Stiftung Warentest:Geheime Labore wie bei James Bond

"Niemand kann sich erlauben, uns zu ignorieren": Mit größtem Aufwand prüft die Stiftung Warentest im Verborgenen Produkte aller Branchen. Jährlich stehen der Organisation 50 Millionen Euro zur Verfügung, für jeden Test müssen neue Maschinen erfunden werden. Das größte Kapital der Stiftung ist aber ihre Neutralität.

Von Daniela Kuhr, Berlin

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Warentest im Geheimlabor

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"Niemand kann sich erlauben, uns zu ignorieren": Mit größtem Aufwand prüft die Stiftung Warentest im Verborgenen Produkte aller Branchen. Jährlich stehen der Organisation 50 Millionen Euro zur Verfügung, für jeden Test müssen neue Maschinen erfunden werden. Das größte Kapital der Stiftung ist aber ihre Neutralität.

Von Daniela Kuhr, Berlin

Peng, da knallt die erste Kugel an die Holzwand. Und - peng! - die nächste. Und wieder: peng! Es sind kleine Eisenkugeln, etwa so groß wie Kieselsteine. Genau diese sollen sie auch simulieren. Mit bis zu 300 Stundenkilometern schießen sie unter einem laufenden Rasenmäher hervor und krachen gegen die Absperrung, die in etwa 50 Zentimetern Abstand rund um das Gefährt hochgezogen ist. "Wir messen, in welcher Höhe die Kugeln einschlagen. Wenn es auf Kniehöhe ist, kann das die Kniescheibe von demjenigen zertrümmern, der den Rasenmäher bedient", sagt der Mann mit dem hellblauen Hemd. Er hat natürlich einen Namen, doch der muss geheim bleiben. Nur so viel darf verraten werden: Der Mann ist Ingenieur. Er befindet sich in einem Labor. Wobei das Wort "Labor" viel zu nüchtern klingt. Denn fest steht: Das, was den Mann umgibt, würde das Herz eines jeden Tüftlers höher schlagen lassen.

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Man fühlt sich an die Räume erinnert, in denen der James-Bond-Sicherheitsexperte Q neue raffinierte Waffen entwickelte, so viele seltsame Gerätschaften sind in den diversen Hallen des Instituts anzutreffen. Wie etwa die mannshohen Halbkugeln, die elektromagnetische Wellen senden, oder die Maschine, die die Rotation einer Kettensäge misst, oder der schalldichte Raum, in dem jeder Ton so stark verschluckt wird, dass einem beim Reden im wahrsten Sinne des Wortes schwindlig werden kann.

Doch es ist kein Labor aus einem Actionfilm. All diese Vorrichtungen dienen einem absolut sachlichen Zweck: die Funktionalität, Belastbarkeit, Handhabung - kurzum: die Qualität von Produkten - zu messen. Im Auftrag der Stiftung Warentest.

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Es hat fast schon etwas Verschwörerisches, der Besuch in diesem Testlabor. Jeder Journalist musste vorher versichern, dass er weder den Namen des Instituts noch den genauen Ort nennt. Nur dass es sich in der Nähe von Chemnitz befindet, dürfen die Leser erfahren. "Wir müssen verhindern, dass die Industrie auch nur auf die Idee kommt, Einfluss auf die Arbeit des Labors zu nehmen", erklärt Holger Brackemann, Leiter des Bereichs Untersuchungen bei der Stiftung Warentest in Berlin. Denn dann stünde das wichtigste Pfund der Stiftung auf dem Spiel: ihre Glaubwürdigkeit.

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Neutral, objektiv, sachkundig - so müssen die Tests durchgeführt werden. Das hat der Bundesgerichtshof schon 1975 in seinem ersten Grundsatzurteil zur Stiftung Warentest entschieden. Wenn diese Kriterien eingehalten sind, wird es schwer, das Urteil der Tester anzugreifen. In den 49 Jahren ihres Bestehens ist die Stiftung noch nie rechtskräftig zu Schadensersatz verurteilt worden. Für Unternehmen sei es daher "wenig sinnvoll, den Rechtsweg gegen entsprechende Tests der Stiftung zu wählen, weil es quasi keine Aussicht auf Erfolg gibt", heißt es in einer Broschüre des Bundesverbands der Industrie (BDI).

Die Schauspielerin Uschi Glas hat es dennoch einmal versucht: Als eine von ihr vermarktete Hautcreme bei einem Test mit "mangelhaft" bewertet wurde, zweifelte sie die Untersuchung an, und die Herstellerfirma zog vor Gericht. Doch ohne Erfolg. Im Juni 2006 beschied das Kammergericht Berlin der Berufung "mangelnde Aussicht auf Erfolg".

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Der Aufwand, den die Tester betreiben, um die Neutralität zu gewährleisten, ist enorm. Beim Test einer Waschmaschine beispielsweise ist nicht nur der Schmutz genormt, selbst die Art und Weise, wie die Kleidungsstücke gefaltet werden, ist exakt vorgegeben. Und auch die Stelle, an der sie in die Trommel reingelegt werden, muss bei jedem Test gleich sein. Oder der Tiefkühltruhen-Test: Um sicherzustellen, dass jedes Gerät haargenau die gleichen Anforderungen bewältigen muss, werden nur Pakete mit einer einheitlichen wabbeligen braun-grauen Masse eingefroren. Sie soll die Beschaffenheit von magerem Rindfleisch simulieren. "Wer auch immer in Europa einen anerkannten Test von Tiefkühlgeräten durchführen will, benutzt exakt diese Masse", erklärt ein weiterer Ingenieur des Instituts, dessen Namen natürlich ebenfalls nicht genannt werden darf.

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Seit mehr als 20 Jahren arbeitet die Stiftung Warentest mit dem Labor in Sachsen zusammen. Die Ingenieure hätten sich nicht nur als äußerst zuverlässig, absolut neutral und fachkundig erwiesen, sagt Brackemann, sondern vor allem auch als extrem erfinderisch. "Das ist für uns deshalb so wichtig, weil es ja zunächst mal keine Maschine gibt, die Staubsauger testet oder Rasenmäher. Eine solche Maschine müssen die Mitarbeiter in dem Institut immer erst einmal entwickeln und bauen."

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Mit Ausnahme von Lebensmitteln und Chemikalien wird in dem Labor so gut wie alles getestet, was Verbraucher interessieren könnte: Waschmaschinen, Rollkoffer, Akkuschrauber, Bohrmaschinen, Bügeleisen, Elektrofahrräder, Mikrowellengeräte, Wäschetrockner, Heckenscheren, Energiesparlampen, Backöfen, Tiefkühltruhen oder eben Rasenmäher und Staubsauger. Und jedes Mal, wenn eine Produktgattung das erste Mal getestet werden soll, müssen die Tüftler sich etwas Neues einfallen lassen, damit sichergestellt ist, dass jedes Produkt unter haargenau den gleichen Bedingungen getestet wird.

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Nächster Raum, nächster Ingenieur, nächstes Gerät: Diesmal ist es kein Rasenmäher, der da läuft, sondern ein Staubsauger. Der Griff des Rohrs ist in einer Vorrichtung aufgehängt, die ihn immer in derselben Geschwindigkeit, demselben Winkel und mit demselben Druck über einen roten Wollteppich führt. In diesen hat eine Walze zuvor eine exakt bestimmte Menge "Normstaub" eingearbeitet. Fünfmal gleitet das Rohr hin und her. Anschließend wird der aufgesaugte Staub aus dem Staubsaugerbeutel gewogen. "Sehr gute Geräte schaffen 80 Prozent der Menge, die zuvor aufgetragen worden war", sagt der Mitarbeiter des Labors. "Die meisten kommen jedoch nur auf etwas mehr als 70 Prozent." Doch um die Qualität eines Staubsaugers abschließend beurteilen zu können, müssen die Geräte noch andere Stationen durchlaufen, in denen beispielsweise getestet wird, wie laut sie sind, wie leicht sie über Bodenschwellen rumpeln oder wie staubhaltig die Abluft ist, die sie produzieren. 3000 bis 4000 Euro kostet der Test eines einzelnen Gerätemodells. "Wenn man zehn Modelle vergleichen will, kostet uns das schnell um die 40.000 Euro", sagt Brackemann.

Elektrofahrräder im Test

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Mit zu den teuersten Tests zählen die Untersuchungen von Elektrofahrrädern. Da kostet schon der Einkauf eines einzelnen Rads um die 2000 Euro. "Wir brauchen jedoch fünfmal das gleiche Modell, da die Räder nach manchen Untersuchungen nicht mehr zu gebrauchen sind für weitere Tests", sagt Brackemann. Hinzu kommen Prüfkosten von 14.000 Euro pro Modell. "Allzu häufig können wir solche Tests also nicht durchführen." Zwar liegt das Jahresbudget der Stiftung bei 50 Millionen Euro. Allerdings gehen davon ein Drittel für Personalkosten drauf und ein Viertel für den Druck und Vertrieb der hauseigenen Publikationen, wie etwa der Zeitschriften test, Finanztest und diverser Bücher. Für die rund 200 Verbrauchertests, die die Stiftung im Schnitt jährlich durchführt, wendet sie etwa sechs Millionen Euro pro Jahr auf.

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Welche Macht die Stiftung hat, darüber sind nicht zuletzt die Mitarbeiter selbst immer wieder überrascht. Als die Tester 2005 beispielsweise in diversen Olivenölen erhebliche Mengen an Weichmachern entdeckten, die vermutlich aus den Herstellungsgeräten stammten, wurde der gesamte Produktionsprozess umgestellt. "Unser Test hat die Olivenöl-Produktion in ganz Europa beeinflusst", sagt Brackemann. Und als sie hochgiftige Schadstoffe in den Griffen bestimmter Rollkoffer entdeckten, "brach der Aktienkurs der betroffenen Firma in Hongkong ein". Der Verbraucherschützer macht keinen Hehl daraus, dass er darauf auch ein bisschen stolz ist. "Die Unternehmen wissen also: Wir sind relevant. Niemand kann sich erlauben, uns zu ignorieren."

© SZ vom 04.04.2013/mahu
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