SZ-Serie: Schatzsucher:Der Schatz im Baikalsee

Lesezeit: 3 min

Im russischen Bürgerkrieg ziehen Soldaten einen Zug mit 180 Tonnen Gold über das zugefrorene Gewässer. Dann bricht das Eis - und das Gold versinkt.

Oliver Bilger

Im sibirischen Winter friert selbst der größte See Russlands zu. Fallen die Temperaturen weit unter null, bildet sich eine meterdicke Eisschicht und die Oberfläche des Baikal ist so fest wie eine Straße. Am südwestlichen Ufer, dort wo der Fluss Angara aus dem See fließt, steht das Dorf Listwjanka. Im Sommer, wenn die Lärchen ihre volle Nadelpracht tragen, verkehrt eine Fähre auf die andere Uferseite. Im Winter überqueren Menschen den zugefrorenen See zu Fuß, mit Schlitten und Kutschen. Auch russische Weißgardisten wollen hier über das Eis. Mit einem Zug.

Der Baikalsee im süden Sibiriens ist der tiefste und älteste Süßwassersee der Erde. (Foto: Foto: dpa)

Die Szene spielt im Winter des Jahres 1919/20, der Bürgerkrieg bestimmt den Alltag in Russland. Seit Monaten kämpft Alexander Wassiljewitsch Koltschak, Mitte 40, strenger Seitenscheitel, gegen die Bolschewiki. Im Ersten Weltkrieg befehligte der Admiral die russische Schwarzmeerflotte, jetzt bringt er seinen Landsleuten den Tod. Die Kommunisten fürchten den Monarchisten Koltschak, der "den Aufbau einer effizienten Armee, den Sieg über die Bolschewiki und das Wiederherstellen von Recht und Ordnung" zu seinen Hauptzielen erklärt hat.

Wert: 650 Millionen Goldrubel

Die antikommunistischen "Weißen" überqueren von Sibirien aus den Ural, dringen bis an die Wolga vor. Bei der Eroberung der Stadt Kasan erbeuten sie einen Teil des Staatsschatzes aus der Zarenzeit: mehr als 650 Millionen Goldrubel wert. Das Gold lagert dort, damit es nicht den Gegnern im Ersten Weltkrieg in die Hände fällt. Russland besitzt zu dieser Zeit einen der weltgrößten Goldschätze.

Wenig später erleiden die Weißgardisten eine Reihe von Niederlagen und ziehen sich zurück. Ostwärts, die Rote Armee stets im Nacken. Goldbarren und Münzen laden sie auf einen Zug: 5143 Kisten und 1678 Säcke in 80 Waggons, notiert einer. Die Flucht führt sie auf der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn bis nach Irkutsk. Dort wird Befehlshaber Koltschak gefangen genommen und auf Anordnung Lenins erschossen; die Leiche versenken die Kommunisten im Fluss.

Koltschaks Truppen gelingt die Flucht aus Irkutsk. Ihr Weg führt sie ans Ufer des "heiligen Meeres", wie der Baikalsee im Volksmund heißt. Die Temperaturen sind auf minus 60 Grad gefallen. Die Krieger wollen auf der kürzesten Route weiter nach Tschita. Also entscheiden sie sich für ein mutiges Vorhaben. Die Männer spannen Pferde vor die Eisenbahnwaggons und lassen sie über das gefrorene Wasser ziehen. Doch das Eis hält den tonnenschweren Waggons nicht stand. Einige brechen ein und versinken - und mit ihnen ein Teil des Zarenschatzes. Wie viele Tonnen versinken, darüber gibt es unterschiedliche Angaben, 180 Tonnen sollen es vielleicht sein. Auch über die genauen Ereignisse sind Historiker uneins. Angebliche Augenzeugen belegen damals die Version mit den einbrechenden Waggons.

Doch viele Informationen sind bruchstückhaft. Und gegensätzlich. Um den Verbleib des Goldes ranken deshalb mehrere Legenden. Mal ist von einem entgleisten Zug auf der Bahnstrecke entlang des Seeufers die Rede. Ein anderes Mal heißt es, Soldaten hätten den Baikalsee zu Fuß überquert, seien erfroren und das Gold versank mit dem Tauwetter. Wieder andere behaupten, das Gold lagere in ausländischen Banktresoren. Der Schatz im Baikalsee bleibt rätselhaft, 90 Jahre lang. Erst dann beginnt die Suche.

Zu Sowjetzeiten interessiert sich niemand für das verlorene Gold, Koltschak ist als Kommunistenfeind missachtet. Mitte der Neunziger, nach dem Zerfall der Sowjetunion, erhebt Russland Anspruch auf das Gold, das teilweise im Ausland liegen soll. 22 Kisten mit Goldbarren haben die Reise über den Baikalsee offenbar unbeschadet überstanden und lagern in Japan. 94 Tonnen Gold sind angeblich über Deutschland nach Frankreich gekommen. Aber wo ist das vermisste Gold? Um den mysteriösen Schatz wird es wieder ruhig - vorerst.

Ende Juli 2008 startet eine Expedition im Baikalsee. Mit zwei Mini-U-Booten wollen Forscher eigentlich die Pflanzen- und der Tierwelt des Sees untersuchen, vielleicht sogar neue Arten in den Tiefen des riesigen Sees entdecken. Außerdem wollen erstmals Menschen bis auf den 1637 Meter tiefen Grund tauchen.

Die Schatzsuche steht nicht im Vordergrund, es gibt ja keinen Beweis, dass das Gold tatsächlich auf dem Grund des Sees liegt. Aber sie läuft zumindest "parallel zur wissenschaftlichen Forschung", wie Michail Borsin erklärt, der Vizedirektor der Stiftung für den Schutz des Baikalsees. Expeditionsleiter Arnold Tulochonow hofft trotzdem, nach archäologischen Artefakten suchen zu können. Noch, sagt er einer Nachrichtenagentur, habe er die Hoffnungen nicht aufgegeben, das "Koltschak-Gold" zu finden.

Verräterische Trümmer

Kurz vor Ende des ersten Forschungsjahres stoßen die U-Boote in 300 Meter Tiefe auf mehrere Patronenkisten aus Bürgerkriegsjahren. Einen Goldschatz entdecken sie in der trüben Planktonsuppe nicht. Erst im August dieses Jahres verdichten sich die Hinweise auf das verlorene Gold. Die Tauchboote entdecken Trümmer eines Eisenbahnwaggons aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert, 700 Meter unter der Wasseroberfläche. Ein U-Boot holt einige Fragmente eines Wagens an die Oberfläche. Ein U-Boot-Fahrer berichtet, die Waggons seien stark deformiert, zu erkennen ist wenig.

Dennoch heizt der Fund die Spekulationen an: Liegt hier der verschollene Schatz? "Wenn wir Glück haben, werden wir das Koltschak-Gold endlich finden", gibt sich Missions-Teilnehmer Wladimir Grusdew optimistisch. Die Boote suchen weiter, aber sie finden keinen Schatz.

Anfang September ist ein weiterer Tauchgang geplant, doch die kaputte Steuer-Hydraulik an einem der U-Boote macht den Einsatz unmöglich. Wegen des rauen Herbstwindes müssen die Boote auch später an Land bleiben. Die Forscher beenden die Expedition vorzeitig und kehren in ihr Basislager nach Listwjanka zurück. Das Rätsel um den Zarenschatz bleibt ungelöst. Eine neue Suche muss warten. Bis nächstes Jahr. Bis das Eis auf dem Baikalsee getaut ist.

© SZ vom 05.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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