Streit um Prognosen:Zwischen Zorn und Zittern

Das Wirtschaftsforschungsinstitut DIW wagt keine Prognose für 2010 - dafür setzt es nun Hiebe: Ausgerechnet der in die Privatwirtschaft abgewanderte Ex-Wirtschaftsweise Bert Rürup drischt auf DIW-Chef Zimmermann ein.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet im laufenden Jahr mit einem scharfen Einbruch der Wirtschaftsleistung in Deutschland. Für 2009 sei ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 4,9 Prozent zu erwarten, teilte das DIW am Mittwoch in Berlin mit.

Streit um Prognosen: DIW-Präsident Klaus Zimmermann: "Die Makroökonomik befindet sich in einem Erklärungsnotstand."

DIW-Präsident Klaus Zimmermann: "Die Makroökonomik befindet sich in einem Erklärungsnotstand."

(Foto: Foto: ddp)

Bereits am Vortag hatte das DIW zudem bekanntgegeben, dass es für das Jahr 2010 erstmals keine Prognose über die Wirtschaftsentwicklung abgeben wolle.

Mit ihrer Voraussage für das laufende Jahre reduzierten die DIW-Forscher ihre Anfang Januar mit minus 1,1 Prozent angegebene Prognose deutlich. Zum Jahresende sei aber mit einer Stabilisierung der Entwicklung zu rechnen.

Zum sich abzeichnenden Ende der wirtschaftlichen Talfahrt trügen die globalen Konjunkturprogramme bei. "Vor allem sprechen aber die niedrigen Rohstoffpreise und die dadurch sinkende Inflation für eine graduelle Erholung der Weltwirtschaft", sagte DIW-Chef Klaus Zimmermann.

Beschränkung auf Szenario

Voraussetzung für eine konjunkturelle Stabilisierung sei aber eine Rückkehr des Vertrauens in die Finanzmärkte.

Für 2010 beschränkte sich das Institut auf die Angabe eines realistischen Szenarios, dass in einer leichten Belebung bestehe. "Am ehesten ist von einer sehr schwachen und langsamen Erholung auszugehen," sagte Zimmermann.

Im Januar war er noch von einem Wachstum von 1,1 Prozent ausgegangen. Nun verzichtetet er vor dem Hintergrund der weiterhin großen konjunkturellen Unsicherheiten auf die Angabe einer konkreten Wachstumsrate, denn der konjunkturelle Wendepunkt sei schwer auszumachen. Die Unsicherheit sei derzeit besonders groß.

In der gegenwärtig noch immer anhaltenden Situation extrem großer Unsicherheiten sei eine quantitative Prognose für das nächste Jahr derzeit nicht sinnvoll, so das DIW.

"Seit der Verschärfung der Finanzkrise laufen alle Vorhersagen der tatsächlichen Entwicklung drastisch hinterher", hatte Zimmermann bereits am Dienstag verlauten lassen. "Sämtliche Prognostiker - das DIW Berlin inbegriffen - haben die Entwicklung in all ihrer Dramatik so nicht vorausgesehen. Die Makroökonomik befindet sich in einem Erklärungsnotstand."

"Bringschuld"

Der frühere Wirtschaftsweise und heutige Chefökonom des privaten Finanzdienstleisters AWD, Bert Rürup, kritisierte unterdessen das DIW und persönlich auch Präsident Zimmermann für die bisher nicht aufgestellte Wachstumsprognose für 2010 scharf.

Dem Radiosender Bayern 2 sagte Rürup am Mittwoch, er halte die Entscheidung des DIW für falsch, keinen bezifferten Ausblick für 2010 vorzulegen. "Gerade in unsicheren Zeiten brauchen Unternehmen und auch die Politik Prognosen", erklärte der Wirtschaftsexperte.

Ein Ökonom, der sich der Konjunkturanalyse verschrieben habe, sei auch in einer gewissen Bringschuld, gerade in unsicheren Zeiten, Prognosen zu erstellen, sagte Rürup weiter. Und wenn ein Konjunkturpolitiker glaube, Prognosen nur in sicheren Zeiten zu machen, dann habe er eigentlich seinen Job verfehlt.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Rürup die Argumentation Zimmermanns für widersprüchlich hält.

Bundesbank fordert weitere Zinssenkung

Rürup räumte trotzdem ein, dass aufgrund der Finanzkrise und Rezession in allen wichtigen Wirtschaftsregionen Prognosen ausgesprochen schwierig seien. Es gebe aber auch keine Alternative dazu.

Am Fall des DIW ist für Rürup nach eigenen Worten "besonders interessant, dass Klaus Zimmermann, der Präsident, glaubt, keine Prognose abgeben zu können, aber gleichzeitig ist er dezidiert gegen ein drittes Konjunkturprogramm - wie man aber die Frage nach der Notwendigkeit eines dritten Konjunkturprogramms qualifiziert beantworten kann, ohne eine Prognose zu haben, das erschließt sich mir eigentlich nicht".

Während sich die Konjunkturexperten über die ausgefallene DIW-Prognose stritten, sprach sich Bundesbank-Chef Axel Weber im Kampf gegen die Finanzkrise für zusätzliche Erleichterungen für Banken bei der Refinanzierung aus.

Derartige Maßnahmen, etwa verlängerte Laufzeiten der Liquiditätsversorgung, sollten Priorität haben, sagte das EZB-Ratsmitglied am Mittwoch in Hamburg.

"Noch Spielraum"

"Direkte Eingriffe in den Kapitalmarkt sollten dagegen hinten anstehen." Die Notenbanken sollten die starke Rolle der Banken für das kontinentaleuropäische Finanzsystem berücksichtigen. Der EZB-Rat entscheidet Anfang Mai über zusätzliche Maßnahmen unkonventioneller Geldpolitik.

Auch beim Leitzins, der derzeit in der Eurozone bei 1,25 Prozent liegt, sei noch Spielraum vorhanden, der auch genutzt werden solle, sagte Weber. Allerdings sei eine Senkung unter ein Prozent kritisch zu sehen. Weil dann das Ausleihen überschüssiger Liquidität praktisch nicht mehr vergütet werde, bestehe die Gefahr, dass der private Interbankenmarkt zum Erliegen komme.

Beim Einlagezinssatz sei dagegen die untere Grenze erreicht, sagte Weber und bekräftigte damit frühere Aussagen von Notenbankern.

Kritik, dass die Leitzinssenkungen der EZB von den Kreditinstituten nicht weitergegeben werden, trat Weber entgegen: Untersuchungen der Bundesbank für den Zeitraum von Oktober 2008 bis Februar 2009 zeigten, dass bei kurzfristigen Unternehmenskrediten etwa 75 bis 80 Prozent der Zinssenkungen weitergegeben worden seien, "was dem typischen Reaktionsmuster annähernd entspricht".

Die Zinsen für Kredite mit längeren Laufzeiten würden dagegen von anderen Größen wie etwa dem Kapitalmarktzins beeinflusst und seien deswegen noch nicht so stark zurückgegangen.

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