht mehr zu sehen.

Während normale Eigentümer Luftrechte nur an Besitzer angrenzender Grundstücke beziehungsweise deren Nachbarn bis zur nächsten Querstraße verkaufen dürfen, gelten für Schulen, Kirchen, Theater oder etwa Besitzer denkmalgeschützter Häuser, die gar nicht aufstocken können, teils laxere Regeln: Sie haben mancherorts die Möglichkeit, auch an Grundherren auf der anderen Straßenseite oder über die Querstraße hinweg zu veräußern.

Allein Rechte-Broker Shapiro war nach eigenem Bekunden in den vergangenen Jahrzehnten am Kauf und Verkauf von mehr als 300 000 Quadratmetern Luft beteiligt. Laut New York University wechselten zwischen 2003 und 2011 stadtweit Rechte im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar den Besitzer. Seither habe sich der Trend noch einmal deutlich verstärkt, "weil das Land knapper wird", sagt Ross Moskowitz, Partner der Anwaltskanzlei Stroock & Stroock & Lavan. Auch Bürgermeister Bill de Blasio hat ein Interesse am Hochhausbau, weil er sein zentrales Wahlkampfversprechen, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, nur wird umsetzen können, wenn die Gesamtzahl der Häuser und Apartments in der Stadt steigt.

Ein seltsames Gebilde, 426 Meter hoch, bei einer Grundfläche von 28 mal 28 Metern

Ein Ergebnis dieser Entwicklung können Bürger und Besucher New Yorks heute bereits besichtigen. Ein paar Hundert Meter südöstlich vom Central Park steht seit einiger Zeit ein Apartmentgebäude, das an eine überlange Kaugummipackung erinnert und schon viele mehr oder weniger freundliche Spitznamen erhalten hat. Das Haus kommt bei einer Grundfläche von gerade einmal 28 mal 28 Metern auf eine Höhe von 426 Metern und hat damit das viel breitere Empire State Building als zweithöchstes Gebäude der Stadt abgelöst (Nummer eins ist das One World Trade Center). Zwar ist der Bau solch gertenschlanker Wolkenkratzer teuer, dafür ist die Zahl der Wohnungen mit viel Licht und bahnbrechender Aussicht deutlich höher als bei kleineren Gebäuden. Entsprechend höher sind auch die Verkaufserlöse oder die Mieteinnahmen, die sich erzielen lassen. Wer etwa ein 200-Quadratmeter-Apartment in einem der oberen Stockwerke jenes Kaugummi-Hauses an der Park Avenue mieten will, muss dafür 35 000 Dollar auf den Tisch legen - pro Monat. Shapiro nennt den Wolkenkratzer spöttisch den "Viagra Tower", obwohl er selbst es war, der die meisten Luftbaurechte für dessen Errichtung besorgte. Insgesamt dauerte der Kauf dieser Rechte mehr als zehn Jahre, er begann schon, als auf dem Grundstück noch das berühmte Drake-Hotel stand.

Die Frage, die sich nun viele New Yorker stellen, ist, ob Manhattan eines Tages nur noch aus sehr hohen und sehr niedrigen Gebäuden bestehen wird. Brian Strout, Vizepräsident bei City Center, hält das für wenig wahrscheinlich, da es in der Stadt viele mittelgroße Häuser gebe, die sich für die Besitzer rentierten und deren Abriss nicht sinnvoll wäre. Gänzlich anderer Meinung ist Robert Jacobs, Partner der Anwaltskanzlei Belkin Burden Wenig & Goldman: "Die Sorge der Stadtplaner ist berechtigt", sagt er. "Ich sehe ein künftiges New York mit sehr großen und mit kleinen Strukturen - und praktisch nichts dazwischen."

Der wohl berühmteste Luftrechtekäufer der Stadt war übrigens ein gewisser Donald Trump. Als er Ende der Siebzigerjahre jenen dunkel verglasten "Tower" plante, der heute an der Ecke 56. Straße/Fifth Avenue steht und seinen Namen trägt, schickte er Abgesandte zu allen künftigen Nachbarn. Einer derer, die ihm Luftbaurechte verkauften, war der Juwelier Tiffany, der gleich nebenan sein zwar weltbekanntes, aber nur wenige Stockwerke umfassendes Kaufhaus betreibt. Als Jahre später Trumps zweite Tochter geboren wurde, so geht die Legende, musste er nicht lange nach einem Namen suchen: Tiffany.

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