Bezahlkultur:"Wir teilen das Trinkgeld im Team"

Paketboten, Ski-Lehrer, Hotelangestellte und Kellner erzählen, wann sie sich besonders über das Trinkgeld freuen - und wann es einfach unpassend ist.

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Drei Euro am Tag: der Paketbote

Vorweihnachts-Hochbetrieb beim Post-Paketdienst

Quelle: dpa

"Ich fahre mit meinem Lieferwagen durch ganz Berlin und beliefere dort am Tag zwischen zehn und zwanzig Kunden mit Paketen und Lebensmitteln. Den Job mache ich seit zwei Jahren, nachdem ich 2012 mit meiner Familie aus meinem Heimatland Mongolei ausgewandert bin. Trinkgeld gibt es dort wie in den meisten anderen asiatischen Ländern nicht, selbst in Restaurants ist das unüblich. Als mir in Berlin ein Kunde an der Tür zum ersten Mal ein Zwei-Euro-Stück in die Hand gedrückt hat, war ich völlig überrascht.

Ein Spezialangebot unserer Firma ist es, dass wir die Ware hochtragen und vor der Wohnungstür in einer Kiste einschließen. Der Kunde muss zur Lieferung nicht mehr zu Hause sein. Für Lieferanten wie mich bedeutet das, dass wir die Empfänger seltener treffen. Wir haben also auch weniger Chancen, Trinkgeld zu bekommen. Wenn ich trotzdem jemandem begegne, versuche ich, immer höflich und zuvorkommend zu sein. Im Schnitt komme ich ungefähr auf drei Euro am Tag. Etwa jeder Zehnte gibt ein bis zwei Euro - was aber gar nicht so schlecht ist. Viele meiner Kollegen bekommen praktisch gar nie Trinkgeld. Manchmal, wenn ich acht Kisten Getränke in den fünften Stock hieve, und um die hundert Treppenstufen nehmen muss, weil es keinen Aufzug gibt, erwische ich mich dabei, dass ich enttäuscht bin, wenn es an der Wohnungstür kein Trinkgeld gibt. Aber ich lasse es mir natürlich nicht anmerken, die Kunden haben ja schon vorab bezahlt." Batur Vubaa

Protokoll: Korbinian Eisenberger

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Kennt seine Gäste: der Taxifahrer

Taxifahren wird teurer

Quelle: dpa

"Innerlich freue ich mich jedes Mal, wenn das Taxameter kurz vor dem Ziel einen runden Betrag übersteigt. 10,20 statt 9,80 Euro: Die vierzig Cent sind für den Fahrgast nicht die Welt, aber die Trinkgeld-Hemmschwelle ist gleich eine andere. Oft weiß ich schon vor der Fahrt, wie viel mehr ein Gast später geben wird.

Für mich gibt es drei Typen von Fahrgästen und somit von Trinkgeld-Gebern. Typ eins ist der 'Business-Gast'. Er steigt meist am Bahnhof oder am Flughafen ein. Der 'Business-Gast' ist Vielfahrer und bezahlt nicht mehr als nötig. Die Rechnung geht zwar auf die Firma, aber mehr als 20 oder 30 Cent ist nicht drin. Typ zwei ist spendabler, ich nenne ihn den 'Gelegenheitsgast'. Für ihn ist eine Taxifahrt eine Ausnahme. Er unterhält sich gern und gibt zehn bis 15 Prozent. Das freut mich natürlich, gerade bei längeren Fahrten. Dann gibt es noch Typ drei, den 'Chaos-Gast'. Den gabelst du irgendwo am Straßenrand auf und merkst sofort: Er ist total im Stress. Während der Fahrt tippt er auf seinem Handy herum und in seiner Eile ist es ihm egal, wie viel er bezahlt. Hauptsache ist, er kommt schnell von A nach B. Erst vor ein paar Tagen hat jemand eine 32-Euro-Fahrt mit einem 50er bezahlt und 'stimmt so' gesagt - ich könnte wetten, weil er mit seinem Kopf schon ganz woanders war.

Am liebsten ist mir trotzdem der Typ zwei: Mit dem hab ich Spaß, gute Gespräche - und er nötigt mich nicht, über rote Ampeln zu rasen." Ahmet Sayal

Protokoll: Vivien Timmler

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Teilt im Team: die Kellnerin

Oktoberfest 2015

Quelle: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

"Tisch fünf möchte zahlen, Tisch zehn braucht die Karte und schon mal Wasser mit Sprudel. 'Gibt's Apfelstrudel?'

Gerne! Ja! Das ist ein guter Ausgleich zur Uni. Ich mag den Job. Und natürlich: Je mehr ich bekomme, desto besser. Ich verdiene 8,50 pro Stunde, das Trinkgeld kommt obendrauf. Wir teilen es im Team. Die meisten Gäste wissen, wie das mit dem Trinkgeld funktioniert. Ich freue mich jedes Mal, wenn ein Gast etwas gibt. Dabei ist es ja eigentlich selbstverständlich. Ich wundere mich jedenfalls, wenn ein Gast einen Latte Macchiato bestellt, am besten noch mit Sojamilch, Strohhalm, extra viel Schaum, nicht zu heiß - und dann auf zwanzig Cent Rückgeld beharrt. Genauso über die Dame, die mich laut zu sich ruft, um mir ein Häufchen bronzener Münzen in die Hand zu drücken. Danke, solche Gaben können Sie sich schenken. Das weiß sogar der Elfjährige, der regelmäßig Tee bestellt und ein Stück Kuchen isst. Er zahlt vom Taschengeld: 'Der Rest ist für Sie.'

Der Gast ist König. Aber Könige sollten schon Manieren haben. Es gibt ja immer wieder Gäste, die ihre Mahlzeiten über den Tisch verteilen, meine Kolleginnen und mich gern tadeln oder ständig beobachten. Wie der Herr an Tisch neun, für den der Espresso nur ein Alibi ist. Und wenn man abräumt, klebt ein Kaugummi auf der Untertasse. Danke. Manche denken wohl, dass das Trinkgeld schlechtes Benehmen wieder gut macht. So läuft das nicht." Lena Mayer, Name geändert

Protokoll: Nora Kolhoff

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Schnell reicher: der Hotelpage

IHA-Branchenreport 'Hotelmarkt Deutschland 2014'

Quelle: Stephanie Pilick/dpa

"An meinem ersten Arbeitstag in einem renommierten Berliner Hotel stellte ich mich den anderen Mitarbeitern als Aushilfspage vor. Rollende Augen und genervtes Seufzen waren die Antwort. Warum? Gerade die unterbezahlten Auszubildenden sind neidisch auf mich, weil ich als Aushilfe mehr verdiene als sie. Dazu kassiere ich dann noch das ganze Trinkgeld. Ein Euro hier, zwei Euro da, und manchmal wird mir sogar ein Schein zugesteckt. Am besten finde ich immer die Touristen, die beide Hände voller Tüten vom Shoppen zurückkommen. Eine zuvorkommende Bitte, ob man ihnen den Einkauf aufs Zimmer bringen darf und schon ist man bis zu 20 Euro reicher. Bei der Trinkgeldjagd geht es um Menschenkenntnis und Höflichkeit. Ich erwarte aber nicht, dass Leute mir etwas geben. Das muss jeder für sich entscheiden und es ist genauso okay, das nicht zu tun. Am liebsten mag ich es, wenn mir das Geld unauffällig in die Hand gedrückt wird, nachdem ich die Koffer weggebracht habe.

Meine größte Enttäuschung war eine Amerikanerin, die vom dritten in den vierten Stock des Hotels umgezogen ist. Ich wurde losgeschickt, um ihr zu helfen. Die Dame war geschäftlich für ein paar Tage in Berlin, dazu braucht man offenbar vier Koffer und acht Pelzmäntel. Ich habe die Sachen alle getragen, die Mäntel fein säuberlich aufgehängt. Darauf ein simples 'Thanks!' Und die Tür fällt zu. Na, Ihnen auch vielen Dank!" Gerd Koller, Name geändert

Protokoll: Nora Kolhoff

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Mag auch ein "danke": die Toilettenreinigerin

Reinigen mit Feuchttüchern

Quelle: dpa

"Ich mache den Job beim Bratwurst Glöckl in München am Dom erst seit ein paar Monaten. Wenn es gut läuft, wirft ein Gast 50 Cent oder einen Euro in den Teller, den ich auf dem Tisch vor der Toilette aufgestellt habe. Aber ich freue mich über alles, auch wenn jemand zehn oder 20 Cent gibt. Schließlich muss niemand für den Toilettenbesuch zahlen, das Trinkgeld ist freiwillig. Ich grüße immer freundlich, die Gäste müssen mir nichts dafür geben.

Den Job mache ich an zehn Tagen im Monat. Wenn es gut läuft, komme ich auf mehr als 100 Euro Trinkgeld im Monat. Das ist ein guter Zusatzverdienst, aber die Haupteinnahmen sind schon das reguläre Gehalt vom Chef.

Übrigens ist die Arbeit ziemlich hart. Sie besteht nicht nur darin, dazusitzen und 'danke' zu sagen, wenn jemand Geld in den Teller wirft. Ich bin die meiste Zeit am Putzen, gerade an Tagen, an denen viel los ist wie an Samstagen.

Bis vor einigen Jahren war ich Zimmermädchen im Hotel Bayerischer Hof. Da war das mit dem Trinkgeld noch besser, ich kam auf 150 Euro und mehr im Monat. Die Gäste waren unter anderem bekannte Politiker oder Schauspieler, die auch mal länger im Hotel blieben. Wenn sie zufrieden waren, haben sie schon mal 15 Euro gegeben. Dann habe ich Probleme mit dem Arm bekommen und konnte die schwere Arbeit nicht mehr machen, vor allem das Matratzenheben ging nicht mehr." Nia Kiriadse

Protokoll: Harald Freiberger

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Bekam mal mehr: der Ski-Lehrer

Skifahren auf der Zugspitze

Quelle: Angelika Warmuth/dpa

"Für uns Ski- und Snowboard-Lehrer in Kitzbühel ist das Trinkgeld ein wichtiger Bestandteil des Gehalts. Wobei bei Ganztagsbuchungen das Trinkgeld schon gewissermaßen im Preis enthalten ist. Die Kunden zahlen uns das Mittagessen nämlich gleich mit. Aber auch darüber hinaus ist es schön, wenn auch nicht immer üblich, ein bisschen Trinkgeld zu bekommen.

Bis zu zehn Prozent der Kurskosten können wir erwarten. Wobei das stark davon abhängt, wer die Kunden sind. Da merkt man dann schnell, dass in unterschiedlichen Ländern ganz unterschiedliche Mentalitäten vorherrschen. Außerdem sind Skifahren und Snowboarden nicht die billigsten Sportarten. Junge Eltern müssen schon mal ihr Geld zusammenkratzen, um ihren Kindern einen Skikurs samt Ausrüstung zu bezahlen. Wohlhabende Kunden geben in der Regel schon eher Trinkgeld. Und es gibt natürlich auch Unterschiede, je nachdem, ob man für eine Stunde, einen Tag oder eine ganze Woche gebucht wird.

Wir merken trotzdem, dass heute deutlich weniger Trinkgeld als früher gegeben wird. Besucher aus Osteuropa haben uns früher oft 800 Euro oder noch mehr zugesteckt. Das kommt kaum noch vor. Dennoch sind die Ansprüche der Kursteilnehmer nicht geringer. Wir sollen sehr effizient sein. Kunden erwarten oft, dass man schon nach wenig Unterricht richtig schwungvoll die Piste runterkommt." Gerwin Maler, Name geändert

Protokoll: ALOYSIUS Widmann

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