Stadtplan München:"Und wüsste ich alle Geheimnisse . . ."

Der Kapuzinerstraße fehlt der Glamour, und Flaneuren ist es vermutlich zu laut, aber sie hat auch einige schöne Seiten.

Von Ingrid Weidner

Morgens schiebt sich eine Blechkolonne von der Wittelsbacherbrücke kommend am Baldeplatz vorbei stadteinwärts, am Abend wiederholt sich das Schauspiel in umgekehrter Richtung. Die Kapuzinerstraße verbindet Giesing mit der Isar- und Ludwigsvorstadt, gleichzeitig trennt sie das Schlachthof- vom Glockenbachviertel.

Lange Zeit existierten die Pläne für diese Verbindungsachse nur auf dem Papier. Erst die im Jahr 1871 eröffnete Bahnlinie und der Südbahnhof veränderten den Süden und Westen Münchens. Als der Schlacht- und Viehhof zwischen 1876 und 1878 auf der damals noch grünen Wiese gebaut wurde, entwickelten sich in den folgenden Jahrzehnten auch Industrie und Wohnungsbau. Bereits 1864 war die Kapuzinerstraße als einen Kilometer lange Verbindungsachse zwischen Lindwurmstraße und Baldeplatz in den Generalplan der Isarvorstadt aufgenommen worden und Teil einer Ringstraße zu den Vororten. Zwischen 1892 und 1983 fuhr dort auch eine Straßenbahn.

Direkt nach der Kreuzung zur Lindwurmstraße entstanden die ersten Wohnhäuser. Noch heute dominiert dort eine kleinteilige Bebauung. Kleine Geschäfte, Kneipen, Wettbüros, Friseure, Imbissläden und ein Staubsauger-Reparaturservice reihen sich aneinander. Die Autos schieben sich langsam vorwärts, die Straße wirkt eng und stickig.

Aus diesem tristen Einerlei sticht die in einem Flachbau untergebrachte Rösterei mit Café "Gangundgäbe" heraus. Der stilvoll mit Second-Hand-Mobiliar eingerichtete Raum beherbergt auch die Maschinen, an denen Andreas Postrach die grünen Kaffeebohnen röstet. Vor der Fensterfront locken eine lange Sitzbank und Tische die Gäste vor die Tür. Bei all der bunten Nachbarschaft, etwa dem Café Halli Galli, wirkt das Café Gangundgäbe fast ein wenig fehl am Platz. Zurückhaltend chic und trendy passt es eigentlich besser ins Glockenbachviertel als in die schnöde Kapuzinerstraße.

Stadtplan München: Selbst wer die Kapuzinerstraße nur als Durchgangspassage nutzt, kennt das Bibelzitat an der Kirchenmauer von St. Anton.

Selbst wer die Kapuzinerstraße nur als Durchgangspassage nutzt, kennt das Bibelzitat an der Kirchenmauer von St. Anton.

(Foto: Catherina Hess)

Den Kapuzinerplatz konzipierten die Planer als Viereck, von dem mehrere Straßen abzweigen. Heute bändigen dort Ampeln die Autokolonnen, der Platz schrumpfte zur Verkehrsinsel. Ursprünglich dominierte den Platz die neugotische Ziegelarchitektur des Schlachthofs mit einem Eingangstor, das Fuhrwerke passierten, um in den dahinter gelegenen Heuhof zu gelangen. An dieser Stelle steht heute das Arbeitsamt. 1975 verkaufte die Stadt nämlich das 2,1 Hektar umfassende Grundstück, und der Bürokoloss mit 43 000 Quadratmetern Geschossfläche entstand. Inzwischen ist das Gebäude für die Behörde zu groß geworden, ein Verkauf ist aber nicht geplant.

Ihren Namen erhielt die Kapuzinerstraße schon 1867 von der zur Klosterkirche der Kapuziner ausgebauten Schmerzhaften Kapelle. Das kleine Gotteshaus verschwindet etwas neben der monumentalen, katholischen Pfarrkirche St. Anton, die zwischen 1893 und 1895 im neuromanischen Stil erbaut wurde. Selbst wer die Kapuzinerstraße nur als Durchgangspassage nutzt, kennt aber das markante, goldglänzende Bibelzitat an der Kirchenmauer: "und wüsste ich alle Geheimnisse und hätte alle Erkenntnis und hätte die Liebe nicht so wäre ich nichts". Profan schließt sich einige Meter weiter eine Tankstelle an. Auf der Straßenseite gegenüber ragen Bäume hinter der hohen, mit wildem Wein bewachsenen Backsteinmauer des Südfriedhofs empor.

Stadtplan München: Stadtplan Münchner Innenstadt (SZ-Grafik).

Stadtplan Münchner Innenstadt (SZ-Grafik).

Die nächste Straßenecke dominiert das stattliche Doppelmietshaus mit den Hausnummern 33 und 35, ein Eckbau mit drei Giebeln. Eines der Häuser thront über dem Westermühlbach, das andere über dem trockengelegten Pesenbach. Eine abgeschrägte Ecke schafft Platz vor den Schaufenstern im Erdgeschoss. Seit 20 Jahren befinden sich dort die Verkaufsräume von Iwelo Systemmöbel. Anneliese Golbs leitet den Laden und beobachtet genau, wie sich das Viertel verändert. Ältere Kunden klagten, dass sie sich ihre großen Wohnungen nicht mehr leisten könnten und das Viertel verlassen müssten. "Manche ziehen bis nach Mecklenburg-Vorpommern, aber wir liefern auch dorthin", sagt die geschäftstüchtige Frau. Gefertigt werden die Möbel in Landsberg. Mancher Kunde findet über Anzeigen zum Geschäft, denn eine Flaniermeile sei die Kapuzinerstraße nun mal nicht, räumt Golbs ein. Es komme vor, dass jemand im Stau an der Ampel stehe, einen Schrank im Schaufenster sehe und später vorbeikomme, erzählt sie, doch das sei die Ausnahme. Über die Lage will sich Golbs aber nicht beklagen, denn das angesagte Glockenbachviertel bringt neue Kunden. "Es ist mehr los", sagt sie.

Im Eckhaus direkt am Baldeplatz bieten die "Speis-Girls" von morgens bis nachmittags Brotzeiten und Mittagessen an. "Ich hatte einen Bürojob, habe mich aber immer über das schlechte Angebot an Mittagsgerichten geärgert", erzählt Roswitha Wagner. Im November 2010 übernahm die Münchnerin zusammen mit ihrer Schwester Monika Berse die leer stehende Metzgerei. Eigentlich wollten sie den Betrieb weiterführen und zusätzlich Brotzeiten anbieten, doch bald merkten sie, dass die Kunden kein Fleisch kaufen wollten, dafür aber zahlreich und regelmäßig zum Essen kamen. Also passten sie ihr Konzept an. Heute verrät eine handgeschriebene Tafel die Tagesgerichte der Speis-Girls. "Wir haben viele Stammkunden aus den Büros in der Nähe, außerdem kommen viele Handwerker zu uns, denn im Viertel wird immer irgendwo gebaut", erzählt Wagner. Fleisch, Fisch und vegetarische Gerichte haben die beiden im Angebot, außerdem einen Catering-Service. "Es läuft gut", erzählen die beiden, und verschwinden wieder in der Küche.

Das Gespenst der Gentrifizierung spukt nur zögerlich durch die Kapuzinerstraße, der Verbindungsachse fehlt der Glamour, und Flaneuren ist es vermutlich zu laut dort. Einst war die Isarvorstadt ein dicht besiedeltes Arbeiterviertel, das Immigranten anlockte. Im Schlachthof und den zahlreichen Industrie- und Handwerksbetrieben gab es viele Arbeitsplätze, außerdem waren die Mieten im Glockenbachviertel niedrig. Auch aus Osteuropa kamen Ende des 19. Jahrhunderts viele Menschen jüdischen Glaubens in das Quartier zwischen Gärtnerplatz und Schlachthofviertel, gründeten Geschäfte und hofften auf ein besseres Leben. In der Kapuzinerstraße 41 beispielsweise eröffnete Georg Herzfeld 1927 ein Damen- und Herrenbekleidungsgeschäft. Auf einem historischen Foto steht er stolz mit seiner Frau vor den Schaufenstern. Heute erinnert dort nichts mehr an die deportierten Geschäftsleute.

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