Sozialwohnungen:Mehr Licht und Luft

Wie der soziale Wohnungsbau im vergangenen Jahrhundert zahllosen Menschen ein Leben unter würdigen Bedingungen ermöglicht hat.

Von Andreas Remien

Der Begriff ist keine Übertreibung. Die "Kleinstwohnung" aus dem Jahr 1930 misst gerade mal 28 Quadratmeter, und die Besucher der Ausstellung "Mehr als ein Dach überm Kopf", die in dem nachgebauten Grundriss umhergehen, fühlen sich sogar allein schon recht eingeengt. Vor 80 Jahren wohnten oft vier oder mehr Personen in den winzigen Behausungen, die zumindest die größte Wohnungsnot lindern sollten. Denn vor allem in den Zentren lebten viele Menschen unter katastrophalen Bedingungen.

Vor genau hundert Jahren haben sich daher in Bayern die initiativen Kräfte des sozialen Wohnungsbaus zu einem Verband zusammengeschlossen, der heute als Verband bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW) tätig ist. Erst dieses Engagement hat vielen Menschen ein Leben abseits elendiger Behausungen ermöglicht. "In der Summe handelt es sich um eine Erfolgsgeschichte", sagt der Historiker Matthias Georgi, der anlässlich des Verbandsjubiläums die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus in Bayern untersucht hat.

Eng, kalt und feucht

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten in Deutschland die Folgen der Industrialisierung vor allem die Städte mit voller Wucht getroffen. Immer mehr Menschen wollten dort leben, wo sie Aussicht auf Arbeit hatten. Hinzu kam ein gewaltiges Bevölkerungswachstum. Die Wohnungsmärkte in den Städten konnten den Ansturm bei weitem nicht bewältigen. "Die katastrophalen hygienischen Zustände, Kälte und Feuchtigkeiten waren schließlich die Ursache für Krankheitsepidemien", sagt Georgi. Besonders Tuberkulose und Cholera waren in den unteren Bevölkerungsschichten weit verbreitet.

Mediziner wie Robert Koch oder Max von Pettenkofer machten die "mangelhaften und beengten Wohnungen" als Ursache für die schnelle Verbreitung aus - und forderten "mehr Licht und Luft". Die privaten Wohnungsunternehmen, oftmals Aktiengesellschaften, hatten kein Interesse daran, Mietshäuser für die sogenannten Minderbemittelten zu bauen. Der Verwaltungsaufwand war groß, die Rendite nur gering. Wenn sich die Unternehmen doch zu einem Bauvorhaben entschlossen, schufen sie meist dunkle und enge Mietskasernen.

Auch die staatlichen Stellen kümmerten sich kaum um die Wohnungsmisere und setzten auf die Selbstregulierung der Märkte. Um die Probleme zu bekämpfen, schlossen sich schließlich Genossenschaften zusammen. Die Initiative zur Gründung dieser Wohnungsbaugesellschaften ging oft von bürgerlichen Kreisen aus. Indes: Die neu gebauten Wohnungen für arme Bevölkerungsschichten konnten die Not zu Beginn des 20. Jahrhundert zwar mindern, das Problem aber nicht lösen.

20 Millionen Obdachlose

Die Baugenossenschaften hatten vor allem Schwierigkeiten, sich für ihre Projekte Kapital zu günstigen Konditionen zu beschaffen - schon vor hundert Jahren gab es eine Kreditklemme, die den Neubau ausbremste. Zudem sorgte bald der Erste Weltkrieg für ein Chaos auf den Wohnungsmärkten. Gebaut wurde kaum, und als nach dem Krieg die Rückkehrer und Flüchtlinge in die Städte kamen, war die Wohnungsnot größer als zuvor.

Auch deshalb begannen nun auch die Gemeinden, eigene gemeinnützige Gesellschaften zu gründen. Nach Schätzungen des Wohnungsverbands fehlten aber noch im Jahr 1928 etwa 500.000 Wohnungen. War zuvor vor allem die "gesunde Wohnung" das wichtigste Ziel, kam es immer mehr auf die Masse an.

Engagement der Kirchen

In den dreißiger Jahren ideologisierten die Nationalsozialisten die Wohnungsbaupolitik. Im Fokus stand nun die Schaffung von "Reichskleinsiedlungen" auf dem Land - als Gegenpol zu den städtischen Mietwohnungen. "Gebaut wurde weniger als in der Weimarer Republik", sagt Georgi. Der Zweite Weltkrieg führte schließlich zu der schlimmsten Wohnungsnot in der deutschen Geschichte. Etwa 20 Millionen Menschen waren 1945 obdachlos oder mussten in beschädigten Häusern leben.

Neben den Genossenschaften und Kommunen engagierten sich nun auch die Kirchen im Sozialen Wohnungsbau. Das größte Hindernis war noch immer die Finanzierung. Ob der Verkauf von Sonderbriefmarken oder Anteile aus Lotterien und Sportwetten: Auch unkonventionelle Mittel sollten helfen, den Neubau in Schwung zu bringen. Der Großteil wurde aber von staatlichen Mitteln getragen.

Das Erste Wohnungsbaugesetz aus dem Jahr 1950 regelte die wesentlichen Förderbedingungen. Innerhalb von sechs Jahren sollten 1,8 Millionen Wohnungen gebaut werden: Wieder ging es darum, mit wenigen Mitteln in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Wohnungen zu bauen. "Nach dem Krieg ging es richtig los", sagt Georgi. Ganzheitliche Konzepte und die Architektur blieben in der Masse aber oftmals auf der Strecke.

Wohnqualität wurde immer wichtiger

Nachdem Ende der sechziger Jahre die schlimmste Wohnungsnot behoben war, gewann das Thema Wohnqualität immer mehr an Bedeutung. Jeder Zweite gab in Umfragen an, sich in seinem Zuhause nicht wohl zu fühlen, vor allem deshalb, weil die Wohnungen zu klein waren. Die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen reagierten mit großzügigen Grundrissen, auch, weil sie sich dem zunehmend liberalisierten Wohnungsmarkt stellen mussten. 1974 war das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage statistisch erstmals ausgeglichen. "Für sozial schwache Mieter fehlten aber weiterhin Wohnungen", sagt Georgi.

Zu einem immer größeren Problem wurden soziale Konflikte in den neuen Vierteln. Nur noch die Ärmsten hatten ein Recht auf eine Sozialwohnung, und das Thema Integration spielte in den Planungen keine Rolle. Erst spät wurden ganzheitliche Konzepte und Ideen für Wohnanlagen oder Stadtteile entwickelt. Heute gehört Quartiersmanagement zu den wichtigsten Herausforderungen der Wohnungsbaugesellschaften. Anders als vor hundert Jahren steht nicht mehr die quantitative Bewältigung einer Wohnungsnot, sondern die Wohnqualität im Vordergrund.

Dazu gehören auch Konzepte über Wohnen im Alter und ökologische Nachhaltigkeit. In einigen Städten kommt jedoch nach wie vor das Angebot an Sozialwohnungen mit der Nachfrage nicht mit. Immer mehr Wohnungen fallen aus der Sozialbindung heraus, gleichzeitig stagniert der Neubau. Zumindest mangelnder Platz ist heute kaum noch ein Problem. Eine Sozialwohnung für eine vierköpfige Familie muss heute mindestens 90 Quadratmeter groß sein - dreimal mehr als vor 80 Jahren.

Die Ausstellung "Mehr als ein Dach überm Kopf - Wohnen im Wandel der Zeit in Bayern" gastiert noch bis 9. Oktober in der Regierung von Unterfranken in Würzburg und vom 1. bis 22. Dezember in der Zentrale der Stadtbücherei Augsburg.

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