Staatsfinanzen:"Familien entlasten rentiert sich nicht"

Union und FDP überbieten sich darin, wie viel Geld sie den Bürgern geben. Finanzwissenschaftler Benkert kann damit nichts anfangen.

T. Denkler

Wolfgang Benkert, 56, ist Professor für Wirtschaftspolitik und öffentliche Finanzen an der privaten Universität Witten/Herdecke.

sueddeutsche.de: Herr Benkert, die Koalitionsverhandlungen kommen vor allem bei den Finanzen nicht so recht voran. Die FDP beharrt auf massiven Steuerentlastungen. Nur so seien Wachstum und höhere Steuereinnahmen möglich. Was halten Sie davon?

Wolfgang Benkert: Ich kann mit dem Denkmodell nicht viel anfangen, dass durch Steuersenkungen ein Wachstum generiert wird, dass es sonst nicht gäbe. Es sollte jetzt vielmehr darum gehen, die Kosten der Krise zügig über den Bundeshaushalt abzubauen. Gott sei Dank ist die Schuldenbremse noch vor Ausbruch der Krise im Grundgesetz verankert worden. Wenn man die ernst nimmt, dann müssen alle verfügbaren Mittel darauf verwandt werden, weniger Schulden zu machen.

sueddeutsche.de: Die FDP ist sich sehr sicher, dass das mit der Selbstfinanzierung funktioniert. Wie kommt sie darauf?

Benkert: Das weiß ich nicht. Es gibt nur sehr wenige Bedingungen unter denen das funktionieren könnte. Im Augenblick aber sind sich die Kolleginnen und Kollegen aus unserer Zunft relativ einig, dass die Bedingungen im Moment nicht gegeben sind.

sueddeutsche.de: Es wird zum Jahreswechsel Entlastungen in Höhe von gut zehn Milliarden Euro geben, weil ab dann die Kosten für Sozialversicherungen steuerlich absetzbar sein werden. Die Union will zusätzlich auf 20 Milliarden Euro Einnahmen verzichten, die FDP auf 35 Milliarden und mehr. Ist das überhaupt noch drin?

Benkert: Das ist eine politische Frage. Haushaltspolitik kann sich nicht mit naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten messen. Die Frage ist: Wofür werden Schulden gemacht?

sueddeutsche.de: Dann also die Frage: Ist es sinnvoll Schulden zu machen, um Familien und den Beziehern mittlerer Einkommen mehr Geld zu geben?

Benkert: Ich habe nichts dagegen, wenn Familien mit Kindern entlastet werden. Aber rein finanzwissenschaftlich gesehen rentiert sich das nicht. Streng genommen wird damit nur der Konsum angekurbelt. Hier gilt für den Privathaushalt wie für den Staat: Dafür sollte man keine Schulden machen.

sueddeutsche.de: Wofür dann?

Benkert: Wenn das Geld produktiv angelegt wird, etwa in Infrastruktur investiert wird, von der auch nachfolgende Generationen etwas haben.

sueddeutsche.de: Wie steht es mit dem Keynes'schen Lehrsatz, gerade in schlechten Zeiten müsse der Staat Geld ausgeben, um die Wirtschaft zu stabilisieren?

Benkert: Wenn Keynes heute erleben würde, wie mit diesem Satz umgegangen wird, er wäre der erste, der sagen würde: So war das nicht gemeint. Dazu gehört ja auch, in guten Zeiten, massiv Geld in den Schuldenabbau zu stecken. Das wird aber nicht getan, weil es unpopulär ist. Für das Zurückzahlen von Schulden dankt einem niemand.

sueddeutsche.de: Was könnte den spendierfreudigen Politikern da auf die Sprünge helfen?

Benkert: Nur feste Regelwerke, die ihnen dann kaum noch Spielraum lassen.

Letzter Ausweg Mehrwertsteuererhöhung

sueddeutsche.de: So etwas wie die Maastricht-Kriterien, wonach die Neuverschuldung eines Landes der Europäischen Union nicht mehr als drei Prozent ihrer gesamten Wirtschaftleistung ausmachen darf?

Benkert: Richtig. Wobei das Instrument nicht besonders scharf ist. Den blauen Briefen der EU-Kommission habe ich nie viel Wert beigemessen. Die Maastricht-Kriterien funktionieren vor allem über Scham. Niemand will in der Zeitung lesen, nicht mal in der Lage zu sein, dieses Kriterium zu erfüllen.

sueddeutsche.de: Wird die Schuldenbremse besser funktionieren?

Benkert: Jeder Pakt ist besser als gar keiner. Aber ich fürchte, dass Bund und Länder im Zweifel einfach gegenseitig mit dem Finger auf den anderen zeigen werden. Und wo kein Kläger, da kein Richter. Der Bund der Steuerzahler würde dann vermutlich etwas sagen. Aber deren Schuldenuhr tickt seit Jahren, ohne dass das im politischen Raum jemand sonderlich beunruhigend finden würde.

sueddeutsche.de: Werden die Spielräume in naher Zukunft größer, wie es sich Union und FDP erhoffen?

Benkert: Sie werden eher noch enger. Der größte Einzelposten im Bundeshaushalt ist die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die Arbeitslosigkeit wird steigen, das belastet die Sozialkassen zusätzlich. Hier wird nicht viel zu holen sein.

sueddeutsche.de: Was ist mit Bundeswehr, Personal und Ausstattung der Ministerien?

Benkert: Das sind alles Peanuts im Vergleich zu dem, was an Geld benötigt wird.

sueddeutsche.de: Was ist also zu tun?

Benkert: Ich halte nichts von Steuersenkungen. Der Staat muss vielmehr seine Einnahmen erhöhen, damit er die jetzt aufgelaufenen Schulden in den Griff bekommt.

sueddeutsche.de: Das liefe auf eine Mehrwertsteuererhöhung hinaus.

Benkert: Das ist die einzige Möglichkeit. Sie ist die vom Aufkommen her einzig relevante Steuerform.

sueddeutsche.de: Das klingt nicht sonderlich kreativ.

Benkert: Die Kreativiät muss es in anderen Bereichen geben. Nur ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, es gelingt uns, dass alle Kinder einen Schulabschluss machen und nicht von sozialen Transferleistungen leben müssen. Selbst wenn wir nur zehn Prozent des Problems lösen, hätte das einen ungeheuren Wachstumseffekt.

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