SZ-Serie: Auf Wohnungssuche:Der Nachbar hört mit

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Pariser Wohnungen sind laut, eng und teuer. Weil in den Häusern so wenig Platz ist, spielt sich das Leben auf der Straße ab. Das macht aber auch den Charme der Stadt aus.

Von Michael Kläsgen

Das junge Paar hatte Glück. Die 115 Quadratmeter große Wohnung mitten im Zentrum von Paris, Altbau, Stuck, Rundbogenfenster, relativ ruhige Straße, wurde plötzlich für 700 Euro weniger vermietet. Statt 3300 Euro sollten die Neumieter jetzt "nur" noch 2600 Euro kalt im Monat zahlen. Umgerechnet 22,60 Euro pro Quadratmeter. Wie konnte es zu diesem Preisverfall kommen?

Im Haus rätselte man. Die Mietpreisbremse muss es wohl gewesen sein, vermuteten das Paar und die Nachbarn schließlich. Sie gilt seit August vergangenen Jahres und hat zum Ziel, den horrenden Preisanstieg der Mieten in Paris zu bremsen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut OFCE berechnete, dass die Mieten 3,5-mal so schnell gestiegen seien wie die Inflation. Mit den Lohnzuwächsen korrelieren sie lange nicht mehr.

Seit Jahren sind Wohnungsnot, Wuchermieten und die Immobilienpreise allgemein Themen für die Titelseiten von Wochenmagazinen und ein Politikum ersten Ranges für die Regierung. Vor allem in Paris, wo es mit Abstand die meisten Jobs, aber nicht ausreichend Wohnraum für alle Bewohner gibt. Wo zugleich aber auch viele Wohnungen leer stehen. Wohnungen werden so zu einem knappen Gut.

Das treibt die Preise, wogegen verschiedene Regierungen seit Jahren erfolglos ankämpfen. Die bis 2012 regierenden Konservativen hatten ein Verbot von Wuchermieten eingeführt, die Sozialisten zogen nun mit der Mietpreisbremse nach, einem Wahlversprechen von Staatspräsident François Hollande. Bei Neuvermietungen dürfen die Vermieter nicht mehr willkürlich Mondpreise verlangen. Fortan darf die Miete einen für jedes Viertel festgelegten Referenzwert nicht um mehr als 20 Prozent überschreiten. Aber darf die Miete auch sinken? Ja, das darf sie unter bestimmten Voraussetzungen in einem Umfang von maximal 30 Prozent. Zum Beispiel, wenn das Mietpreisniveau in der Nachbarschaft krass überschritten wird.

Emilie, Florian und ihren Kindern nutzt die Bremse aber genauso wenig wie Cathérine und Olivier und deren Kindern. Die einen sind längst eine S-Bahn-Stunde vor die Tore der Stadt gezogen, die anderen nach Südfrankreich. Denn laut dem Internetportal lacoteimmo.com liegt die Durchschnittsmiete in Paris bei Neuvermietungen trotz der Bremse bei 29,62 Euro pro Quadratmeter. Je kleiner die Wohnung, umso teuer. In Paris kostet ein 15 Quadratmeter großes "Studio" im Schnitt 624 Euro kalt, in Saint-Etienne kann man dafür eine 70 Quadratmeter-Wohnung mieten.

Ist kaufen da nicht die bessere Alternative in Paris? Wer das ernsthaft vorhat, müsste in Paris innerhalb der Ringautobahn ("intra muros") im Durchschnitt schon mehr als 8000 Euro pro Quadratmeter ausgeben. Luxus bekommt man für diesen Luxuspreis dennoch nicht geboten, sondern in der Regel nicht mal doppelverglaste Fenster, manchmal hat das Gebäude keinen Aufzug oder nur einen winzig kleinen. Dafür aber Toilettenspülungen aus den Siebzigerjahren, Wasserboiler, die zu explodieren drohen oder überpinselte Wasserschäden an den Wänden.

Wer in Paris auf Wohnungssuche geht, braucht Geld, Geduld und Glück. Neue Mieter müssen im Durchschnitt mit knapp 30 Euro pro Quadratmeter rechnen. (Foto: Johannes Simon)

Die wenigsten Wohnungen oder Hausmann-Häuser wurden in den vergangenen Jahrzehnten renoviert oder saniert. Höchstens mal von außen sandgestrahlt mit einem Kärcher. Makler, die in Paris einen äußerst miesen Ruf haben, sagen in solchen Fällen gern, das Objekt habe viel "Charme". Dazu gehört auch, dass die wenigsten Wohnungen schallisoliert sind, das Parkett aber so durchgetreten ist, dass es einem Trampolin gleicht, was aber kaum jemanden zu stören scheint.

Die Toleranz gegenüber den nachbarschaftlichen Lautmalereien darf als vorbildlich gelten. Das Musizieren, Schimpfen und laute Fernsehen der Nachbarn mietet oder kauft man mit, von den Geräuschentwicklungen auf der Straße ganz zu schweigen. "Intra muros" ist da 24 Stunden rund um die Uhr immer was geboten.

Paris hat mit 21 000 Einwohnern pro Quadratkilometer eine der höchsten Bevölkerungsdichten in Europa, München soll gerade mal auf 4500 Menschen kommen. Die meisten Pariser wohnen angesichts der Preise eher beengt, sodass sich das Leben auf der Straße abspielt, auf den wenigen Grünflächen, in den Bistros oder Cafés.

Das ist es dann wiederum, was die Atmosphäre von Paris ausmacht. Daran haben auch die Terroranschläge in den vergangenen Monaten nichts ändern können. Und was der Terror nicht schafft, vermögen auch die seit Jahren lausigen wirtschaftlichen Kennziffern des Landes nicht zu bewerkstelligen. Nichts scheint den Immobilienpreisen in Paris etwas anhaben zu können. Die Arbeitslosigkeit kletterte zwar über zehn Prozent, das Wachstum stagniert seit Jahren, die Industrieproduktion schrumpft sogar. Aber die Immobilienpreise? Nachdem sie einen langen leichten Sinkflug vollzogen hatten, stiegen sie in den letzten Monaten des vergangenen Jahres wieder an. Im Rest des Landes, in den mittelgroßen Städten und Dörfern, macht sich die Malaise hingegen deutlich sichtbar. Dort sanken die Preise teils kräftig.

Besitzer von kleinen Studios vermieten gern über Airbnb, zum Ärger der Regierung

In Paris und in den Vororten im Westen finden sich aber stets mehr Wohnungssuchende als Anbieter. Nur ein Drittel der Pariser sind Eigentümer, zwei Drittel dagegen Mieter. Im Rest des Landes ist es umgekehrt. Die hohen Preise in der Hauptstadt bewirken, dass nicht jeder seinen Traum vom Eigenheim erfüllen kann, obwohl diverse Regierungen sich einiges haben einfallen lassen, um den Anteil der Eigentümer zu erhöhen: zum Beispiel Null-Zins-Kredite für Erstkäufer oder die steuerliche Absetzbarkeit von Kreditzinsen.

SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt (Foto: N/A)

Wer es aber geschafft hat und endlich stolzer Eigentümer eines einfach verglasten Wohnklos ohne Aufzug ist, versucht, die hohen Kosten rasch zu amortisieren. Vor allem in den "Studios" wohnt selten der Eigentümer, sondern der vermietet es, etwa mithilfe des Internet-Vermieters Airbnb. Im Sommer 2014, so berechnete das Wall Street Journal, seien im Ausgeh-Viertel Marais mehr Airbnb-Mieter als Einwohner gezählt worden. Das jüdisch geprägte Viertel, in dem auch viele Schwule leben, wurde zu einem großen Feriencamp, was den Stadtoberen arg missfiel. Die Regierung geht seither nicht nur gegen Wuchermieten, sondern auch gegen das US-Portal vor. Unter anderem musste die Staatsbahn SNCF ihre Kooperation mit Airbnb kündigen.

Schon vor Jahren wurde eigens ein Ministeramt fürs Wohnen geschaffen, um den Wildwuchs zu kappen. Dennoch sind illegale Praktiken Alltag. 42 Prozent der Mietwohnungen seien überteuert, also teurer, als es die neuen gesetzlichen Bestimmungen erlauben, eruierte die Verbraucherzentrale CLCV. Beispielsweise verlangen Vermieter von Ausländern, deren Arbeitgeber keinen Sitz in Frankreich hat, zusätzlich zur überhöhten Miete mitunter eine Bankbürgschaft in Höhe einer Jahresmiete. Selbst bei Preisen, die wie bei dem Pärchen im Herzen von Paris auf 22,60 Euro pro Quadratmeter gesunken sind, kann da eine erkleckliche Summe zusammenkommen. Legal sei das nicht, sagt eine Anwältin für Mietrecht, aber wer unbedingt eine Wohnung brauche, versucht in der Regel dennoch, das Geld irgendwie zusammenzukratzen - um dann mit den Nachbarn den "Charme" seines neuen Domizils an der Seine zu genießen.

Die SZ berichtet in dieser Serie in loser Folge über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt. Bisher erschienen: Madrid (23. 10.), Peking (30. 10.), Rio de Janeiro (6. 11.),Sydney (13. 11.), London (20. 11.), Tokio (27. 11.), Wien (11. 12.), Goma (2./3.1.) und Tel Aviv (8.1.).

© SZ vom 15.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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