Urlaubssouvenir:Ungebetene Gäste

Lange Zeit waren sie kein Problem, doch seit einigen Jahren breiten sie sich rasant aus: Bettwanzen nisten sich nicht nur in Hotels, sondern auch in Wohnungen ein. Wenn das passiert, muss ein professioneller Schädlingsbekämpfer ran.

Von Felicitas Witte

Schnell solle er kommen - aber bitte diskret sein. Der Anruf aus dem Fünf-Sterne-Hotel klingt dringend. Ein Gast sei von irgendwelchen Insekten im Bett gestochen worden, erzählt der Technische Hoteldirektor, und man brauche jetzt dringend einen Fachmann. Markus Puschmann, Schädlingsbekämpfer in Frankfurt und Vorstandsmitglied beim Deutschen Schädlingsbekämpfer-Verband, macht sich sofort auf den Weg. Er parkt seinen weißen Transporter am Hintereingang, wo ihn der Direktor schon erwartet. "Dem Mann war das echt unangenehm", erinnert sich Puschmann. "Er wollte natürlich auf jeden Fall vermeiden, dass andere Gäste davon erfahren und schlechte Kritiken schreiben."

Deshalb kommt Puschmann auch immer in einem neutralen, weißen Auto, trägt schlichte graue Latzhose und Weste. Man könnte ihn auch für den Elektriker oder einen anderen Handwerker halten. Auf dem Weg zum Zimmer erzählt der Direktor flüsternd, was passiert ist: Die Frau habe dem Zimmerservice heute morgen die Stiche gezeigt, ob das Flöhe oder vielleicht Bettwanzen seien?

Viele kennen die Tiere nicht und warten zu lang ab, bevor sie einen Schädlingsbekämpfer holen

Auf den ersten Blick sieht Puschmann: Die plüschige Zimmereinrichtung mit Stofftapeten und Wandbeschlägen aus Holz ist ein Paradies für Bettwanzen. Routiniert klappt er die Matratze hoch und wird schnell fündig: Ein Dutzend brauner, ovaler, platter Tierchen sitzt auf dem Lattenrost. Von oben sehen sie aus wie Apfelkerne, sie haben keine Flügel, und ihr Körper ist in waagerechte Segemente unterteilt. Keine Frage: Das Zimmer ist von Bettwanzen befallen.

Seit mehr als 4000 Jahren schon halten sich Bettwanzen gern in der Nähe von Menschen auf - darauf weisen Bettwanzenreste in ägyptischen Mumiengräbern hin. Möglicherweise haben sich die Bettwanzen zu einer Zeit, als Menschen noch in Höhlen lebten, aus Fledermauswanzen entwickelt. Als Mitte des 20. Jahrhunderts synthetische Insektizide entwickelt und eingesetzt wurden und sich die allgemeinen Lebens- und Wohnbedingungen verbesserten, ging die Bettwanzen-Population in den reichen Ländern zurück.

Doch seit einigen Jahren verbreiten sich Bettwanzen wieder rasant, heißt es bei Wissenschaftlern auf der ganzen Welt. Von einer massiven Ausbreitung wird insbesondere aus den USA und Australien berichtet, aber auch in Ländern Europas. "Leider gibt es keine konkreten Zahlen, weil Bettwanzenbefall nicht gemeldet werden muss", sagt Carola Kuhn, Biologin am Umweltbundesamt. "Viele Menschen kennen Bettwanzen nicht und können die Tiere, die sie in ihrer Wohnung oder im Hotel sehen, nicht einordnen", sagt sie.

Urlaubssouvenir: An einen ruhigen Schlaf ist nicht mehr zu denken, wenn sich Wanzen im Bett eingenistet haben. Besonders gern sitzen sie in Ritzen, etwa im Lattenrost. Ignorieren hilft nicht - von allein verschwinden die ungebetenen Gäste nicht mehr.

An einen ruhigen Schlaf ist nicht mehr zu denken, wenn sich Wanzen im Bett eingenistet haben. Besonders gern sitzen sie in Ritzen, etwa im Lattenrost. Ignorieren hilft nicht - von allein verschwinden die ungebetenen Gäste nicht mehr.

(Foto: Axel Dupeux/plainpicture)

"Die Stiche sehen bei jedem anders aus, und man führt sie auch nicht unbedingt auf Bettwanzen zurück." Deshalb dauere es oft sehr lange, bis ein Schädlingsbekämpfer gerufen werde. Die Bettwanzen könnten sich daher ausbreiten und seien schwerer zu bekämpfen.

Tagsüber verstecken sich die flachen Tierchen in Ritzen von Betten, hinter Abdeckleisten, Bildern, in Steckdosen oder unter Tapeten, weshalb sie auch "Tapetenflunder" genannt werden. Nachts saugen sie Blut und stechen gern an unbedeckten Hautstellen wie Gesicht, Nacken, Armen oder Knöcheln zu. "Typisch sind dunkelrote, juckende Flecken bis mehrere Zentimeter Durchmesser, oft in einer Reihe angeordnet", sagt Tilo Biedermann, Chef-Dermatologe an der Technischen Uni München. "Wir nennen das Wanzenstraße."

Bei manchen führen die Stiche zu großflächigen Hautentzündungen, andere reagieren aber auch gar nicht auf die Stiche. Oft wurde spekuliert, ob Bettwanzen Krankheiten übertragen können. Mehr als 40 verschiedene Erreger wurden verdächtigt, aber bis heute wurde keine Infektion nachgewiesen, die durch Bettwanzen übertragen wurde. "Sieht man solche Flecken, würde ich zum Dermatologen gehen", sagt Biedermann. "Der kann eine juckreizstillende Creme verschreiben und andere Ursachen für die Flecken ausschließen, zum Beispiel allergische Reaktionen oder Gürtelrose."

"Wir müssen die Mittel heute höher dosieren und häufiger einsetzen."

Anhand der Stiche könne niemand mit Sicherheit sagen, ob sie wirklich von Bettwanzen stammten, sagt Gabi Müller, Leiterin Schädlingsprävention und -beratung bei der Stadt Zürich. "Wird man nachts gestochen, hat keine Mücken gehört oder gesehen, würde ich auf die Suche nach Bettwanzen gehen", sagt die Biologin. "Im Hotel schnellstmöglich den Hotelverantwortlichen informieren und sich ein anderes Zimmer geben lassen, aber am besten keines nebenan, denn die Wanzen können sich auch in Nachbarzimmern ausbreiten."

So wie bei der vierköpfigen Familie in der Dreizimmerwohnung in Frankfurt. "Die Wanzen waren überall", erzählt Schädlingsbekämpfer Puschmann. "Hunderte Tierchen im Lattenrost der Betten und in den Stofffalten der Couch im Wohnzimmer."

Ekelt er sich nie? "Nein, das ist ja mein Job. Aber in der Wohnung kam mir schon ein unangenehmes Gefühl hoch: Wie muss das sein, wenn hier jemand wohnt und ständig gestochen wird?"

Noch vor Jahrzehnten fand man Bettwanzen vor allem bei ärmeren Menschen, in Touristenzentren oder Massenunterkünften. Heute kommen sie nicht nur in Studentenheimen, Krankenhäusern und Seniorenheimen vor, sondern auch in Zügen, Bussen, Flugzeugen oder Kreuzfahrtschiffen. "Wir bekommen immer mehr Meldungen von Ferienwohnungsbesitzern oder privaten Haushalten", erzählt Puschmann. So wie bei der Tochter einer wohlhabenden Familie in einem Frankfurter Vorort. Die Bettwanzen waren als "blinde Passagiere" in ihrem Koffer vom Studienaufenthalt in Südafrika mitgereist. "Der Familie war das unendlich peinlich - sie hielten Bettwanzen für ein Zeichen mangelnder Hygiene."

Auf keinen Fall solle man versuchen, mit Insektensprays selbst die Wanzen zu beseitigen, sagt Kai Wetzel, Schädlingsbekämpfer in München. "Dann verteilen sie sich in der ganzen Wohnung. Am besten ruft man sofort einen Profi." Der besprüht alle Verstecke der Tiere mit Insektiziden, Wanzen-Eier beseitigt er mit Heißdampf oder einem Staubsauger. Meist seien zwei oder drei Einsätze notwendig, sagt Wetzel, bei einer Privatwohnung kostet das zwischen 500 und 2000 Euro.

Bettwanze; Bettwanze

Oft ein Urlaubssouvenir: die Bettwanze. Sie ist nachtaktiv, tagsüber versteckt sie sich und ist schwer auffindbar.

(Foto: Piotr Naskrecki/CDC/Harvard University/dpa)

Aber warum muss man die Wanzen überhaupt entfernen, wenn sie keine Krankheiten übertragen? "Man wird sie nicht mehr los und kann sie auch zu Freunden verschleppen, wenn man dort übernachtet", sagt Wanzenexpertin Müller. "Leute besuchen einen nicht mehr, weil sie Angst haben, Bettwanzen mitzunehmen." Außerdem könne ein Wanzenbefall enorm seelisch belasten, erzählt Gregor Hasler, Chef-Psychiater an der Uni Bern. "Die Betroffenen bekommen Schuldgefühle, erleben sich als schmutzig oder haben Angst, von ihren Mitmenschen gemieden zu werden. Manche entwickeln eine regelrechte Wanzen-Phobie und sehen in jedem Bett die braunen Tierchen."

Sorgen macht den Experten, dass die Insektizide nicht mehr so gut wirken. "Wir müssen die Mittel heute höher dosieren und häufiger einsetzen", bestätigt Wetzel. Die Wanzen haben diverse Resistenz-Mechanismen entwickelt, wie Forscher von der Sains-Malaysia-Uni in Penang vor Kurzem herausgefunden haben. Zum Beispiel ist durch genetische Veränderungen ihr Panzer jetzt dicker, bestimmte Enzyme arbeiten besser, mit denen die Wanzen die chemischen Mittel unschädlich machen. "Deshalb kombinieren Schädlingsbekämpfer heutzutage meist verschiedene Methoden", erklärt Gabi Müller, "etwa Wärme, Kälte, Dampf, Silikatstaub und Insektizide." Jede Firma habe ihre eigene Erfahrung, und man müsse die Methoden der individuellen Situation anpassen.

Puschmann hat sich inzwischen seinen weißen Schutzanzug angezogen, Atemmaske, Schutzbrille und Handschuhe, und hat mit dem Sprühen des befallenen Zimmers begonnen. Er soll zusätzlich die Zimmer daneben, darüber und darunter behandeln. Auch wenn es nur ein Dutzend Wanzen waren: Der Direktor möchte auf Nummer sicher gehen.

Weitere Informationen gibt es zum Beispiel beim Umweltbundesamt: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/bettwanzen-erkennen-vorbeugen-bekaempfen

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