Straßen in München:Thalkirchner Straße

Eine Katze hat sieben Leben, sagt man. Die Thalkirchner Straße hat noch mehr: Wild und ruhig ist sie, grün und grau, hier wird getanzt und geschmust und auf ewig geruht.

Bernd Kastner

Ihre ersten hundert Meter, gleich beim Sendlinger Tor, sind bunt und ein wenig verrucht. Man ist am Rande von Münchens rosa Viertel, das den Schwulen und Lesben gehört. Noch ist die Thalkirchner Straße eng und laut, um dann schlagartig, beim Stephansplatz mit seiner kleinen Kirche, ruhig und breit zu werden.

1563 haben die Münchner den Südfriedhof angelegt, als Pestfriedhof, und später haben sie ihn vergrößert, bis hinunter zur Kapuzinerstraße. Dutzende berühmter Menschen wurden hier früher begraben, Spitzweg und Bürklein, Fraunhofer und Liebig, Gärtner und Klenze. Unter den alten Bäumen, zwischen den Grabsteinen, lassen es sich heute Mütter mit Buggy, Jogger mit Walkman und Obdachlose mit Bierdosen gut gehen.

Einmal im Jahr kommt die Polizei

Jenseits der Kapuzinerstraße, gleich nach dem Arbeitsamt, das Tröpferlbad. Einst öffentliche Badeanstalt, heute Treffpunkt der Jugend aus dem Viertel - und von weiter her. Alle Jahre wieder, wenn die Militärexperten zur Sicherheitskonferenz in die Stadt kommen, besucht die Polizei das Tröpferlbad. Weil im dortigen "Bürgerhaus Isarvorstadt" ein paar Autonome ihren Protest planen. "Bullen und Nazis raus" hat jemand an die rote Backsteinwand geschmiert.

Der Spuk kommt und geht - doch einer ärgert sich das ganze Jahr: Josef Triebenbacher, pensionierter Jugend-Polizist und Gründer des "Jugendtreffs Tröpferlbad", der anderen Einrichtung für Jugendliche im alten Gemäuer. Triebenbacher will nichts zu tun haben mit den linken Gestalten, und sieht sich doch immer mit ihnen in einen Topf geworfen.

Das Ende der Tiere

Ehe sich die Straße unterm Südbahnhof duckt, passiert man einen weiteren geschichtsträchtigen Ort - den Schlachthof, 125 Jahre alt. Dem Schlachthof verdankt das Viertel rechter Hand seinen proletarischen Charme und vergleichsweise moderate Mietpreise - für Münchner Verhältnisse, und auch nicht mehr lange. Die Spekulanten knöpfen sich auch hier ein Haus nach dem anderen vor. Das Dreimühlenviertel, linker Hand zwischen Thalkirchner Straße und Isar gelegen, ist längst mehr als ein Geheimtipp unter Münchens Jungen und Reichen.

Nichts erinnert an den Anfang

Dann kreuzt oben die Eisenbahn, und die Straße wird an ihrem geraden Lauf gehindert - von der Großmarkthalle. Also rechts und links und wieder links. Grobes Kopfsteinpflaster, Plakatwände, geparkte Lkw mit und ohne Nummernschild, der Wind weht Zeitungsfetzen über die Straße. Nichts mehr erinnert an den hippen Start der Straße am Sendlinger Tor. Hier ist die Arbeit zu Hause, schwere, ungeliebte Maloche. Erledigt von den nicht so Privilegierten.

Kaum hat die Thalkirchner Straße wieder auf den geraden Weg zurückgefunden, wird sie, mit Verlaub, langweilig. Monotone Mietskasernen säumen sie, und die Bäume am Rand sind, könnte man meinen, vor allem für die geparkten Autos da, um ihnen sommers Schatten zu spenden.

Langweilig ist die zweite Hälfte - wäre da nicht, fast ganz am Ende, der Israelitische Friedhof. Es ist Münchens ältester jüdischer Begräbnisplatz, schon 1285 angelegt. Wie der Alte Südfriedhof verbirgt er sich hinter Backsteinmauern, doch zugänglich ist er nicht. Nur für Grabbesitzer, sagt ein Schild, und bei Führungen der Volkshochschule. Weitere Erklärungen gibt es nicht. Die Geschichte der Juden in Deutschland ist Erklärung genug.

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