TÜV-Siegel:Gut für Autos, schlecht für Finanzprodukte

Der TÜV will von seinem guten Ruf auch bei Finanzprodukten profitieren. Doch eine Studie attestiert den Prüfern verheerende Fehlurteile.

Harald Freiberger

Was würde passieren, wenn der Prüfer beim TÜV jedes Auto unbesehen durchwinken und die Plakette draufkleben würde? Kein Bremstest, kein Kratzen am Unterboden mit dem Schraubenzieher, kein Hineinleuchten in den Motorraum mit der Taschenlampe.

TÜV-geprüft, Foto: dpa

Hätte der TÜV Finanzprodukte ähnlich getestet, wie es bei Fahrzeugen der Fall ist, würde das TÜV-Siegel jetzt nicht in der Kritik stehen. Eine Studie enthüllt, dass das Siegel unbrauchbar ist.

(Foto: Foto: dpa)

Die Besitzer von Rostlauben würden sich wohl freuen, aber wenn es sich herumspricht, wäre der gute Ruf des TÜV schnell dahin. Eine Studie, die am Mittwoch veröffentlicht wurde, wirft dem TÜV genau dies vor - allerdings nicht bei Autos, sondern bei Finanzprodukten.

Seit 2004 haben sich einige Technische Überwachungsvereine, etwa der TÜV Nord und der TÜV Süd, ein neues Betätigungsfeld erschlossen: Sie bieten Finanzdienstleistern ein TÜV-Siegel für Beratungs- und Servicequalität oder für die Fondsauswahl an.

Banken, Versicherungen und Finanzvermittler nutzen dieses Zertifikat auch für die eigene Werbung. Die Studie enthüllt nun auf 65 Seiten, dass das Siegel häufig nicht das Papier wert ist, auf das es gedruckt wurde.

Von einer Ohnmacht in die andere

"Ich bin bei der Recherche von einer Ohnmacht in die andere gefallen", sagt Werner Siepe, ein Finanzmathematiker und Fachbuchautor, der die Studie verfasst hat. Häufig habe sich gezeigt, dass die Finanzdienstleister nur oberflächlich geprüft wurden, zum Beispiel über Kundenbefragungen kurz nach dem Vertragsabschluss. "Welcher Kunde ist schon am Tag nach der Unterschrift unzufrieden?", fragt Siepe.

Generell spielten nur weiche Faktoren wie der Service für das Siegel die wichtigste Rolle, nicht aber die harten Kriterien, auf die es ankomme: die fachliche Qualifikation der Berater, die fachliche Qualität ihrer Beratung sowie der Ablauf des Beratungsprozesses. Schließlich sei es entscheidend, für die Kunden das richtige Produkt zu finden. Das TÜV-Siegel könne dabei überhaupt nicht helfen.

Der TÜV Süd reagierte "entsetzt über diese offensichtlichen Falschaussagen" und will sich rechtliche Schritte vorbehalten. Die angeblichen Schwachstellen gebe es nicht, sagte eine Sprecherin. Der TÜV Süd prüfe genau die fachliche Qualifikation und regelmäßige Weiterbildung der Berater, außerdem Qualität, Verständlichkeit und Aktualität der Beratung. Alle Prüfungsschritte seien in einem wissenschaftlich anerkannten Kriterienkatalog detailliert festgehalten und müssten dokumentiert werden.

Die Studie gaben drei Verbraucher-nahe Organisationen in Auftrag, die in ihrer täglichen Praxis immer wieder feststellen, dass zum Beispiel Versicherungsvermittler Produkte empfehlen, weil das TÜV-Siegel draufklebt. "Dabei ist die Aussage eines solchen Zertifikats häufig gleich null", sagt Dieter Olejar, Anwalt für Versicherungsrecht und einer der Auftraggeber. "Manche Zertifikate sind so dünn, als würde damit bestätigt, dass eine weiße Wand wirklich weiß ist."

Unseriöse Anbieter mit TÜV-Siegel

Zu den Finanzdienstleistern, die sich vom TÜV zertifizieren ließen, gehört die Commerzbank für ihre Fondsangebote, die Baden-Württembergische Bank, eine LBBW-Tochter, die bei einem Test der Stiftung Warentest über Anlageberatung den letzten Platz belegte, die Ergo-Tochter Victoria, die bei Vergleichen von Kapital-Lebensversicherungen oft auf hinteren Plätzen landet, und MEG, ein inzwischen insolventer Vermittler von privaten Krankenversicherungen.

Es gebe Fälle von krassen Fehlurteilen, mit denen unseriöse Anbieter ein TÜV-Siegel bekommen hätten, sagt Autor Siepe.

Der TÜV Nord hat auf die Kritik, die schon vor Monaten erstmals laut wurde, inzwischen reagiert: Er überarbeitet seine Kriterien für die Bewertung von hochriskanten geschlossenen Immobilienfonds und schafft das Notensystem ab. Grundsätzlich sei man bereit, das Thema Finanz-TÜV gemeinsam mit Politik, Wirtschaft und Verbraucherschützern voranzutreiben.

Autor Siepe findet es dagegen bedenklich, wenn sich die Politik in Anlegerschutz-Fragen zu sehr auf den TÜV verlasse. "Der TÜV tritt als externe Marketingagentur der Finanzdienstleister auf", kritisiert er. Vielen Verbrauchern diene das Siegel als Grundlage für ihre Anlageentscheidung, da sie dem TÜV als Institution vertrauten. Oft handle es sich um eine "irreführende Werbung, die nur Scheinsicherheit vortäuscht".

Die Technischen Überwachungsvereine wollten von ihrem guten Ruf in technischen Fragen in einem Bereich profitieren, von dem sie kaum Ahnung hätten. Nach seinen Erkenntnissen kostet ein TÜV-Finanzsiegel 30.000 bis 50.000 Euro.

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