Steuerpläne der Regierung:Geldgeschenk für Reiche

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Erstmals berechnen Ökonomen die Folgen einer radikalen Steuerreform für Deutschland. Sie prophezeien heftige Nebenwirkungen - mit möglichen sozialen Verwerfungen.

Markus Balser

Wohin steuern? In ihrer Regierungserklärung legte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag im schwarz-gelben Steuerstreit vor dem Bundestag erstmals fest: Trotz wachsender Zweifel in den eigenen Reihen will die Kanzlerin an der geplanten Steuerreform im Jahr 2011 festhalten. Das Ziel: Eine Entlastung bei der Einkommensteuer und einfachere Tarife für alle nach dem Stufenmodell. Die harten Debatten der vergangenen Tage sollten nach diesem Machtwort ein Ende haben, so die Hoffnung der CDU-Spitze. Doch nur einen Tag später droht in Berlin schon wieder neuer Ärger. Ökonomen haben erstmals ausgerechnet, was eine weit reichende Steuerreform das Land kosten würde - und wer am meisten profitiert. Das Fazit der Forscher: Deutschland droht ein Finanzdesaster.

Forscher kritisieren die liberalen Entlastungspläne: Topverdiener könnten bald 16,8 Prozent mehr in der Tasche haben. Die unterste Steuerklasse würden dagegen nur mit einem Prozent profitieren. (Foto: Foto: ddp)

In einer neuen Studie lässt das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn (IZA) kein gutes Haar an den vor allem von der FDP vorangetriebenen Steuerplänen. In dem Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, warnen die IZA-Ökonomen vor einem milliardenschweren Fehlschlag. Die Regierung steuere bei der Umsetzung des Dreistufenmodells der FDP auf Belastungen für den Fiskus von 62 Milliarden Euro zu - weit mehr als bislang gedacht.

Heftige Nebenwirkungen erwartet

Die Reformer in der neuen Bundesregierung wollen den bisherigen linear-progressiven - also ansteigenden - Steuertarif gerne ab 2011 in ein Dreistufenmodell von zehn Prozent (ab 8004 Euro Jahreseinkommen 25 Prozent (ab 20.000 Euro) und 35 Prozent (ab 50.000 Euro) verwandeln. So sieht es ein Modell der Liberalen vor. Das Kalkül der Reformer um FDP-Chef Guido Westerwelle: Größere Arbeitsanreize, eine Entlastung der Steuerzahler - und gleichzeitig wachsende Einnahmen, weil der Umbau mehr Geld in den Taschen der Bürger lasse und so die Wirtschaft ankurbele.

Doch die Experten erwarten heftige Nebenwirkungen des Umbaus und gehen gar davon aus, dass der Schuss nach hinten losgeht. Im Koalitionsvertrag seien 24 Milliarden Euro Steuerentlastungen angesetzt, die die Einkommensteuer im Jahr 2011 bringen soll. Das Stufenmodell aber sorge für weit größere Ausfälle im Bundeshaushalt, urteilt das IZA. Die Lücke liege bei mindestens 60 Milliarden Euro, warnt das Institut. Zwar schaffe der Umbau des Steuersystems laut einer Simulation im Gegenzug tatsächlich größere Anreize, eine Arbeit aufzunehmen.

Gut 200.000 Menschen, die derzeit nicht erwerbstätig seien, würden demnach aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden - und die Sozialkassen entlasten. Doch das reiche nicht aus, um die Ausfälle auszugleichen. Selbst unter der Annahme positiver Arbeitsmarktwirkungen "bliebe ein Aufkommensverlust von immer noch 51,8 Milliarden Euro", rechnet die Studie vor- das Doppelte der im Koalitionsvertrag angesetzten Entlastung.

Ächzen unter Rekordverschuldung

"Niedrigere Steuern sind absolut wünschenswert", sagt Hilmar Schneider, Studienleiter und Direktor für Arbeitsmarktpolitik am IZA. "Aber die Effekte einer solchen weit reichenden Reform sind angesichts der Krise einfach nicht finanzierbar." Die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden ächzen bereits unter einer Rekordverschuldung. Für 2009 ist eine Rekord-Nettokreditaufnahme des Bundes von 49,1 Milliarden Euro eingeplant. Für 2010 sieht der bisherige Etatentwurf eine Neuverschuldung von 86,1 Milliarden Euro vor.

"Einfach, niedrig und gerecht - dafür stehen wir" - mit diesen Worten hatte Merkel noch am Dienstag im Bundestag für die Steuerpläne der Koalition geworben. Doch während die Bundesregierung bislang betont hatte, vor allem die Mittelschicht entlasten zu wollen, führten die Reformelemente der Liberalen zu einer gravierenden Umverteilung und einer starken Entlastung reicher Bevölkerungsschichten, erklärt das IZA weiter.

Entlastungen begünstigen Topverdiener

"Die Durchschnittsentlastung pro Haushalt liegt bei zwölf Prozent", sagt IZA-Forscher Schneider. Doch die Entlastung würde sehr unterschiedlich ausfallen. Während das verfügbare Einkommen der untersten Einkommensklasse nur um gut ein Prozent steigt, haben Topverdiener den Plänen zufolge bald 16,8 Prozent mehr in der Tasche. "Das wird neben allen finanziellen Problemen in Deutschland politisch kaum durchzusetzen sein", glaubt Schneider.

Die Studie dürfte den Konflikt innerhalb der Bundesregierung um den richtigen Steuerkurs erneut verschärfen. Die FDP dringt seit längerem auf eine umfassende Steuerstrukturreform und hatte die Einführung des Stufentarifs bei der Einkommensteuer zu einer zentralen Bedingung für das Zustandekommen der Koalition mit der Union gemacht. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte dagegen zuletzt Bedenken gegen eine entsprechende Entlastung geäußert. Mit ihrer Regierungserklärung schlug sich Merkel wieder auf die Seite der Liberalen.

© SZ vom 12.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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