Urteile über Schuldenstaaten:EU will Ratingagenturen knebeln

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Staaten sind selbst verantwortlich für ihre Schulden - aber müssen private Ratingagenturen wie Moody's oder Standard & Poor's sie noch mehr unter Druck setzen? Nein, findet EU-Kommissar Barnier. Er will es den Agenturen einem Zeitungsbericht zufolge verbieten, Länder in der Krise zu bewerten.

Manchmal muss man den Überbringer schlechter Nachrichten zum Schweigen bringen, um Schlimmeres zu verhindern. Das glaubt zumindest EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Er will einem Zeitungsbericht zufolge den Ratingagenturen künftig notfalls verbieten, Urteile über die Kreditwürdigkeit kriselnder EU-Länder zu veröffentlichen.

In einem vertraulichen Vorabentwurf für eine Reform des Gesetzes zu den Ratingagenturen soll Barnier vorschlagen, dass die neue Wertpapieraufsicht ESMA das Recht erhält, die Veröffentlichung von Einschätzungen über die Zahlungsfähigkeit "vorübergehend zu untersagen", wie die Financial Times Deutschland berichtete. Sie beruft sich dabei auf den Entwurf, der ihr vorliegt. Die Kommission oder Barnier haben diesen Plan aber noch nicht bestätigt.

Der Kommission gehe es um Staaten, die über Finanzhilfen verhandeln - etwa Gelder aus dem EU-Rettungstopf EFSF oder des Internationalen Währungsfonds (IWF). Ein Verbot könne verhindern, dass ein Rating in einem "unangebrachten Moment" kommt, "mit negativen Folgen für die Finanzstabilität des Staates und möglichen destabilisierenden Effekten auf die Weltwirtschaft", heißt es demnach im Entwurf.

Die Rolle der Ratingagenturen in der Krise ist heftig umstritten: Ihre Urteile haben Anleihen von Euro-Krisenländern regelmäßig an den Märkten unter Druck gebracht und die Bedingungen, zu denen sich diese Länder finanzieren können, teils massiv verschlechtert. Kritiker werfen den Agenturen vor, Fehlentwicklungen zu überzeichnen und damit zu verstärken.

Sie selbst behaupten, nur die tatsächliche finanzielle Situation von Ländern abzubilden. Ihre Gegner sagen, dass sie die Situation der überschuldeten Staaten weiter verschärfen, Investoren durch ihr Urteil noch mehr vergraulen und so ihr Rating zur Prophezeiung machen, die sich selbst bewahrheitet. Erst vor wenigen Tagen hatten die Agenturen Frankreich mit dem Verlust des AAA-Ratings gedroht und damit in der Euro-Zone neue Unsicherheit geschaffen. Bisher hatte die EU nur den Aufbau einer europäischen Agentur geplant, als Gegengewicht zu den großen drei US-Agenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch. Gegen Barniers neuen Plan dürften die Agenturen Sturm laufen.

© Reuters/dapd/jab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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