Straßen in München:Gunzenlehstraße

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Die Gunzenlehstraße in Laim ist gut versteckt. Selbst Ortskundige fahren womöglich ein Leben lang vorbei, ohne von ihrer Existenz etwas zu ahnen. Schade, denn sie verpassen ein Schmuckstück.

Ingrid Brunner

Für Uneingeweihte ist die Gunzenlehstraße fast so schwer zu finden wie für Harry Potter das Gleis neundreiviertel auf dem Bahnhof King's Cross. Denn die Gunzenlehstraße im Stadtteil Laim ist so gut versteckt und umbaut, dass Ortsunkundige womöglich ein Leben lang an der kaum hundert Meter langen Straße vorbeifahren, ohne von deren Existenz etwas zu ahnen.

Wer aber den Weg durch das Torhaus nimmt, kommt sich schon ein wenig so vor wie Harry, als er zum ersten Mal durch die magische Ziegelsteinwand ging, um nach Hogwarts in die Zauberschule zu fahren: Besucher fühlen sich mit einem Mal in eine andere Realität entrückt.

Vom Lärm der Stadt tritt man in ein ruhiges, fast dörfliches Ambiente, die schmale, baumbewachsene Straße und das Trottoir sind gepflastert wie in der guten alten Zeit.

Winzige Reihenhäuser stehen da aneinandergeschmiegt, mit Fensterläden und einer Vielzahl an baulichen Varianten: Mansardendächer, Giebel, Gauben, Zwerchhäuser und Erker lockern die architektonische Einheitlichkeit auf und lassen keinerlei Monotonie aufkommen. Dennoch bilden die Häuser ein in seiner Geschlossenheit selten anzutreffendes harmonisches bauliches Ensemble. Rund 140 Menschen leben hier, in zehn Häusern auf der einen und neun auf der anderen Seite.

Das Herz der Kleinhauskolonie

Die Gunzenleh ist die Mittelstraße, quasi das Herzstück einer vierzeiligen Kleinhauskolonie, die Theodor Fischer im Jahr 1911 in der Tradition der Gartenstadtbewegung gebaut hat.

Fischer war Mitbegründer und 1. Vorsitzender des Deutschen Werkbundes sowie Mitglied der Gartenstadtbewegung, die sich die planmäßige Stadtentwicklung als Reaktion auf die schlechten Wohnverhältnisse in den stark gewachsenen Städten zum Ziel gesetzt hatte. Daher haben alle Häuser einen Gartenanteil. Kleine Wege verbinden die gesamte Theodor-Fischer-Siedlung, was ihren ländlichen Charakter unterstreicht.

Wie auf dem Land fühlte sich auch Anne Fischer, als sie 1975 in die Theodor-Fischer-Siedlung einzog. "Es wollte sich einfach kein Stadtgefühl einstellen, und so ist es heute noch: Zehn U-Bahn-Minuten von der Innenstadt entfernt haben wir hier absolute Ruhe."

Damals waren die Bewohner fast durchweg alte Leute. "Wenn unser Garten zu verwildern drohte, kam ein Opi aus der Nachbarschaft und mähte uns den Rasen", erinnert sich Anne Fischer. Der Komfort war auf dem Niveau der dreißiger Jahre: Ölöfen statt Zentralheizung, statt einem Bad gab es nur eine Waschküche, Warmwasser: Fehlanzeige. Nach und nach kamen jüngere Leute und binnen kurzem waren 35 Kinder in der Siedlung.

Modernisierung trotz Denkmalschutz

Nicht nur die Bewohner verjüngten sich. 1986 stellte die Stadt München die Siedlung unter Ensembleschutz und begann, gemeinsam mit den Besitzern, die Gebäude zu restaurieren. Alle Dächer wurden neu gedeckt, moderne Technik hielt Einzug in die betagten Gemäuer. Der Denkmalschutz koordinierte und überwachte das Projekt. Ein rot gepflasterter Gehsteig säumt seither die Häuserzeile der Gunzenlehstraße, in der jeder jeden kennt, wo man auch gern mal auf einen Schwatz stehen bleibt und fremde Gesichter neugierig beäugt werden.

Die Bewohner sind heutzutage beinahe durchweg Eigentümer - und stolz darauf, in der Theodor-Fischer-Siedlung zu wohnen. Konnte man im Jahr 1975 noch ein Schnäppchen machen und ein unrenoviertes Haus für 150 000 Mark erstehen, musste man dafür im Jahr 1999 schon 650 000 Mark auf den Tisch legen. Anne Fischer und ihr Mann packten die Gelegenheit damals beim Schopf und kauften - heute bewohnen sie und ihre drei inzwischen erwachsenen Kinder insgesamt drei Häuser in der Siedlung. Zwischen 90 und 100 Quadratmetern Wohnfläche bieten die Häuser, verteilt auf bis zu vier Wohnebenen - vom Souterrain bis zum Dachgeschoss.

Im Stil einer Landresidenz

Natürlich hat die Gunzenlehstraße den berühmten Münchner Veredelungs-, auf Neudeutsch "Gentrification"-Prozess durchgemacht. Ursprünglich waren die Bauten für kleine Angestellte und Facharbeiter gedacht, während die heutigen Bewohner eher kaufstärkere Akademiker sind. Aber von gewissem Landadel, was ja Gentry übersetzt bedeutet, war die Anlage wohl von jeher geprägt. Der brachte sogar die Verfasser des mehrbändigen Werks "Denkmäler in Bayern" ins Schwärmen: "Die stilistische Haltung entspricht einem leicht barockisierenden Jugendstil bäuerlichen Gepräges, so dass die Anlage, die ein ausgesprochen dörfliches Aussehen zur Schau stellt, von ferne an den Wirtschaftsteil eines Guts oder einer Landresidenz der Barockzeit erinnert."

Von Adel ist auch die Herkunft des Straßennamens. Laut amtlichem Straßenverzeichnis des Münchner Vermessungsamtes leitet sich Gunzenleh wie folgt her: "Gunzenleh, ehemalige Burg der Welfen bei Mering, südöstlich von Augsburg, benannt nach der Grabstätte des in der Schlacht auf dem Lechfeld im Jahr 955 gefallenen Frankenherzogs Konrad, genannt Kunz (Gunz)."

Wer also in München eine Landresidenz der Barockzeit erleben möchte, muss sich nicht auf Harry Potters Zauberbesen schwingen. Ein Ausflug nach Laim genügt.

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