Stadtplan München:Bier und Bahn

Stadtplan München: Ein Stück Münchner Architekturgeschichte: die Leonhard-Moll-Wohnblöcke auf der Schwanthalerhöhe.

Ein Stück Münchner Architekturgeschichte: die Leonhard-Moll-Wohnblöcke auf der Schwanthalerhöhe.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das Münchner Westend verdankt seine gute Entwicklung Brauereien, Gleisen und Industrieanlagen. Die stinkenden Fabriken sind längst verschwunden. Ein Spaziergang durch die Ganghoferstraße.

Von Ingrid Weidner

Die Herbstnebel packen die Stadt in feuchte Watte, gelbe und rostfarbene Ahornblätter tanzen in Pirouetten von den Ästen. Auf der Münchner Theresienwiese haben eben noch Arbeiter die Reste des Oktoberfests beseitigt, auf der Schwanthalerhöhe atmen die Bewohner tief durch. Endlich verläuft das Leben im Viertel wieder in gewohnt unaufgeregten Bahnen.

Durch die pittoreske Idylle in der Ganghoferstraße wabert eine Bierfahne. Empfindliche Nasen erschnuppern sofort den Hopfen- und Malzgeruch. Grund dafür ist die Augustinerbrauerei, die noch heute ihren Gerstensaft im Westend braut. Bevor Brauereien, Industrielle und Immobilienspekulanten auf die Hangkante zogen, die die letzte Eiszeit zurückließ, war dort eine Brache, Sendlinger Haide genannt. Das karge Plateau eignete sich nicht für den Ackerbau, der Boden war zu steinig. Zwar zog der nahe gelegene Galgenberg seit dem Mittelalter Schaulustige an, die sich an den Hinrichtungen ergötzten, doch 1808 endete das grausige Schauspiel, ab 1810 verlegte sich die Volksbelustigung auf die Theresienwiese und das jährlich dort stattfindende Pferderennen.

Findige Brauereibesitzer und Spekulanten kauften früh die billigen Grundstücke oberhalb der Hangkante. Zuerst lagerten die Bierbrauer dort ihre leicht verderbliche Ware, um 1812 eröffneten sie die ersten Ausflugslokale und später brauten sie auf der Schwanthalerhöhe ihr Bier. Andere Industriebetriebe zogen nach.

Namenspatron war Baumeister Jörg Ganghofer, der auch an der Frauenkirche mitwirkte

Ein weiterer Entwicklungsschub für das Viertel war ab 1839 der Eisenbahnbau. Der erste Münchner Hauptbahnhof, eine Bretterbude aus Holz, befand sich ebenfalls im Westend, auf der Höhe der jetzigen Hackerbrücke. Erst 1848 rückte das Empfangsgebäude näher an die Stadt und den heutigen Standort. Doch die Eisenbahntrassen schnürten das Viertel von drei Seiten ein.

Auf alten Karten trennt die Ganghoferstraße die Schwanthalerhöhe von dem später bebauten Westend. Ihr Verlauf folgte anfangs einer 1868 aufgelassenen Bahntrasse Richtung Ostbahnhof. Namenspatron der 1878 benannten Straße war der Baumeister Jörg Ganghofer, der von 1468 bis zu seinem Tod 1488 an der Frauenkirche, dem Alten Rathaus sowie Altem Hof mitwirkte.

Ursprünglich verband die Ganghoferstraße die Westendstraße mit dem Margaretenplatz. Heute ist die Straße etwas kürzer, endet aber immer noch in Sendling und ist circa 1,7 Kilometer lang. Eine typische Wohnadresse mit Genossenschaftswohnblöcken, Mietshäusern aus der Gründerzeit, einigen Neubauten und Lokalen wie "Zum Ganghofer" finden sich dort. Gekocht wird dort überwiegend mediterran, die Speisekarte reicht von Semmelknödel bis Souflaki. An der Ecke zur Gollierstraße galt die Kneipe Stoa über Jahrzehnte als verlängertes Wohnzimmer des Viertels. Inzwischen heißt das Lokal Bianchi und bietet italienische Küche. Aber auch Pizza und Döner gibt es in der Straße.

Die Schwanthalerhöhe, wie der Stadtbezirk im Münchner Westen offiziell heißt, gehört zu den jüngsten im Stadtgebiet, umfasst eine Fläche von etwa 207 Hektar und zählt knapp 30 000 Einwohner, von denen rund ein Drittel ausländische Wurzeln hat. Gebräuchlich ist auch der Name "Westend", auch wenn ursprünglich nur die Straßenzüge westlich von der Ganghoferstraße so hießen.

Die Idee mit dem Westend hatten findige Immobilienspekulanten, die ähnlich wie in Frankfurt oder in London dort ein nobles Villenviertel errichten wollten. Die Lage im Westen oberhalb der Hangkante mit dem Bavariapark und den geplanten Messehallen war passend. Doch die Pläne scheiterten an den bereits dort ansässigen Industriebetrieben, die die Luft verpesteten.

Doch auch die Arbeiter brauchten eine Bleibe, und ab 1880 nahm der Wohnungsbau an Fahrt auf. Drei- bis viergeschossige Mietshäuser mit offenen Toreinfahrten und niedrigeren Rückgebäuden entstanden dort. Die Wohnungen waren oft großzügiger geschnitten, als es sich die dort lebenden Arbeiter leisten konnten. Viele teilten sie deshalb in kleinere Einheiten auf. Doch im Westend schlossen sich viele Bürger zu Wohnungsbaugenossenschaften zusammen und bauten selbst. Bis in die Siebzigerjahre galt das Westend als Glasscherbenviertel und günstige Wohnadresse. Viele Migranten zogen dorthin. Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen verbesserten die Wohnqualität, die stinkenden Fabriken verschwanden, und in viele ehemalige Läden zogen Cafés, Boutiquen und Verkaufsräume für schönen, aber überflüssigen Plunder ein.

Die Ganghoferstraße touchiert auch das neu bebaute, 47 Hektar große ehemalige Messegelände. Den Ideenwettbewerb hatte das Münchener Architekturbüro Otto Steidle gewonnen. Neben Gewerbeflächen entstanden dort auch 1600 neue Wohnungen. Die Treppenskulptur von Ólafur Elíasson schmückt den offenen Innenhof eines Bürogebäudes an der Ganghoferstraße. Gegenüber stehen zwei Wohnblöcke, die in München Architekturgeschichte geschrieben haben. Das eine lindgrün, mit elegant geschwungenen Balkonen, plante Otho Orlando Kurz, das zweite in einem blassen beige gehaltene und strenger wirkende Gebäude entwarf Theodor Fischer. Nach Fertigstellung 1927/28 waren das die modernsten Wohnhäuser der Stadt mit Tiefgarage, Fahrstuhl und großzügigen Innenhöfen. Auftraggeber war der Bauunternehmer Leonhard Moll, weshalb sich der Name "Moll-Blöcke"‟ durchgesetzt hat. Berühmte Münchner Persönlichkeiten wie Erhard Auer, Vorsitzender der bayerischen SPD und bayerischer Innenminister im Kabinett von Kurt Eisner, wohnten dort in der Ganghoferstraße 56. Doch viele NS-Schergen setzten bisherige Bewohner vor die Tür und zogen selbst dort ein.

Am angrenzenden Georg-Freundorfer-Platz beugen sich zwei ältere Herren über ihre Schachfiguren. Jeder durchdenkt für sich die nächsten Züge, ignoriert den Gegner mit gesenktem Blick. Als ein leiser Nieselregen einsetzt, ziehen die beiden ihre grauen Schöpfe wie Schildkröten ein, keiner der beiden greift nach einem Schirm oder Mütze. Vorbeieilende Passanten ignorieren die beiden ebenso wie das Mittagsgeläut einer nahegelegenen Kirche.

Die Glocken locken aber schwarzgekleidete, streng blickende Männer schnellen Schrittes aus ihren Büros. "Wieso sind die immer alle schwarz gekleidet?", fragt sich Norbert Göbel in seinem kleinen Kiosk in der Ganghoferstraße. Zurückhaltend bedient der Grauhaarige seine Kunden, die sich dort mit Zigaretten, Zeitungen und Glückslosen eindecken. Drei Viertel seiner Kundschaft kaufen hier regelmäßig, nur ein paar Schritte weiter führen Treppen zur U-Bahn, Busse halten in der Nähe. Die Geschäfte laufen gut, sagt Göbel und versorgt den nächsten Kunden mit Ware.

Auch wenn immer wieder das Gespenst der Gentrifizierung beschworen wird, wirkt die Ganghoferstraße mit ihrem Nebeneinander von gediegenen Altbauten, Genossenschaftswohnungen und neuen Büros wie ein gelungener Mix aus alt und neu. Geblieben ist dem Viertel auch die Augustinerbrauerei. Auch ohne Wiesn wabert regelmäßig eine Bierfahne durchs Westend.

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