Steinbrück im Interview:"Wie tief es runter geht, kann ich nicht sagen"

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Finanzminister Steinbrück über die Dramatik der Rezession, den neuen Shootingstar Guttenberg - und warum er sich über die Schweiz ärgert.

G. Bohsem u. C. Hulverscheidt

In der Schweiz sollte sich Peer Steinbrück, 62, derzeit nicht blicken lassen. Dennoch will der Finanzminister den Druck auf Steueroasen beim EU-Gipfel weiter erhöhen.

Finanzminister Steinbrück: "Wenn der Kampf gegen Steuerhinterzieher mehr sein soll als eine Floskel, brauchen wir national wie international mehr Druck." (Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Minister, wo ist eigentlich das einst so erfolgreiche Krisenmanager-Duo Merkel/Steinbrück geblieben?

Steinbrück: Wieso? Das funktioniert hervorragend.

SZ: Man hat den Eindruck, dass Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Ihren Part übernommen hat.

Steinbrück: Er ist neu, also wird viel über ihn berichtet. Das verändert nicht die Rolle des Finanzministers.

SZ: Sie sind also nicht eifersüchtig?

Steinbrück: In meinem Alter?

SZ: Guttenberg sagt aber zudem meist das Gegenteil dessen, was Sie sagen.

Steinbrück: Wenn Herr Guttenberg meint, er müsse in Sachen Mehrwertsteuer einer Lobbygruppe nach dem Mund reden, obwohl es einen anderslautenden Beschluss in der Koalition gibt, dann ist das sein Problem und nicht meins.

SZ: Beim Streit über den Umgang mit Steueroasen weiß der Wirtschaftsminister die gesamte Union hinter sich.

Steinbrück: Wenn der Kampf gegen Steuerhinterzieher mehr sein soll als eine Floskel, brauchen wir national wie international mehr Druck. Deshalb heißt es in meinem Gesetzentwurf: Wer mit Steueroasen Geschäfte macht, ist gegenüber dem Finanzamt auskunftspflichtig. Wenn die Union bei diesem Kampf nicht mitmachen will, wird die SPD das zum Thema machen - auch im Wahlkampf.

SZ: Sie stellen mit dem Gesetz alle Firmen unter einen Generalverdacht - und unsere Rechtsordnung auf den Kopf.

Steinbrück: Überhaupt nicht. Mitwirkungspflichten gibt es schon heute.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum Steinbrück Drohbriefe aus der Schweiz erhält.

SZ: Fördert es eigentlich die Kompromissbereitschaft der Schweiz, wenn man ihr mit Peitsche und Kavallerie droht?

"Ich weiß es nicht": Finanzminister Steinbrück (hier im Bundestag) kann nicht vorhersagen, wie weit die Rezession Deutschland nach unten ziehen wird. (Foto: Foto: dpa)

Steinbrück: Niemand droht. Das ist doch abwegig. Wir weisen auf Verletzungen von OECD-Regeln hin. Die Schweiz lädt Ausländer dazu ein, gegen Gesetze in ihren Heimatländern zu verstoßen. Soll ich das einfach hinnehmen? Im übrigen gibt uns der Erfolg recht: Ohne weltweiten Druck hätten die Schweiz und andere Steueroasen jedenfalls nicht angekündigt, das Bankgeheimnis zu lockern.

SZ: Resultat ist aber auch, dass einzelne Schweizer Medien Sie zu den "meistgehassten Menschen" des Landes zählen.

Steinbrück: Ich bekomme Drohbriefe aus der Schweiz und werde als Nazi-Scherge beschimpft. Das ist absolut unverhältnismäßig und inakzeptabel. Die Aufregung resultiert wohl eher aus dem Bewusstsein, dass man jenseits der internationalen Vereinbarungen steht.

SZ: Auch beim EU-Gipfel spielt das Thema Steueroasen eine wichtige Rolle. Haben Sie den Eindruck, dass die USA und Europa generell bereit sind, die Ursachen der Finanzkrise anzugehen?

Steinbrück: Absolut. Es gibt Beschlüsse, die wären vor einem Jahr undenkbar gewesen. Der IWF erhält mehr Mittel, Hedge-Fonds und Ratingagenturen sollen staatlich reguliert, Banken grenzüberschreitend beaufsichtigt werden. Allein dass die Angloamerikaner dem Prinzip "Kein Markt, kein Akteur, kein Produkt ohne Aufsicht" zugestimmt haben, ist ein riesiger Fortschritt.

SZ: Die Kompromisse der Koalition in Sachen Managergehälter sprechen aber nicht gerade dafür, dass Sie die Verursacher der Krise besonders hart anpacken.

Steinbrück: Der Koalitionsausschuss hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die weitergehende steuerliche Begrenzungen von Managergehältern verhandelt. Auch beim G-20-Gipfel in London Anfang April wird das Thema besprochen.

SZ: Durch die Finanzkrise ist die Bundesrepublik in die schwerste Rezession ihrer Geschichte gestürzt worden. Geht es noch weiter nach unten?

Steinbrück: Die ehrliche Antwort ist: Ich weiß es nicht. Und wenn es jemand weiß, würde ich ihn gerne kennenlernen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was Steinbrück Deutsche-Bank-Chefökonom Norbert Walter vorwirft.

SZ: Die Bundesregierung geht von einem Konjunktur-Minus von 2,25 Prozent aus. Daran können nur noch hoffnungslose Optimisten glauben.

Steinbrück: Sie wissen doch noch gar nicht, wie unsere Konjunkturprogramme wirken. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass wir die 2,25 Prozent nicht halten können. Wie tief es runter geht, kann ich derzeit nicht sagen.

SZ: Manche Institute sagen ein Minus von vier Prozent voraus.

Steinbrück: Das kann seriöserweise im Moment niemand wissen. Der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank hat seine Prognose jetzt schon auf minus fünf Prozent verschlechtert, und es wird nicht lange dauern, da ist er über Fünf hinaus. Ich halte so eine Vorgehensweise für verantwortungslos. Das ist der Versuch, mit immer schlechteren Nachrichten Aufmerksamkeit zu erheischen.

SZ: Was heißen die trüben Prognosen für den Wahlkampf im Superwahljahr?

Steinbrück: Ich kann nur appellieren, bei der Aufstellung der Wahlprogramme daran zu denken, dass sich in den Monaten bis zur Wahl noch viel ändern kann.

SZ: Die Koalition ist bis zum Wahltag zu einer intensiven Zusammenarbeit verdammt. Bleibt da überhaupt Platz für eine parteipolitische Auseinandersetzung?

Steinbrück: Natürlich kann die Luft im Wahlkampf ein bisschen bleihaltiger werden. Das gehört zur Demokratie dazu. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Leute von uns bis zum letzten Tag ein reibungsloses und nicht parteipolitisch gefärbtes Krisenmanagement erwarten.

SZ: Wird die Krise unser Verständnis von Staat und Markt ändern?

Steinbrück: Was wir momentan erleben, diese Kombination aus Wirtschafts- und Finanzkrise, ist in meinen Augen ein epochales Ereignis. Diese Krise wird nicht nur einen ökonomischen, sondern auch einen gesellschaftlichen Preis fordern. Viele Menschen geraten in tiefe Zweifel über ein Modell, in dem die, die für die Lage verantwortlich sind, nicht die Zeche zahlen. Zum anderen erleben wir das Ende des Dogmas, das der Staat sich weitgehend aus der Wirtschaft herauszuhalten hat. Es wird eine neue Balance geben müssen, eine größere Ausgewogenheit im Verhältnis Staat zu Markt. Es ist gut, dass der Staat die Spielregeln sehr viel stärker bestimmen wird als in den letzten 20 Jahren. Ich vermute, dass diese Phase sehr lange anhalten wird.

© SZ vom 19.03.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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