Street-Art:Von der No-go-Area zum Ausgehviertel

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Die westaustralische Stadt Perth hat Künstler eingeladen, triste Gassen zu verschönern. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Von Ingrid Brunner

Besucher fremder Städte zögern meist, in kleine enge Gassen einzubiegen - zu unübersichtlich, zu unsicher, zu unschön obendrein. Warum sollte das gerade in der westaustralischen Stadt Perth anders sein? Doch Fremdenführerin Adie Chapman vom Anbieter "Oh Hey WA" sagt, "kein Problem, im Gegenteil: Ein gepflasterter Weg führt hier immer zu einem Café, einer Bar oder kleinen Läden." Der gepflasterte Streifen in der Mitte der Gasse signalisiert noch mehr: Die Passage ist nachts gut beleuchtet - Lichtkünstler durften dort mit fantasievollen Laternenkreationen für Helligkeit sorgen. Die Mülltonnen stehen hinter Zäunen mit Blütendekor, viele Wege sind begrünt. Sprich: Die schmalen Straßen hinter den Häuserblocks im Central Business District von Perth (CBD) sind von der No-go-Area zur Touristenattraktion geworden.

Laneways, zu Deutsch Gassen, gibt es in Perth vor allem im historischen Kern der Stadt mit seinen Prachtbauten aus der Gründerepoche, errichtet um 1830. Sie sind im heutigen Stadtbild fast schon rührend zwischen den Hochhäusern und Glaspalästen der City eingezwängt. Während die Fronten der denkmalgeschützten Häuser aufwendig restauriert wurden, sah es auf deren Rückseite, in den Versorgungsgassen, trostlos aus. Dort hatte die übliche Kaskade der Verwahrlosung eingesetzt, die man in Lagen mit viel Leerstand überall auf der Welt beobachten kann: Wenig frequentierte Gassen vermüllen, dienen nur noch als Parkplätze und Anlieferzufahrten. Nach den Büro- und Geschäftszeiten aber verwaisen sie und werden Meidezonen, die Kriminalität begünstigen.

So auch in Perth, bis die Stadtverwaltung 2001 das Laneways Project startete und damit begann, vergessene Stadträume in lebenswerte, gern aufgesuchte Ruhezonen hinter den geschäftigen Hauptstraßen zu verwandeln. Vorbilder waren Melbourne und Sydney, wo ähnliche Revitalisierungsprojekte erfolgreich neue Stadträume erschlossen hatten.

Nun flanieren auch in Perth Spaziergänger durch die Gassen, besuchen kleine Läden und Galerien, Einwohner und Berufstätige nutzen die Wege gern als Abkürzung zwischen den Häuserblocks. Nach Feierabend lockt es die lebenslustigen Australier in die vielen Bars und Restaurants, die hier aufgemacht haben. "Das Nachtleben hat sich in den vergangenen Jahren unglaublich entwickelt", sagt Adie. Ein Beispiel für die positive Veränderung, das die Stadtverwaltung von Perth in einer Fallstudie dokumentiert hat, ist die Wolf Lane. Vor der Revitalisierung war das eine dunkle Gasse ohne Geschäfte, ohne Laternen, gesäumt von Mülltonnen. Die Stadt hatte ihre Umgestaltung deshalb mit hoher Priorität eingestuft. Bereits ein Jahr später waren dort kleine Geschäfte eingezogen, Bäume gepflanzt worden, Blumenkästen grenzen nun die Außenbereiche von Straßencafés und Bars ab. Eine Kunstinstallation lockte zusätzlich Neugierige an. Sie sollten sich von der Veränderung selbst ein Bild machen. Fünf Jahre lang hatte die Stadtverwaltung jeweils 800 000 Australische Dollar, etwa 525 000 Euro, bereitgestellt, erklärt Lisa Scaffidi, Oberbürgermeisterin von Perth. Gut angelegtes Geld, die positiven Effekte gehen weit über das Ästhetische hinaus. "Videokameras, Licht, Wlan und neue Läden in den Gassen brachten deutlich mehr Fußgänger und damit eine soziale Überwachung dieser Wege", erklärt Lisa Scaffidi.

Und es blieb nicht beim Laneways Project. Lokale Künstler wie Stormie Mills begannen, Mauern, Lagerhallen und Industriegebäude mit großformatigen Wandbildern zu verschönern. Mills ist mittlerweile ein international anerkannter Graffiti-Künstler. Seine Wandbilder zeigen meist drollig-gruselige Wesen in Schwarz-Weiß. Die Einwohner sind stolz auf ihn, wie man in Australien allgemein der Street Art gegenüber aufgeschlossen ist. Mauerkunst wird geschätzt, Agenturen vermitteln sogar Künstler, die "Takes", wie die Wandbilder heißen, nach Auftrag anfertigen.

Einmal im Jahr findet das Street Art Festival Public statt. Das hat vieles verändert

Auch die Stadt Perth reagierte positiv auf die Mauerkunst, und bot von sich aus Flächen an. Man könnte sagen, das war die Initialzündung für die Metamorphose von einer vormals eher farblosen zu einer jungen, hippen Stadt, die nun auch immer mehr Backpacker und junge Kreative anlockt. Seit 2014 findet einmal jährlich das Street-Art-Festival "Public" statt. Internationale Künstler kommen hierher, um an unwirtlichen Orten Bilder an die Wand zu zaubern. Auf hydraulischen Plattformen rücken sie mit Sprühdose und Paintbrush Industriebauten zu Leibe. Der Besucher flaniert vorbei an Blumenmustern, tropischen Fischen oder an Tieren aus dem Outback wie einem gigantischen Possum. Aber auch surrealistische und politische Botschaften stecken in den Kunstwerken.

Adie sagt, das Festival habe viele Viertel, etwa das CBD, das Ausgehviertel Northbridge, die Stadtteile Leederville und Victoria Park und sogar die Nachbarstadt Fremantle völlig umgekrempelt. Adie findet es erstaunlich, wie schönes Licht und Kunst die Energie und Stimmung eines Ortes verwandeln können. Mittlerweile steigt der Zuzug in diese nunmehr wieder attraktiven Quartiere.

Perth entwickelt sich zur öffentlichen Galerie, die australische Zeitung WA Today schrieb vor Kurzem, Perth habe mit Melbourne in Sachen Urban Street Art gleichgezogen. Ein interaktiver Stadtplan, die Urban Art Map, zeigt Besuchern, wo sie die Kunstwerke finden können (streetsofperthwa.com/).

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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