Stadt von morgen:Die Straße, das verlängerte Wohnzimmer

Stadt von morgen: Straßenszene in der Altstadt von Düsseldorf. Menschen, die ständig im Netz unterwegs sind, brauchen zum Wohlfühlen einen festen Anker.

Straßenszene in der Altstadt von Düsseldorf. Menschen, die ständig im Netz unterwegs sind, brauchen zum Wohlfühlen einen festen Anker.

(Foto: imago stock&people)

Künftig spielt sich das Leben viel mehr außerhalb der eigenen vier Wände ab. Das ist nicht nur der Raumnot geschuldet, sondern auch der Sehnsucht nach einer analogen Welt.

Von Marianne Körber

Im Zentrum fahren keine Autos mehr, sie parken auch nicht mehr die Straßen zu. Die Fußgängerzonen haben mehr zu bieten als die ewig gleichen Modeketten, und Radfahrer riskieren nicht mehr ihr Leben, wenn sie bei einer Kreuzung abbiegen müssen. Auf den begrünten Dächern treffen sich die Hausbewohner, sie kümmern sich gemeinsam um Sauberkeit, kennen ihre Nachbarn und sind problemlos in der Lage, die Miete zu bezahlen. Wenn es um die ideale Stadt geht, hat jeder so seine Vorstellungen von dem, was gut und sinnvoll ist. Auch wenn der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind, die deutsche Gesetzgebung schränkt die Freiheiten beim Thema Städteplanung ein. Wie sehr, zeigen die vielen Diskussionen über Regulierung und der Blick ins Ausland. Nicht, dass alles zur Nachahmung empfohlen wird, aber als Anregung können manche Beispiele schon dienen, die beim Bayerischen Immobilienkongress in München ins Feld geführt wurden. Das Thema der vom BFW Bayern und vom Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte veranstalteten Tagung: Metropolen neu denken.

"Jeder zehnte Europäer ist in einem Ikea-Bett gezeugt worden."

Jana Mrowetz ist Chefin von Fiabci Deutschland. Fiabci ist ein internationales Netzwerk für Immobilienberufe, das sich den Austausch von Ideen und Fachwissen zum Ziel gesetzt hat. Die Ingenieurin beschäftigt sich mit Trends in der Immobilienwirtschaft, genauer gesagt, mit internationalen Megatrends - als da wären: die Urbanisierung, die Globalisierung, die Share-Kultur, die veränderten Demografien und das Thema Mobilität. Der Run auf die Städte verändere die Welt und biete der Immobilienbranche Chancen. Schließlich müssten für all die neuen Bewohner Wohnungen gebaut, verkauft und vermietet werden. Wer Urbanisierung in ihren Ausmaßen verstehen wolle, müsse sich nur mal die Skyline von Shanghai ansehen - wo vor zehn, zwanzig Jahren so gut wie nichts gewesen sei, sehe man heute kaum noch den Himmel vor lauter Wolkenkratzern.

Die Bedeutung des Themas Globalisierung fasst Mrowetz ganz einfach in einem Satz zusammen: "Jeder zehnte Europäer ist in einem Ikea-Bett gezeugt worden." Städte veränderten sich mit neuen Lebensformen; das Modell Vater-Mutter-Kind sei ebenso überholt wie die Vorstellung vom Rentner im Schaukelstuhl. Und schließlich werde sich die Stadtplanung mit selbstfahrenden Autos und neuen Arbeitsweisen grundlegend verändern, prognostiziert die Expertin.

Projektentwicklung im nicht-europäischen Ausland hat mit der hierzulande meist wenig gemeinsam. Während in Deutschland streng reglementiert wird, nimmt sie anderswo schon mal skurrile Formen an, zum Beispiel in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Burj Khalifa, das in einer Wüstenregion stehende Hochhaus der Superlative, ist nicht an das öffentliche Abwassersystem angebunden, erzählt Mrowetz, "in Deutschland wäre so ein Projekt damit gestorben". Der Scheich aber habe sich etwas einfallen lassen - das Abwasser werde alle paar Tage abgeholt und in die Wüste transportiert. Viel Geld werde in Abu Dhabi in das umstrittene Null-Emissions-Projekt Masdar City gesteckt. In Afrika entstehe dank findiger deutscher Unternehmer Infrastruktur um Solarkioske herum. Die Chinesen wiederum seien Vorreiter im 3-D-Druck von Häusern, was Experten zufolge eine Revolution in der Immobilienbranche auslösen werde. Außerhalb Europas werde kräftig gebaut und experimentiert, unser Kontinent Europa erscheine da eher statisch. Mrowetz' Erklärung: "Wir leben in Städten, die über Jahrzehnte gewachsen sind, wir sind stolz auf unsere Geschichte, Stadtentwicklung läuft hier ganz anders ab für Projektentwickler." Deutsche Baugesetze versuchten die Geschichte zu erhalten, Innovationen seien hier deshalb nicht so spektakulär wie anderswo, hier gehe es eher um eine intelligente Weiterentwicklung.

Auf die lange Geschichte verweist auch Wolfgang Christ, bis 2013 Professor an der Fakultät Architektur der Bauhaus-Universität Weimar und Gründer sowie Geschäftsführer der Urban Index Institut GmbH in Darmstadt. "Die Städte haben eine unverwechselbare Identität," sagt Christ. Aber wir lebten im digitalen Zeitalter, genauer gesagt in der Gründerzeit der Digitalisierung, und müssten Städte neu denken. Die These des Experten: Die Zukunft der Stadt ist analog. Wer permanent online sei, brauche einen sicheren Hafen, einen festen Anker, und das sei "immer öfter das lebendige Stadtquartier". Das Leben verlagere sich auf die Straße, sie sei das analoge Pendant zu den virtuellen Netzwerken. Damit werde der öffentliche Raum ein Stück weit privatisiert.

Städte würden heute romantisiert. Die Werbung für Hochhausprojekte funktioniere so: Eine Frau auf dem Balkon werde von hinten dargestellt, sie blicke auf die Stadt hinunter - das erinnere schon sehr an den "Wanderer über dem Nebelmeer", betont Christ in Anspielung auf das um 1818 entstandene Gemälde von Caspar David Friedrich und der von ihm etablierten Rückenfigur. Die Immobilienbranche verkaufe den Menschen Atmosphäre und Aura, sie wisse um deren Sehnsüchte. Immer mehr bauten analoge Bausteine in ihr Leben ein, stellt der Professor fest. Sie schrieben wieder Briefe, malten Blöcke aus und zögen Pflanzen selbst. Dass Urban Gardening so gefragt sei, liege vielleicht auch daran, dass es keine richtige Landschaft mehr gebe. "Ich fahre an Folienfeldern vorbei, das ist keine Landschaft mehr im eigentlichen Sinn", sagt Christ. Die Innenstädte entwickelten sich zu lebendigen, wenn auch nicht immer konfliktfreien Lagen.

Die Städte mit einer hohen Anziehungskraft drohten eben daran zu ersticken, warnt der Experte. Und weiter: "Wir vertragen in den Städten eine höhere Dichte, aber das kann nur gehen, wenn parallel dazu der öffentliche Raum mitwächst".

Zurück in die Niederungen des Freistaats. Die Raumnot beheben und die Stadt attraktiver gestalten will man auch im teuren München. Beate Merk, bayerische Staatsministerin für Europaangelegenheiten und regionale Beziehungen, setzt sich deshalb nach wie vor für eine steuerliche Sonderabschreibung im Wohnbau und eine bessere Anbindung des Umlands an München ein. Man solle ganz Bayern als Mega-City betrachten, meint die Politikerin. Aber sie wünscht sich auch die Rückkehr des Schreinermeisters Eder und seines rothaarigen Kobolds Pumuckl, die einst in guten Zeiten in einem Münchner Hinterhof lebten. Den Charme des Lehel-Viertels mit seiner gemischten Struktur suche man dort heute vergebens.

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