Tiefbau:Berliner Unterwelt

Berlin von unten
!FOTOS NUR FÜR IMMO-SEITEN 1.12.2017.

Kelleranlagen der ehemaligen Bötzow-Brauerei im im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg.

(Foto: Holger Happel/Berliner Unterwelten e.V.)

Zuerst bauten Brauereien Kellergewölbe, dann die städtischen Betriebe Abwasserkanäle und die U-Bahn. Wer sich unter die Metropole begibt, stößt auf skurrile Geschichten - und manche Überraschung.

Von Lars Klaaßen

Berlin ist nicht nur auf Sand gebaut, der Stadt steht zudem noch das Wasser fast bis zur Oberkante. Sumpf, Morast, feuchte Stelle - kurz: "brlo". Die ersten slawischen Siedler bezeichneten den Ort aus gutem Grund so. Der Name blieb hängen. Sobald man zwischen Spree, Havel, Dahme und Panke ein wenig gräbt, steckt man im märkischen Sand. Das Grundwasser steht oft schon einen Meter unter der Oberfläche. Um keine nassen Füße zu bekommen, ging es lange Zeit nach oben: Die Berliner legten den Ku' und viele weitere Dämme an.

Ambitionierter Tiefgang hingegen war technisch bis ins 19. Jahrhundert eine zu große Herausforderung. Seinerzeit gingen Brauereibesitzer als erste in den Berliner Untergrund. Sie schufen große Kellergewölbe, um ihr Pilsner bei konstant kühlen Temperaturen brauen und lagern zu können. Ab den 1870er-Jahren folgte die Kanalisation, ab 1902 die U-Bahn. Viele historische Spuren, bis zurück in Kaisers Zeiten, sind dort unten oft besser erhalten als Bauten über der Erde, manche sind nur noch in Straßennamen enthalten.

An der Tunnelstraße auf der Stralauer Halbinsel etwa sucht man den Tunnel heute vergeblich. Dort wurde einst die erste Spree-Unterquerung gebaut. 1896, pünktlich zur Gewerbeausstellung in Treptow, sollte die erste Straßenbahnlinie unter dem Fluss durchfahren, von der Stralauer Halbinsel direkt auf das Gelände am anderen Ufer. Die Baustelle im weichen Boden wurde mit Druckluft stabilisiert. Das funktionierte so halbwegs. Man holte das Dreifache an Erdreich aus dem Boden, als das Tunnelvolumen am Ende einnahm. Die Druckluft ist durch den Sand entwichen, sodass direkt über der Baustelle die Spree ein wenig blubberte.

Nur wer den Signalstab - einen Holzknüppel - bekam, durfte in den Tunnel hineinfahren

Der Tunnel wurde erst drei Jahre nach der Gewerbeausstellung fertig. Seitdem fuhr eine Straßenbahnlinie hindurch - eingleisig. Um Zusammenstöße unter der Spree zu vermeiden, nutzte man ein simples System: Nur wer vom Posten an einer der Tunnelausfahrten den lediglich einmal vorhandenen Signalstab bekommen hatte, einen Holzknüppel, durfte hineinfahren. So bekam die Linie den Namen "Knüppelbahn". 1932 zeigten sich Risse in den Tunnelwänden, weshalb der Straßenbahnbetrieb eingestellt wurde. Um einen Einsturz zu verhindern, wurde der Tunnel 1948 vollständig geflutet.

Der "erste U-Bahntunnel Deutschlands" wiederum wurde für den regulären U-Bahn-Betrieb zwar nie genutzt, kann dafür aber heute noch besichtigt werden. Er befindet sich südlich des Humboldthains unter der ehemaligen Großmaschinenfabrik der AEG. Die "Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft" nahm die 295 Meter lange Strecke 1897 in Betrieb, um Arbeiter und Material mit elektrischen Zügen zur nahegelegenen Apparatefabrik zu befördern. Die unterirdische Röhrenbahn nach Londoner Vorbild wurde als Prototyp für eine künftige U-Bahn konzipiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich jedoch Siemens mit dem Konzept der Hochbahn und schließlich Unterpflasterbahn durch.

Gebaute Zukunft, die noch darauf wartet, in Betrieb zu gehen, lässt sich auch anderswo in Berlin finden. An der Decke des unterirdischen Regionalbahnhofs Potsdamer Platz etwa hängt ein Betontrog, in dem sich der U-Bahnhof einer Linie befindet, die vielleicht irgendwann einmal gebaut wird. "Vorhaltebauwerk" heißt so etwas: Wenn man schon einmal dabei ist, kräftig zu buddeln - wie am Potsdamer Platz Ende der 1990er-Jahre -, wird auf Verdacht gleich auf Vorrat gebaut. Ein weiterer Bahnsteig für diese imaginäre Linie wurde schon zu Beginn der 1930er-Jahre am Alexanderplatz errichtet - direkt dort, wo heute die U 5 hält (siehe "Hilfe von Bärlinde").

U-Bahnhöfe erzählen nicht nur von einer bewegten Verkehrsgeschichte unter der Erde. Im Zweiten Weltkrieg sind viele auch als Luftschutzräume genutzt oder Teile gar als Bunker ausgebaut worden. Im U-Bahnhof Weberwiese hängt seit 2014 eine Gedenktafel zur Erinnerung der Opfer eines Bombenangriffs. Drei Bomben schlugen am 26. Februar 1945 dort ein. Hunderte Menschen hatten auf dem Bahnsteig Schutz gesucht. Nur 108 der Toten konnten identifiziert werden.

Etwa 3000 Menschen hätten hier im "atomaren Ernstfall" unterkommen sollen

Teile des U-Bahnhofs Gesundbrunnen, die bis dahin nicht öffentlich zugänglich gewesen sind, wurden von den Nazis zu einem Bunker umfunktioniert. Im Kalten Krieg wurden diese Räume weiter ausgebaut, sie galten als "Atombunker".

Der U-Bahnhof Pankstraße wurde in den 1970er-Jahren gleich beim Bau als "Atombunker" konzipiert. Wer genau hinschaut, wird an den Abgängen die schweren Stahltore bemerken. Direkt davor eine kleine Tür, hinter der sich die Durchgangsschleuse befindet, samt Möglichkeit zum Abduschen der Verstrahlten. Etwa 3000 Menschen hätten hier im "Ernstfall" unterkommen sollen. Hinter einer Tür am Ende des U-Bahn-Bahnsteigs befinden sich eine Großküche, Toiletten und Schlafräume. Auch auf dem Bahnsteig und in Zügen auf den Gleisen hätten die Menschen schlafen sollen.

Mit dem Mauerbau hat der Kalte Krieg in Berlin auch unter der Erde noch besondere Spuren hinterlassen. Eine Reihe von U-Bahnhöfen im Ostteil der Stadt wurden "Geisterbahnhöfe", die von den Zügen ohne Stopp durchquert wurden. Zwei Westberliner Linien unterquerten dort auf einem Teil ihrer Strecke DDR-Territorium. Die U-Bahn wie auch die Kanalisation wurden kurz nach dem Mauerbau von vielen Menschen als Fluchttunnel genutzt, bevor auch unter der Erde die DDR-Grenze dichtgemacht wurde. Zudem gruben Berliner von ihren Kellern aus mehr als 70 Fluchttunnel. Nur 19 waren erfolgreich. Durch sie gelangten immerhin noch mehr als 300 DDR-Bürger nach West-Berlin. Wer heute in Berlin unter die Erde geht, bleibt definitiv in derselben Stadt, kann dabei aber eine Zeitreise unternehmen.

Der Verein "Berliner Unterwelten" organisiert öffentliche Führungen zu einer Reihe von Themen, etwa zu Brauereien, U-Bahn, Bunker, Mauerdurchbrüche (siehe nebenstehendes Interview). Und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) veranstalten regelmäßig Rundfahrten mit einem U-Bahn-Cabrio. Ein Moderator erläutert dabei bauliche Besonderheiten, die verschiedenen Tunnelbauarten und die Historie der U-Bahn. Infos unter www.bvg.de/Service, Berlin erleben, U-Bahn-Cabrio.

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