SZ-Serie Wohnungssuche:Albtraum in der Traumstadt

Wer in Sydney eine Wohnung mieten will, sollte sich auf einen Spießrutenlauf vorbereiten. Immobilien sind rar und teuer, die Vermieter haben eine große Freiheit bei der Vertragsgestaltung.

Von Urs Wälterlin

Die brasilianische Jurastudentin Manuela ist hart im Nehmen. Selbstverteidigung ("wenn's sein muss mit tödlicher Gewalt") und Schießen lernte die Tochter einer hohen Justizbeamtin aus Rio de Janeiro schon im Kindergartenalter. Doch als die 24-Jährige zu Beginn ihres Austausch-Studienjahres "in meiner Traumstadt Sydney" bei einer Wohnungsbesichtigung von einem potenziellen Vermieter zu sexuellen Handlungen aufgefordert wurde, brach sie zusammen. "Ich rannte raus, knallte die Tür hinter mir zu und weinte, weinte, weinte - zwei Stunden lang", so Manuela im Gespräch mit der SZ. Zum dritten Mal in zwei Wochen hatte ihr ein Vermieter gegen Sex einen Vertrag für eine Wohnung angeboten. "Ich werde meine Ehre nicht verkaufen", erklärt Manuela. "Lieber schlafe ich auf der Straße."

Die Suche nach einer Wohnung in der größten Stadt Australiens ist im besten Fall ein Spießrutenlaufen, im schlechtesten eine Gefahr für Leib und Seele. Denn es fehlt an verfügbaren Immobilien, während die Zahl der Mieter zunimmt. Kaufen ist für eine wachsende Zahl von Australiern keine Option mehr. Ein seit 20 Jahren anhaltender Boom hat die Preise für Immobilien selbst in äußeren Stadtteilen in spektakuläre Höhen getrieben - jenseits der Möglichkeiten der meisten Durchschnittsverdiener.

Wer in Strandnähe eine Zweizimmerwohnung möchte, muss schon mal eine Million australische Dollar (655 500 Euro) auf den Tisch legen. Bietet die Unterkunft einen Blick aufs Meer - und wenn es nur durch die untere Ecke des Klo-Fensters ist - bezahlt man gleich noch mehr. Die Entwicklung hat zur Folge, dass immer mehr Familien und Einzelpersonen mit ihrem Wunsch nach einem Eigenheim immer noch weiter in die Außengebiete der Stadt ziehen müssen. Oftmals über 50 Kilometer vom Stadtzentrum von Sydney entfernt, ist eine Anzahlung von etwa zehn Prozent des Kaufpreises vielleicht noch machbar.

Hot weather in Australia

Sydney, die größte Stadt Australiens, hat vieles zu bieten. Der Run auf die Stadt führt jedoch zu einem rapiden Anstieg der Immobilienpreise.

(Foto: Mick Tsikas/dpa)

Der Boom hat verschiedene Gründe. Zum einen zieht es Australier seit jeher in die Städte - allen voran in die Metropolen Sydney und Melbourne. Australien gilt als das am stärksten urbanisierte Land der Welt. Die wohl umstrittenste Ursache für die ungesunde Preisentwicklung aber ist der Zufluss von spekulativ verwendetem Kapital aus dem Ausland, insbesondere aus China. Obwohl ausländische Investoren eigentlich nur neu gebaute Immobilien erwerben dürfen, umgehen manche diese Regel. Etwa, indem sie die Wohnung im Namen der Kinder kaufen, die in Sydney studieren. Ziehen diese aus, werden die Wohnungen als rentable Investition weitervermietet.

Aus dem Markt gedrängt sind immer mehr Menschen gezwungen, eine Wohnung zu mieten. Heute sind 30 Prozent der Bevölkerung von Sydney Mieter - und das in einem Land, das bis vor wenigen Jahren unter den OECD-Staaten noch eine der höchsten Raten an Eigenbesitz hatte. Auch wer in Sydney mieten will, muss tief in die Tasche greifen: 530 australische Dollar (347 Euro), so hoch ist der statistische Durchschnitt für die Miete eines wenig luxuriösen Hauses in einem Vorort von Sydney - pro Woche.

Sydney ist zwar der Extremfall, die Tendenz zu kaum bezahlbaren Mietpreisen aber ist landesweit spürbar. In den vergangenen zehn Jahren ist in Australien der durchschnittliche Preis für die Miete eines Hauses um 79 Prozent gestiegen, der für eine Wohnung gar um 92 Prozent. Der Mangel ist so extrem, dass Anwärter laut verschiedenen Quellen bis zu 50 Mietobjekte besichtigen müssen, bevor sie Erfolg haben. Falls sie Erfolg haben.

Vermieter profitieren, Mieter verlieren: Eine Investition in Immobilien ist für viele Australier eine beliebte Form der Altersvorsorge, vor allem wegen der Steuervergünstigungen. So können private Besitzer von vermieteten Mietwohnungen und -häusern Aufwendungen wie Unterhaltsarbeiten und die Abzahlung der Hypothek zu einem wesentlichen Teil von der persönlichen Steuer abziehen. Die Sozialorganisation Acoss (Australian Council of Social Service) kritisiert, Australien verlasse sich zu sehr auf Kleinanleger, wenn es um die Verfügbarkeit von Mietimmobilien geht, statt auf institutionelle Investoren wie Rentenkassen und ähnliche Körperschaften, deren Satzung oftmals das Verhalten gegenüber Mietern regelt.

SZ-Serie Wohnungssuche: SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt

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Private Vermieter sind im Umgang mit Mietern nicht gerade vorbildlich. Zudem haben Mieter in Australien im internationalen Vergleich relativ wenige Rechte. Verbände klagen über spontane und "ungerechtfertigte" Kündigungen, die dazu führten, dass Familien an ihrem Wohnort oftmals keine Wurzeln schlagen können, mit Folgen für die Entwicklung der Kinder. Mietverträge sind in der Regel zeitlich begrenzt, manchmal nur auf drei Monate. Nach Angaben von Acoss führt dies unter Mietern zu einer chronischen Verunsicherung und Angst vor dem Rausschmiss. Mietern drohe statistisch gesehen ein 25-prozentiges Risiko, dass sie in den nächsten zwölf Monaten ausziehen müssten, heißt es dazu beim Institut.

Auch die Erhöhung des Mietpreises unterliegt kaum Begrenzungen. Die Grüne Partei in Australien fordert jetzt, dass Anpassungen die Teuerungsrate nicht übersteigen dürfen. Von einer "Mietpreisbremse", wie sie gerade in Deutschland eingeführt wurde, können australische Mieter nur träumen.

Für Manuela geht der Albtraum weiter. Sie kam mit ihren vier Koffern erst mal in einer "geteilten Unterkunft" unter - einem weiteren Attribut des Immobilienmarktes in Sydney. Ein Besitzer - in diesem Fall ein in Shanghai lebender Investor - vermietet seine Wohnung in einem Hochhaus in Chinatown an einen Hauptmieter. Dieser lässt gegen Bares Untermieter mitwohnen, oftmals zu viele für den vorhandenen Platz. Die Praxis ist ebenso verboten wie weit verbreitet. So kommt es, dass Manuela zusammen mit vier Männern in einem Zweizimmer-Apartment lebt. Die Wohnung sei "so voll und so laut", dass sie sich entschlossen habe, auf dem Balkon zu schlafen: "Wenigstens lässt man mich dort in Ruhe."

Die SZ berichtet in dieser Serie in loser Folge über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt. Bisher erschienen: Madrid (23.10.), Peking (30.10.) und Rio de Janeiro (6.11.)

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