SZ-Serie: Auf Wohnungssuche:Im Halbdunkel

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Keine Außenfenster, keine Heizung: Wohnungen in Madrid bergen aus deutscher Sicht so manche Überraschung. Besonders aufreibend ist die Suche nach Mietobjekten.

Von Thomas Urban

Madrid ist die große Unbekannte unter den westeuropäischen Metropolen. Die großen internationalen Touristenströme gehen an ihr vorbei, in Spanien ist der Touristenmagnet Nummer eins mit großem Abstand Barcelona; in der pulsierenden Handels- und Hafenstadt am Mittelmeer sind deshalb auch die höchsten Mieten und Quadratmeterpreise im Lande zu verzeichnen. Madrid liegt im Schnitt ein Viertel darunter. Die Hauptstadt Kastiliens mit ihrem rauen Klima hat für Wohnungssuchende noch mit einer weiteren attraktiven Seite aufzuwarten: Seit dem Platzen der spanischen Immobilienblase vor fast acht Jahren sind die Immobilienpreise um bis zu 40 Prozent eingebrochen. Erst langsam erholt sich der spanische Markt wieder, doch gilt dies vor allem für Ferienwohnungen in den Urlaubsgebieten. In Madrid haben sich die Preise auf dem niedrigen Niveau stabilisiert, zumindest für größere Wohnungen mit höherem Standard in besseren Lagen.

Das Preisgefüge für kleine Mietwohnungen ist dagegen durch die Krise kaum erschüttert worden, vor allem aus zwei Gründen: Erstens konkurrieren Zehntausende Studenten der Madrider Hochschulen in diesem Segment miteinander. Da gibt es schon einmal ein Zimmerchen von 15 Quadratmetern ohne Fenster und mit Toilette auf dem Flur für 400 Euro im Monat. Es fehlt an Studentenheimen, ganz abgesehen davon, dass deren strenges Regime nicht jedermanns Sache ist - meist sind sie in der Hand katholischer Organisationen; Studenten und Studentinnen sind auf verschiedenen Fluren untergebracht, in manchen werden um Mitternacht die Pforten geschlossen. Auch sind sie verhältnismäßig teuer, im Durchschnitt kostet ein Zimmer 700 Euro im Monat. Dafür aber kommt auch eine Putzfrau. Der zweite Grund für die hohe Nachfrage nach kleinen Mietwohnungen: In der Krise sind auch Tausende Madrider, die sich bislang große Wohnungen leisten konnten, arbeitslos geworden. Der erste Schritt, mit einem schmaleren Familienbudget zurechtzukommen, war für viele der Umzug in kleinere Behausungen.

Doch nur auf den ersten Blick sieht der Madrider Mietmarkt übersichtlich aus. Auf den zweiten aber stellt er sich auch denjenigen, die eine größere Wohnung suchen, als überaus schwierig dar. Das hat einen sehr simplen Grund: Für eine Dreieinhalb-Millionen-Stadt ist der Markt sehr klein. In keiner anderen europäischen Metropole ist der Anteil an Eigentumswohnungen so hoch wie in der Stadt: circa 80 Prozent. Nur ein Bruchteil davon wird nicht von den Eigentümern oder ihren Familienangehörigen bewohnt, steht also dem Markt zur Verfügung.

Hinzu kommt eine weitere spanische Besonderheit, die ebenfalls eine Folge der großen Krise ist: Nur ein Teil der angebotenen Wohnungen wird über Makler oder Internetportale inseriert. Die Eigentümer der anderen wollen nämlich verhindern, dass die Mieteinkünfte von den Steuerbehörden erfasst werden. Hatten die Finanzämter in den Jahren vor der Krise eher mittelmäßige Anstrengungen unternommen, Steuersünder aufzuspüren, so sind sie nun angesichts der hohen Staatsverschuldung zu Härte und Gründlichkeit angehalten. Da aber die Steuersätze in den Krisenjahren kräftig gestiegen sind, während die Durchschnittsmieten zumindest für mittlere und größere Wohnungen stark gesunken sind, hat auch bei den Eigentümern das Bestreben zugenommen, sich der Kontrolle durch die Behörden zu entziehen.

In kaum einer anderen Metropole ist der Anteil von Eigentumswohnungen so hoch wie in Madrid. (Foto: Angel Navarrete/Bloomberg)

So bleibt in Madrid immer noch die Gratiszeitung Secunda mano (Aus zweiter Hand) eine wichtige Informationsquelle bei der Wohnungssuche. Es geht zu wie früher auch in deutschen Städten: Im Morgengrauen muss die Zeitung besorgt werden, sofort werden die Eigentümer der am interessantesten klingenden Objekte angerufen. Und bei der Besichtigung muss man in Kauf nehmen, dass ein Dutzend Interessenten zum selben Termin bestellt wurde. Die Konkurrenz nimmt naturgemäß mit der Steigerung des Quadratmeterpreises ab. Auch die Uralthandzettelmethode mit Telefonnummern zum Abreißen funktioniert in Madrid noch; beliebter Ort für diese Art der Informationsvermittlung sind schwarze Bretter in Supermärkten sowie in Tabakläden. Bei gehobenem Bedarf auch in Buchhandlungen oder Kulturinstitutionen.

Auch ist in Spanien, wie in allen südeuropäischen Ländern, das Mietrecht nicht so sehr im Detail ausgestaltet wie bei den regelungswütigen Deutschen, Formulierungen sind dehnbar und lassen vielerlei Interpretationen zu. Der erfahrene Wohnungssuchende weiß aber, worauf er zu achten hat. Dies beginnt mit der richtigen Lektüre der Annoncen, denn in ihnen sind Formulierungskünsten keine Grenzen gesetzt. "Gemütlich" bedeutet meistens "winzig klein", "in einem lebendigen Viertel" oder "Außenwohnung" heißt nichts anderes als "ohrenbetäubender Straßenlärm". Beim Begriff "Innenwohnung" muss sofort nachgefragt werden. Er kann nämlich einerseits etwas Erfreuliches bedeuten: Fenster zum ruhigen Innenhof hin. Er kann aber andererseits auch verschleiern, dass die Wohnung überhaupt keine Außenfenster hat, sondern nur zum Treppenhaus, keine Seltenheit in den alten Vierteln Madrids.

Vor allem ist wichtig, was nicht in der Beschreibung steht. Wenn nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Wohnung "viel Tageslicht" hat, so ist sie düster, und man muss wohl auch tagsüber das Licht anschalten, ein nicht geringer Teil der Madrilenen lebt im Halbdunkel. Ebenso bedeutet das Fehlen eines Hinweises auf den öffentlichen Nahverkehr, dass man kilometerweit zum Bus oder zur U-Bahn marschieren muss. Wer all dies nicht möchte, kann solche Wohnungsannoncen gleich ignorieren.

Nicht minder fantasievoll geht es bei den Formulierungen in den Verträgen zu. Auch hier muss der Mieter auf Präzision bestehen; er kann sich kaum auf das allgemeine Mietrecht verlassen, da dieses ja ebenfalls weitesten Interpretationen Raum lässt. Allerdings sind gerichtlich ausgetragene Streitigkeiten zwischen den Mietparteien weitaus seltener als bei den Deutschen. Denn diese bergen ja die Gefahr, dass die Steuerbehörden davon erfahren und ein Vertragsverhältnis näher unter die Lupe nehmen.

SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt (Foto: N/A)

Die Häuser sind so gebaut, als gäbe es nur den Sommer. Doch im Winter wird es richtig kalt

Bei der Wohnungsbesichtigung ist es elementar wichtig, an den Madrider Winter zu denken. Die Temperaturen liegen meist um den Nullpunkt, an vielen Tagen weht ein scharfer Nordwind. Doch die Häuser in Madrid sind so gebaut, als sei der Winter eine Ausnahme und kein Normalfall, der sich jedes Jahr wiederholt. Doppelfenster sind ein Fremdwort, durch die Türen zieht es. Ganz wichtig also: Auf keinen Fall eine Wohnung mieten, die nicht über ein Vorzimmer verfügt, einen kleinen Flur zwischen der Eingangstür und den Zimmern. Bei vielen Wohnungen gehen nämlich die Türen entweder direkt auf einen Innenhof hinaus oder auf das Treppenhaus, das oft halb offen ist, also im Winter auch richtig kalt. Auch zieht die Kälte von außen über die Stein-, Keramik oder Marmorböden in die Wohnung ein.

Eine regulierbare Heizung ist also unverzichtbar. In den meisten Wohnungen stehen aber nur fahrbare Radiatoren, die eine Unmenge Strom verbrauchen und die Nebenkosten nach oben treiben. Ein weiteres Problem: Da es bei geöffneten Fenstern noch kälter im trauten Heim wird, verzichten viele Spanier in den Wintermonaten gern auf das Lüften. Da zudem übermäßig geheizt wird, gedeiht vor allem in Altbauwohnungen der Schimmel. Es gilt also, bei der Besichtigung genau hinzuschauen.

Auch der Madrider Sommer, in dem das Leben zu einem guten Teil in Straßencafés und Parks stattfindet, hat seine Schattenseiten. An manchen Sommertagen steigt die Quecksilbersäule auf 40 Grad, mehrere Tage dauernde Phasen von 35 Grad im Schatten sind keine Seltenheit. Wer sein Zuhause oben unter dem Dach hat oder große Fenster zur Südseite, wird kaum auf eine Klimaanlage verzichten wollen. Auch hier sollte man sich gut informieren, denn es gibt Stromfresser und Lärmmacher darunter, die einem den schönsten Sommer vergällen können. Wer aber all diese Regeln befolgt, der kann in Madrid gut leben. Die Stadt ist bei weitem nicht so hektisch wie andere Metropolen, es gibt kein ungeduldiges Hupen auf den Straßen und auch kein Gedränge in der Metro. Die Madrilenen sind eher gelassen und legen auch auf höfliche Distanz Wert.

Die SZ berichtet in dieser Serie in loser Folge über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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