Umnutzung:Sofa statt Schreibtisch

In deutschen Großstädten werden immer mehr alte Bürogebäude in Wohnungen umgewandelt. Ganz so einfach, wie es klingt, ist die Sache aber oft nicht.

Von Rainer Müller

Überall in Deutschlands boomenden Großstädten ist der Wohnungsmarkt wie leergefegt. Deshalb wird gebaut, was das Zeug hält. Selbst Grundstücke, die wegen ihres Zuschnitts oder ihrer Nachbarschaft zu Bahntrassen und Hauptstraßen lange als unattraktiv galten, sind heute akzeptiert. Da wird auch die Umnutzung von alten Bürogebäuden immer interessanter.

Nirgendwo gilt das so sehr wie in Frankfurt, wo der Büroleerstand nach Angaben des Beratungsunternehmens Colliers International mit 10,8 Prozent so hoch ist wie in keinem anderen der großen Bürostandorte in Deutschland. Doch auch hier ist der Leerstand zuletzt deutlich gesunken. Dazu haben zahlreiche Umnutzungen beigetragen: Seit etwa zehn Jahren fördert Frankfurt aktiv die Umwandlung von Büro- in Wohnflächen, durch Öffentlichkeitsarbeit, Bauherrenberatung und durch eine wohlwollende Genehmigungspraxis. Im Bahnhofsviertel wurde der Umbau zusätzlich auch finanziell gefördert. Gut 300 Wohnungen sind so in alten Werkstätten und Büros entstanden. Ohnehin entwickelt sich die früher als Rotlichtviertel verrufene Gegend am Hauptbahnhof seit einiger Zeit zu einem beliebten Wohnquartier; die Einwohnerzahl hat sich innerhalb weniger Jahre auf heute 4000 Menschen verdoppelt.

Große Raumtiefen und lange Flure sind in Büros kein Problem, in Wohnungen schon

Deutlich dickere Bretter sind da in der Bürostadt Niederrad zu bohren, einer in den 1960er- und '70er-Jahren errichteten Ansammlung von Bürohochhäusern - autogerecht, monostrukturell und sichtbar in die Jahre gekommen. Hier bedurfte es viel Fantasie, um das Potenzial als Wohnstandort zu erkennen. Diese Potenziale ließ die Stadt 2008 untersuchen und kam auf 3000 mögliche Wohnungen. Entstanden oder im Bau sind dort mittlerweile sogar mehr als 4000 Wohnungen für etwa 8000 Bewohner. "Wenn sie da heute durchlaufen, ist das eine ganz andere Gegend als noch vor zehn Jahren", sagt Mark Gellert, Pressesprecher des Frankfurter Planungsdezernats. Kindergärten, Restaurants, Supermärkte und andere Dienstleister siedeln sich an oder sind schon da. Stand hier 2005 noch jede dritte Bürofläche leer, hat sich der Leerstand inzwischen mehr als halbiert und beträgt noch 14 Prozent. Die Büromieten haben sich stabilisiert, bleiben aber mit 12,80 Euro rund sechs Euro unter dem Frankfurter Durchschnitt.

"Manche Objekte sind samt ihrer Haustechnik so veraltet, dass sie im Grunde nicht mehr vermietbar sind", sagt Mark Gellert. Für Vermieter ist es dann eine Rechenaufgabe, was sich eher lohnt: Abriss und Neubau oder eine Totalsanierung und Umbau gemäß heutigen Anforderungen an Büros oder eben Wohnungen. "Von den Mieten, die erzielt werden können, macht das dort keinen großen Unterschied," erklärt Gellert. Die neu geschaffenen Wohnungen haben Neubaustandard und bringen ab 13,50 Euro je Quadratmeter, voll möblierte Mikroapartments sogar 20 Euro und mehr. Da kann sich der Mehraufwand, den der Umbau für Wohnzwecke oft bedeutet, durchaus rechnen.

Steglitzer Kreisel; Steglitzer Kreisel

Schöne Aussicht: Der „Steglitzer Kreisel“ ist mit 118,5 Metern eines der höchsten Gebäude Berlins. Die ehemaligen Büros werden derzeit in etwa 330 Wohnungen umgewandelt.

(Foto: Tom Züfle/CG Gruppe)

Pilotprojekt in Niederrad war ein lange verwaister, 15-stöckiger Büroturm an der Hauptstraße des Viertels, der Lyoner Straße. Fast 100 Wohneinheiten wurden hier eingebaut. "Dort passten die Grundrisse und Deckenhöhen. Das ist sonst bei vielen Bürogebäuden nicht der Fall", beschreibt Gellert ein Problem, das häufig dem Umbau zu Wohnzwecken im Wege steht, weil die Anforderungen der Nutzer zu verschieden sind und andere baurechtliche Vorgaben beachtet werden müssen. So reicht in Bürohochhäusern oft eine Anschlussmöglichkeit für Toiletten pro Stockwerk - bei mehreren Wohnungen pro Stockwerk nicht. Raumtiefen von mehr als 20 Metern und lange Flure sind in Großraumbüros kein Problem, in Wohnungen hingegen schon, weil dort mehr Licht und Luft erforderlich ist. Auch Brandschutz, Schallschutz und Wärmedämmung müssen meist völlig neu konzipiert werden und erfordern häufig teure Anpassungen. In der Regel müssen dazu die alten Fassaden und Einbauten komplett entfernt und die Häuser bis zum reinen Rohbau völlig entkernt werden.

In der Lyoner Straße 19 war dies relativ einfach, resümiert Gellert. Das Beispiel machte Schule, dem gelungenen Pionierprojekt folgten weitere Umbauten in der Umgebung. Die Stadt hat die planungsrechtlichen Voraussetzungen dazu geschaffen und zwei Bebauungspläne erstellt, die aus dem so ausgewiesenen "Gewerbegebiet" ein "Mischgebiet" machen, in dem auch gewohnt und gelebt werden kann. Passend dazu wurde vor einigen Wochen die "Bürostadt" offiziell in "Lyoner Quartier" umgetauft, um den Wandel zu unterstreichen. "Der Prozess läuft sehr erfolgreich", so Gellert, "und er ist noch nicht abgeschlossen."

Ähnlich wie in Frankfurt ist die Situation in Düsseldorf. Knapp sieben Prozent der Büroflächen stehen in Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt leer, und auch hier ist der Leerstand zuletzt deutlich gesunken auf jetzt 500 000 Quadratmeter. Teilweise liegt dies an der erfolgreichen Neuvermietung im gewerblichen Bereich, teilweise aber auch an der Umwidmung zu Wohnraum: So sind allein 32 000 Quadratmeter aus der Statistik gefallen, weil eine Konzernzentrale im Stadtteil Flingern neu belebt werden konnte. Nachdem Thyssen sein erst 1990 gebautes "Trade Center" verlassen hatte, stand der auffällige Komplex aus Halbkreisen fünf Jahre lang leer, eine Neuvermietung scheiterte aufgrund der enormen Größe. Aber weil auch in Düsseldorf der Bedarf an Wohnraum groß ist, entschied sich ein Investor für den Umbau. Wie in Frankfurt änderte Düsseldorfs Stadtverwaltung dazu in einem beschleunigten Verfahren den Bebauungsplan für das von Gewerbe geprägte Viertel.

Vor zwei Jahren begann schließlich der Umbau zum "Living Circle" mit 340 Wohnungen. 80 Prozent der Wohnungen sind bereits vermietet und bezogen. "Es ist das größte Bürogebäude, das bisher in Deutschland zu Wohnraum umgebaut wurde", sagt Henning Hausmann, Leiter Investment beim Berliner Projektentwickler Bauwert. Nicht nur das größte Projekt, sondern auch das erste dieser Art für seine Firma. In einem städtebaulichen Vertrag mit der Stadt Düsseldorf wurden die Mietpreise für zehn Jahre festgeschrieben; sie liegen nun bei - für Düsseldorfer Verhältnisse relativ günstigen - 11,65 Euro je Quadratmeter. Ein Fünftel der Wohnungen wird sogar für 8,50 Euro angeboten. Im Vergleich zu einem möglichen Abriss und Neubau war der Umbau kaum billiger, sagt Hausmann. "Ein Umbau birgt ja immer Risiken, und jede Überraschung kostet Geld, wenn man eine Wand aufklopft und dahinter liegen Leitungen, die in keinem Plan eingezeichnet sind." Mit dem Ergebnis ist Bauwert aber so zufrieden, dass sie bundesweit auf der Suche nach ähnlichen Objekten sind.

Der Umbau war kaum billiger im Vergleich zu einem möglichen Abriss und Neubau

Auch in Berlin gibt es eine Reihe von bemerkenswerten Umbauprojekten. Am meisten Aufsehen erregt derzeit das Vorhaben, den skandalgebeutelten und asbestverseuchten Steglitzer Kreisel aus den 1970er-Jahren, eines der höchsten Hochhäuser Berlins mit 30 Stockwerken, umzuwandeln. Wo bis 2007 das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf untergebracht war, sollen vom nächsten Jahr an etwa 320 Eigentumswohnungen entstehen. Die Asbestsanierung wurde gerade abgeschlossen, und die Baugenehmigung soll in diesen Tagen erteilt werden. 180 Millionen Euro steckt die Hamburger CG-Gruppe in den Umbau. Im Stadtteil Weißensee hat das städtische Wohnungsunternehmen Gesobau vergangenes Jahr ihr altes Verwaltungsgebäude zu einem Wohnhaus umgebaut. Angesichts eines sehr geringen Leerstands von 2,7 Prozent herrscht in Berlin derzeit praktisch Vollvermietung. So wird es mittelfristig wohl bei solchen Ausnahmen bleiben. In der Hauptstadt ist der Wohnungsmarkt genauso leergefegt wie der Markt für Büroimmobilien.

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