Sparen mit Technik:Im Plus

In Berlin entstehen derzeit Mietshäuser, die mehr Energie erzeugen sollen, als sie benötigen. Ob diese Rechnung aufgeht, hängt auch von den Bewohnern ab. Doch was passiert eigentlich mit den Überschüssen?

Von Lars Klaasen

Ein Haus, das im Jahr mehr Energie erzeugt, als es verbraucht? Was vor zehn Jahren eine kleine technische Sensation war, kann man heute im ganzen Land finden. Oft handelt es sich allerdings um Einfamilienhäuser. Wer eine Immobilie für sich selbst baut, ist schließlich besonders motiviert, später so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen. Im Berliner Stadtteil Adlershof lässt die Wohnungsbaugesellschaft Howoge nun Mietshäuser im Plus-Energie-Standard bauen. Sie hat Anfang 2016 vom Entwickler Laborgh das sogenannte Powerhouse-Projekt erworben und wird die Gebäude nach Fertigstellung im Frühjahr 2018 schlüsselfertig übernehmen. Auf einem 8200 Quadratmeter großen Grundstück entsteht eine Wohnfläche von etwa 8500 Quadratmetern.

In Berlin werden damit erstmals Mietwohnungen im Effizienzhaus-Plus-Standard errichtet. Mit der technischen Seite solcher Gebäude gibt es bereits Erfahrungen. Das Bundesbauministerium hat schon 2011 ein Förderprogramm für Modellhäuser aufgelegt, die diesen Standard erfüllen. Die geförderten Häuser wurden und werden unter Beteiligung von Forschern geplant und im Alltagsbetrieb wissenschaftlich begutachtet.

Eine dicke Dämmung und effiziente Lüftungen halten die Wärme im Haus

Maßgeblich für die energetische Qualität der Gebäude ist zum einen die Energieerzeugung durch Solarthermie- und Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern. Für Wärme und Strom sorgen damit also vor allem erneuerbare Energien. Zum anderen werden die bewusst kompakt geplanten Gebäude mit einer besonders gut gedämmten Gebäudehülle ausgestattet. Die Lüftungsanlage ist so effizient, dass etwa 80 Prozent der Wärme zurückgewonnen wird.

Solardach auf Wohnhaus in Puchheim, 2014

Fotovoltaikmodule auf dem Dach erzeugen je nach Sonneneinstrahlung und Qualität der Module Strom. Bislang ist es üblich, dass der erzeugte Strom ins Netz eingespeist wird, und die Hauseigentümer dafür nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz eine Vergütung erhalten. Das kann sich lohnen.

(Foto: Johannes Simon)

"Wir produzieren mit dem Powerhouse jährlich 249 000 Kilowattstunden Wärmeenergie aus Solarthermie und 185 000 Kilowattstunden Strom mittels Photovoltaik", sagt Philipp Janssen, Projektleiter Powerhouse bei Laborgh. Zusätzlich zu den exakt kalkulierten Bedarfsmengen ergeben sich Überschüsse von mehr als 1200 Kilowattstunden Strom und knapp 370 Kilowattstunden Wärmeenergie pro Jahr. Die Mengen mögen gering erscheinen. Doch der Fokus liegt ja noch auf einer anderen Seite: Die Mietwohnungen sollen bezahlbar sein. Am Ende nützt die beste Ausstattung und Technik nichts, wenn das Gebäude so teuer wird, dass kaum jemand die Kosten stemmen kann.

Die fünf Gebäude in Adlershof haben jeweils drei Vollgeschosse. Von den 128 Zwei- bis Vierzimmerwohnungen mit einer Fläche zwischen 30 und 100 Quadratmetern werden 40 Objekte barrierefrei sein und zehn Prozent an Personen mit Transfereinkommen vermietet. Die Nettokaltmieten fangen bei 7,50 Euro pro Quadratmeter an und liegen im Durchschnitt bei zehn Euro. Hinzu kommen Betriebskosten von etwa 40 Cent pro Quadratmeter Wohnfläche - der Durchschnittswert in Berlin liegt bei 1,08 Euro. "Mit dem Powerhouse ist es uns gelungen, die Anforderungen der Plus-Energie mit den finanziellen Restriktionen des Mietwohnungsbaus in Einklang zu bringen", betont Janssen. "Deshalb planen wir, das Powerhouse auf andere Standorte auszuweiten, und prüfen derzeit geeignete Standorte."

Visualisierung Powerhouse

Ein Neubauprojekt der besonderen Art wird derzeit in Berlin-Adlershof errichtet. Dort sollen erstmals Mietwohnungen im Effizienzhaus-Plus-Standard gebaut werden. Visualisierung: Howoge

Mehr als eine Reihe von Modellprojekten für Plusenergiehäuser gibt es bisher nicht. "Aber in naher Zukunft werden solche Gebäudekonzepte in größerem Maßstab relevant", sagt Ingrid Vogler. Die Energiereferentin vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) berichtet von einem großen Interesse bei den Mitgliedern. Doch energierechtlich müssten einige Weichen neu gestellt werden, damit Plusenergiehäuser in größerem Maßstab realisiert werden könnten. Die Frage lautet: Was soll mit der Energie passieren, die im Haus erzeugt, aber nicht direkt verbraucht wird? Speichern ist aufwendig und kostspielig. In Adlershof werden die Überschüsse deshalb direkt in das Strom- und Fernwärmenetz eingespeist. Der GdW schlägt außerdem eine Neukonzeptionierung der Energieeinsparverordnung vor: Die Dämmanforderungen sollten nicht weiter erhöht und die Rolle der erneuerbaren Energieträger gestärkt werden. "Dies erhöht auch die Nachfrage nach CO₂-armen Energieträgern", sagt Vogler.

In der Praxis ist der Verbrauch oft viel höher als gedacht

Wie die Überschüsse von Plusenergiehäusern verteilt werden, ist auch eine Frage der integrierten Stadtplanung: "Für die Versorgung des umliegenden Quartiers können solche Gebäude eine wichtige Rolle spielen ", sagt Stadtplaner Armin Jung, "indem Neubauten mit ihren Überschüssen herkömmliche Häuser in der Nachbarschaft unterstützen." Ein Haus kann Energie an andere Gebäude in der Nähe aber nur dann abgeben, wenn das Stromnetz mitmacht: Nur ein intelligentes Netz (Smart Grid) kann solche Richtungswechsel steuern, also auch zu jeder Zeit erfassen, wo welcher Bedarf besteht und wo Überschüsse vorhanden sind.

Wie effizient Plusenergiehäuser im Alltag tatsächlich sind, ist nicht bloß eine Frage der Technik. Auch auf die Bewohner kommt es an. Im bayerischen Landshut wurde eine Wohnsiedlung nach diesem Standard gebaut. Anschließend haben Wissenschaftler der Hochschule München und der Technischen Universität Dresden untersucht, wie viel Energie im laufenden Betrieb tatsächlich verbraucht wird. Die Siedlung umfasst 68 Wohneinheiten, verteilt auf 13 Ein- und Zweifamilienhäuser sowie acht Mehrfamilienhäuser. Neben gut gedämmten Gebäudehüllen setzten die Planer auf innovative Gebäudetechnik. Doch die Bewohner machten ihnen einen Strich durch die Kalkulation: "Der durchschnittlich gemessene Verbrauch lag um 15 bis 30 Prozent über den vorhergehenden Berechnungen", berichtet Volker Stockinger. Der Ingenieur für Versorgungs- und Gebäudetechnik an der Hochschule München hat das Monitoring begleitet. "Technische Störfaktoren konnten wir ausschließen. Die genannten Abweichungen sind auf das Nutzerverhalten zurückzuführen. Die Verbräuche schwankten um bis zu 100 Prozent. Je effizienter das Gebäude, umso stärker ist der Nutzereinfluss auf den Verbrauch", sagt Stockinger.

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