US-Finanzbranche:Nach dem Brand

Die Lehren aus dem Zusammenbruch der Wall Street sind klar: Es gibt keine Inseln im Finanzsystem mehr, alle Institute müssen nach ähnlichen Prinzipien beaufsichtigt werden.

Nikolaus Piper

Man soll in diesen Tagen niemals nie sagen. Aber nach menschlichem Ermessen dürfte das 700-Milliarden-Rettungspaket von US-Finanzminister Hank Paulson diese Woche Gesetz werden. Die Demokraten haben es im Kongress wesentlich korrigiert, die amerikanischen Steuerzahler sind besser geschützt, die Machtbefugnisse der Verwaltung wurden beschnitten. Angesichts der hochbrisanten Lage dürfte es niemand wagen, das Paket scheitern zu lassen. Andererseits ist die Rettung der Wall Street beim amerikanischen Volk - verständlicherweise - extrem unbeliebt. Daher sind immer noch Überraschungen möglich.

US-Finanzbranche: Im Capitol brennt noch Licht: Nach der grundsätzlichen Einigung im US-Kongress über ein Rettungspaket für die Finanzbrache steht noch die formelle Abstimmung aus.

Im Capitol brennt noch Licht: Nach der grundsätzlichen Einigung im US-Kongress über ein Rettungspaket für die Finanzbrache steht noch die formelle Abstimmung aus.

(Foto: Foto: AFP)

Es war eine Revolte von Republikanern, die das Gesetzespaket vorige Woche gestoppt hatte. Die Konservativen sehen darin einen Verstoß gegen die Prinzipien des amerikanischen Kapitalismus, wenn nicht sogar dessen Ende. Außerhalb der Vereinigten Staaten hofft manch einer auf genau dies: auf das Ende der US-Vorherrschaft in der Weltwirtschaft. Zumindest ist das Ganze eine "sehr, sehr demütigende Situation für die USA", wie Paulson in wohltuender Offenheit gesagt hat. Ob es dabei bleibt, hängt davon ab, wie schnell und effektiv Paulsons Gesetz umgesetzt wird, mehr aber noch davon, was danach kommt.

Der Zusammenbruch der Wall Street ist nicht das Ende des Kapitalismus oder der globalisierten Finanzmärkte. Wenn ein Haus abgebrannt ist, bedeutet das ja auch nicht das Ende der Bauindustrie. Es bedeutet, dass man keinen Zunder mehr im Haus herumliegen lässt, Rauchmelder einbaut und die Feuerwehr besser ausstattet. Auf der abstrakten Ebene sind alle einig, dass die Finanzmarkt-Regulierung besser werden muss, ganz egal, wie sie zum amerikanischen Kapitalismus stehen. Die Schwierigkeiten beginnen, sobald es konkret wird. Einige Fragen sind so komplex, dass sie nur von Finanzmathematikern zu lösen sind. Aber ein paar Eckpunkte stehen jetzt schon fest.

Es kommt nicht nur auf die Kunden an

Zum einen geht es um Institutionen. Geld- und Kreditströme sind der Blutkreislauf der Volkswirtschaft, deshalb ist der Zusammenbruch einer Bank viel schlimmer als der einer Maschinenfabrik oder einer Brauerei. Deshalb hat der Staat das Recht und die Pflicht, Sicherungen einzubauen und die Banken zu regulieren. Ausgenommen davon waren bisher Investmentbanken, Hedgefonds und andere Finanzinstitute - aus der einfachen Überlegung heraus, dass sie ja nicht das Geld der Normalbürger verwalten, sondern sogenannte "wissende" Kunden haben, Kunden, die über das Vermögen und die Kenntnisse verfügen, um hohe Risiken eingehen zu können.

Die Finanzkrise hat gezeigt, dass es nicht allein auf die Kunden ankommt. In der modernen Finanzwelt sind auch kleinere Institute so in das Gesamtsystem verwoben, dass sie dieses gefährden werden. Die Investmentbank Bear Stearns war nicht besonders groß. Trotzdem wollten die Behörden ihren Bankrott nicht riskieren. Der Schluss ist klar: Es gibt heute keine Inseln im Finanzsystem mehr, alle Institute müssen nach ähnlichen Prinzipien beaufsichtigt werden wie heute schon normale Geschäftsbanken.

Zum zweiten geht es um die modernen Produkte der Finanzwirtschaft, jene "Massenvernichtungswaffen", wie sie Warren Buffet nennt. Mit ihnen ist es wie mit Dynamit. Man kann nützliche Dinge damit machen, zum Beispiel einen Tunnel bauen. Man kann aber auch einen Weltkrieg anzetteln. Der produktive Kern der modernen Finanzderivate besteht darin, Risiken so zu portionieren, dass man mit ihnen handeln und, ja, auch spekulieren kann. Welche Katastrophen damit angerichtet werden können, wissen heute alle. Trotzdem sind sie sehr nützliche Innovationen. Sie helfen zum Beispiel deutschen Autobauern dabei, mit dem schwachen Dollar umzugehen. Nur müssen diese Produkte jetzt entschärft, sprich: standardisiert und so vereinfacht werden, dass normale Bankaufsichtsräte sie verstehen und dass sich dafür Marktpreise bilden können. Wenn die Banken dies nicht aus eigener Kraft leisten, muss es der Staat vorschreiben.

Wenn das Feuer an der Wall Street gelöscht ist, müssen diese Reformen schnell kommen - und auf globaler Ebene.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: