Wohnungsmarkt:Warum in Wien die Mieten langsamer steigen als in München

Wien

Vom Riesenrad im Wiener Prater aus sieht man, wie dicht Wien bebaut ist. Dennoch reicht das Angebot nicht aus.

(Foto: Andreas Remien)

Echte Wiener haben Anspruch auf preiswerte Gemeindebauwohnungen. Aber für Nicht-Wiener ist der Wohnungsmarkt die Hölle.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Wer ein echter Wiener ist, der hat Glück. Nicht nur, weil die Stadt immer wieder zur Metropole mit der höchsten Lebensqualität gewählt wird, sondern weil echte Wiener früher als andere einen Anspruch auf die begehrten, preiswerten und geförderten Gemeindebauwohnungen haben. Wie "echt" definiert wird, dafür hat die Stadt Wien im Sommer 2015, in der Hochphase des Kommunalwahlkampfes, für "ihre" Wiener neue Regeln eingezogen: Wer fünf Jahre seinen Hauptwohnsitz in der Stadt hat, wird auf den langen Wartelisten drei Monate vorgereiht, wer 15 Jahre in Wien gemeldet ist, sogar neun Monate. Für alle anderen, also Migranten, Flüchtlinge, Gastarbeiter aus Deutschland, heißt es: hinten anstellen.

Wer Geduld hat, kann also die 17 000 Konkurrenten für eine der mehr als 220 000 öffentlich geförderten Wohnungen aussitzen und ein echter Wiener werden. Oder sich bei einer der vielen Genossenschaften bewerben, die einen Teil ihrer Wohnungen frei vergeben. Aber weil bis dahin auch gewohnt werden muss, heißt es: auf dem freien Markt suchen. Und das ist beileibe kein Vergnügen.

Freier Mietmarkt macht nur etwa ein Drittel des Angebots aus

Wien hat 1,8 Millionen Einwohner, und alljährlich werden es 25 000 mehr, sodass die Hauptstadt Österreichs schon Mitte des nächsten Jahrzehnts die Zwei-Millionen-Grenze knacken wird. All diese Menschen müssen untergebracht werden. Der Druck ist enorm, obwohl Wien eine hochaktive Wohnungspolitik betreibt und obwohl ein stolzes Drittel aller Wiener im subventionierten Gemeindebau lebt, aber der Rest muss ja auch irgendwohin.

Der freie Mietmarkt macht nur etwa ein Drittel des Angebots aus. Das liegt zum einen daran, dass Altverträge für preiswerte Wohnungen gern an Verwandte weitergegeben werden. Wenngleich die "Abtretung unter Lebenden" und der "Eintritt in einen Mietvertrag nach dem Tod des Vormieters" kontrolliert werden, so soll es doch, dem Vernehmen nach, immer wieder gelingen, entfernte Verwandte am eigenen Hauptwohnsitz anzumelden und ein "dringendes Wohnbedürfnis" zu reklamieren, damit die Wohnung dann auch ja in der Familie verbleibt.

Bleiben also, für jemanden ohne Connections und ohne Wiener Geburtsurkunde, die Neuvermietungen. Da gibt es wiederum solche und solche: legal teure - und illegal teure. Wien hat nämlich eine Mietpreisbindung für Altbauten, die vor 1945 gebaut wurden, wenn sie nicht größer als 130 Quadratmeter sind. Bei 5,39 Euro pro Quadratmeter liegt der "zulässige Nettomietzins" für sogenannte Zinshäuser (in Deutschland würde man das Mietshäuser oder Mehrfamilienhäuser nennen). Aber die österreichische Bürokratie hätte nicht so einen sagenhaften Ruf, wenn sie nicht sehr kompliziert wäre und sehr viele Regeln aufstellen würde. Deshalb gilt die Mietpreisbindung für Altbauten, die an sich für Mieter eine gute Sache ist, nur theoretisch.

Es gibt Lagezuschläge und Zuschläge für einen Lift im Haus, für Ruhe, einen Balkon, und, und, und. Die meisten Vermieter, sagt Walter Rosifka, Wohnrechtsexperte bei der Wiener Arbeiterkammer, hielten sich eh nicht an die Mietpreisbindung. Die wenigsten Mieter würden nämlich klagen, wenn sie übers Ohr gehauen werden. Denn, Achtung: Wer klagt, hat schlechte Karten. Entweder man kriegt die Wohnung nicht, wenn man auf sein Recht pocht. Oder man klagt, während man in der Wohnung wohnt.

Da aber in Wien Mietverträge auf Zeit üblich sind, also Verträge auf drei oder fünf Jahre mit Option auf Verlängerung, würde man eine Nicht-Verlängerung riskieren. Die meisten Mieter, sagt Rosifka, die mehr als nötig gezahlt hätten, klagten erst nach dem Auszug. Und dann sei auch nicht sicher, ob der Gutachter nicht finde, dass der enorme Zuschlag für das Parkett oder die schöne Aussicht nicht doch berechtigt gewesen sei.

Also: Mietpreisbindungen sind eine gute Sache, und es ist gut, wenn man weiß, dass es sie gibt. In Mietzinsrechnern, etwa auf der Webseite von Wiener Wohnen, können Lage, Größe, et cetera eingegeben werden, dann spuckt die Technik eine angemessene Miete pro Quadratmeter aus. Aber der Mieteralltag sieht anders aus. Der besteht, wie fast überall in der Welt, aus Maklern, aus kompetenten und unverschämten, aus schicken Fotos von hellen Dachgeschosswohnungen, die sich dann als dunkle Löcher entpuppen.

Wer sich in Wien nicht auskennt, sucht ja in der Regel über Online-Angebote oder in den Wiener Tageszeitungen. Aber wie überall ist es extrem schwierig, als Ortsunkundiger eine provisionsfreie Wohnung zu finden.

Mietsteigerungen - aber weniger steil als in London oder München

Das neue deutsche Bestellerprinzip, wonach der den Makler zahlt, der ihn beauftragt, ist in Österreich noch nicht angekommen. Wer neu in der Stadt ist und sich an "guten" und "schlechten" Stadtvierteln orientiert, kann leicht hereinfallen. Selbst im eleganten und teuren 19. Bezirk (Döbling) oder im grünen, stadtfernen 14. (Hietzing) gibt es neben traumhaften Gründerzeitvillen auch graue Wohnblocks und Problemviertel. Gentrifizierte Gegenden wie der luxussanierte 7. Bezirk (Neubau) hinter dem Museumsquartier haben zwar eine hohe Quote an hippen Bars und verträumten Vintage-Läden, sind aber sehr dicht verbaut.

Die Mietsteigerungen, die andere Metropolen Europas in den vergangenen Jahren mitgemacht haben, sind auch an Wien nicht vorbeigegangen, allerdings sind sie dort weniger steil ausgefallen als in London oder München. Je nachdem, ob man Eigentümerverbände oder Mietervereine fragt, sind die Mieten mit dem deutschen Großstadtniveau vergleichbar, orientieren sich aber eher am auch schon recht teuren Berlin. Quadratmeterpreise zwischen 8,90 und 11,90 Euro seien üblich, heißt es in der Branche, wobei diese Werte auch drastisch nach oben ausschlagen können.

Balkone gibt es selten

In der Praxis heißt das: Tausende neu ausgebaute Dachgeschosse, die ihr Geld oft nicht wert sind, weil sie aus kleinen Fensterluken und schmalen Vortritten bestehen, und viele Luxuswohnungen in den hippen Bezirken rund um den Ring, wo auch Herr und Frau Oligarch wohnen, oder internationale Finanzmogule. Es gibt tolle Wohnungen zu tollen Preisen dort, wo man als Ortsunkundiger nicht schauen würde, im multikulturellen Ottakring (16. Bezirk) oder in der Leopoldstadt in Praternähe (2. Bezirk). Viele Wohnungen haben keine Balkone, weil Balkone in Wien früher nicht für nötig befunden wurden, aber dafür entzückende kleine Innenhöfe, die von den Bewohnern aufgehübscht wurden. Überhaupt die Innenhöfe: Von außen sehen viele Straßen mausgrau aus, aber innen gibt es Hof um Hof um Hof, Springbrunnen rieseln und Himbeeren wachsen, und wenn man Glück hat, sogar Wein.

Da viele Wiener Datschen auf dem Land haben oder am Wochenende eh nach Hause in die Provinz fahren, sind ihnen die Balkone und die Frischluft in der Stadt eher egal. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber andererseits bieten viele der schönen, renovierten, mit turmhohen Zimmern und sagenhaften Stiegenhäusern versehene Altbauwohnungen dafür ein Entree, das so groß ist wie anderswo der luftige Salon. Und einen Stuck, dass man nur noch mit dem Kopf im Nacken herumläuft.

In Wien eine Wohnung suchen - das kann ein Glück sein. Aber man darf nie denken, dass das, was man zuerst sieht, auch das ist, was man bekommt. Eleganz und Parkett sind gern kombiniert mit 50 Jahre lang nicht renovierten Fenstern, weil der Vermieter findet, dass er wegen der vermaledeiten Mietpreisbindung eh nicht genug Profit macht. Und eine Wohnung in einem hässlichen Haus an der Rossauer Lände, direkt über dem Donaukanal, mitten im brausenden Verkehr, kann sich als Wunder entpuppen, weil sie, still und grün, im dritten Hinterhof liegt. Und ein Treppenhaus hat, durch das ein Lkw passen würde. Wohnungssuche in Wien ist die Hölle - mit Chance auf einen Himmelsritt.

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