Sicherheit als Statussymbol:Wohnst du noch oder wachst du schon?

Deutschlands erste bewachte Appartment- und Villensiedlung ist bezugsbereit. Aber "Arcadia" steht leer, denn es gibt ein Imageproblem: Wohnen hinter Mauer und Zaun gilt hierzulande als unattraktiv.

Annabel Dillig

Bevor irgendein Umzugswagen vorfahren konnte, rüttelte erst einmal die deutsche Kulturkritik am eisernen Gittertor an der Berliner Straße. Sieben Jahre ist das her. Inzwischen ist es still geworden um das, wogegen da Sturm gelaufen wurde: "Arcadia", Deutschlands erste "Gated Community", eine bewachte Appartment- und Villensiedlung mit Blick auf die Havel und Schloss Babelsberg.

Quadratmeterpreise zwischen 3000 und 4000 Euro, Zugangsbeschränkung, Sicherheitsvorrichtungen, zudem ein Servicepaket, das mit Wohlfühl-Dienstleistungen reich bestückt und fertig geschnürt war.

Ein Teil der vierzig "exklusiven Residenzen in wertvoller Lage" - das Gebiet an der Glienicker Brücke gehört immerhin zum Unesco-Welterbe - steht noch immer leer. Arcadia hat ein Imageproblem: Wohnen hinter Mauer und Zaun gilt hierzulande als unattraktiv.

"In den deutschen Kommunalverwaltungen ist man sich wohl einig, diese Art Privateigentum bei uns nicht sehen zu wollen", sagt Georg Glasze, der sich als Geograph an der Universität Mainz seit Jahren mit diesem Phänomen beschäftigt.

In zahlreichen Ländern Europas zeigt sich allerdings ein anderes Bild: Immer mehr Menschen in Spanien, Portugal, Griechenland, Frankreich, Großbritannien, Polen, der Ukraine und Russland möchten in einer bewachten Wohnanlage leben und sich vor der gefühlten Gefahr einer Gesellschaft schützen, die immer weiter auseinanderdriftet.

Für Ruhe und Sicherheit nehmen sie in Kauf, dass jeder Besucher, von der Oma bis zur Putzfrau, an der Pforte angemeldet werden muss. Ein Mensch mit der Berufsbezeichnung "Doorman" entscheidet dort, wo das Recht auf Eigentum anfängt und das Recht auf Bewegungsfreiheit endet.

Die Pforte ist neben einer Umzäunung oder Mauer das Merkmal, das eine Siedlung zu einer Gated Community macht. In den USA gab es davon Mitte der Neunziger Jahre rund 20.000, bis heute entstehen immer neue, vor allem an der Westküste.

In Kalifornien leben mittlerweile rund vierzig Prozent der Menschen in privaten, bewachten Wohnanlagen. Meist sind ihre Bewohner weiß, sie gehören der Mittel- oder Oberschicht an, schätzen den Wert des Eigentums und fühlen sich vom Staat nicht in ausreichendem Maße geschützt.

Schriftsteller wie T.C. Boyle haben längst mit dieser eingemauerten Mittelklasse abgerechnet: In Boyles Roman "América" darf Delaney Moosbacher, der Protagonist, über die "kryptofaschistischen Uniformen" der Wachleute seiner Siedlung lästern - und ist am Ende doch froh, in dem von ihnen bewachten Schutzraum zu leben.

Der urbane Raum ist in Amerika in den vergangenen Jahrzehnten zur Projektionsfläche einer existenziellen Angst und Unsicherheit geworden, einer Angst, vor dem Moloch Stadt, wie sie es auch schon im 19. Jahrhundert gab. Das Abschotten in den Gated Communities der Vorstädte hat dazu beigetragen, dass die Klassensegregation die Rassensegregation weitgehend abgelöst hat.

Die Angst vor zu großer Nähe zu der vermeintlich kriminellen Unterschicht hat eine "Kultur des Nicht-Berührens" hervorgebracht, so der Soziologe Jan Wehrheim. Die Folge ist eine residenzielle Entmischung, für die es seit einigen Jahren auch in Europa eine Tendenz gibt.

Wohin die sozialräumliche Polarisierung, diese secession of the successful, führen kann, konnte man im Herbst in den französischen Banlieues sehen, als die gesellschaftlich weniger Erfolgreichen ihre Wohnorte anzündeten. Der durchschnittliche Paris-Einwohner, der die Unruhen jenseits der Périphérique-Autobahn, so schien es, allenfalls mit einem Kopfschütteln quittierte, schützt sich gegen das Vorstadtpersonal schon lange mit Zugangscodes, die sich an nahezu jedem Wohnhaus befinden

Ausgerechnet in Frankreich, wo das Abzeichnen amerikanischer Schablonen traditionell auf wenig Begeisterung stößt, hat sich das Modell der "résidence clôturée", der geschlossenen Wohnanlage, rasant ausgebreitet. Was es vor zehn Jahren nur im Großraum Paris und an der Côte d'Azur gab, ist heute in 18 von 22 Regionen zu beobachten: die Privatisierung des öffentlichen (Wohn-)Raumes.

Immobilienfirmen wie Monné-Decroix befriedigen mit ihrem Angebot eine Sehnsucht nach Sicherheit, die als Statussymbol nicht mehr nur für diejenigen erschwinglich ist, die ihre Zweit-Villa am Mittelmeer gesichert wissen wollen.

Als Käufer- und Mietergruppe der "résidences clôturées" wurde längst eine Mittelschicht entdeckt, die nichts mehr fürchtet als den sozialen Abstieg. Seitdem lockt man sie an verheißungsvoll klingende Orte wie "Les portes du soleil" nördlich von Montpellier und "Les Terrasses de Louxor" bei Lyon.

Die ästhetisch wie baustofflich wenig aufregenden Immobilien, in der Regel Appartments, garniert man mit ein bisschen Oberschichtssymbolik - kraftstrotzdendem Rasen in der Auffahrt, Swimmingpool und einem Arsenal an Sicherheitsschnickschnack.

Dass die Bewohner die Videoüberwachung nur bereitgestellt bekommen, aber am eigenen Monitor selbst auf Verbrecherjagd gehen müssen, stört hier niemanden: "Es geht um die Befriedigung eines Unsicherheitsgefühls, das in der Regel nicht mit einer realen Bedrohung korreliert," sagt Georg Glasze.

So macht in T.C. Boyles Roman "América" allein die Imagination eines Verbrechens aus liberalen Menschen argwöhnische, waffenverliebte Freaks. Ihre Angst befriedigen sie, indem sie eine Kulisse der Sicherheit erzeugen, dem Schicksal einige Überwachungskameras an die Seite stellen und den Bereich dessen, was sie glauben, kontrollieren zu können, immer weiter ausdehnen.

Glaszes Untersuchungen weisen darauf hin, dass das Phänomen vor allem Städte mittlerer Größe erreicht hat - in Frankreich etwa Toulouse und Nantes - sowie die Metropolen Osteuropas, deren Wohnungsmärkte im Gegensatz zu den Großstädten des Westens noch dynamisch sind. "Transformationseffekte seit dem Ende des Kalten Krieges haben etwa in Polen ein Unsicherheitsempfinden ausgelöst, das sich in urbanen Phänomenen wie bewachten Wohnanlagen ausdrücken kann."

Ursynow ist so ein Fall: früher eine Ansammlung von Plattenbauten und Zweitresidenzen für Parteifunktionäre und Apparatschiks. Heute hat das Viertel im Süden Warschaus einen modernen Anstrich bekommen - und innerhalb der Siedlung mehrere Gated Communities. Ähnliches gilt für umzäunte Wohnanlagen in Kiew ("Golden Gates") und Moskau ("Pokrovsky Hills").

In Großbritannien beschränkt sich das Phänomen dagegen, wie auch bei uns, vor allem auf bewachte Appartment-Komplexe. Rund 1000 gibt es inzwischen, die meisten in der Hauptstadt. Bow Quarter in East London, zum Beispiel: Ein Koloss von 700 1-, 2- und 3-Zimmer-Wohnungen mit Wachmannschaft und dutzenden Infrarot-Kameras - eine saubere, graffitifreie Insel inmitten eines vitalen Szenekiezes; eine Rückzugsbastion für all die young urban professionals, die ihr Leben gerne mit der Hipness eines Viertels schmücken.

In deutschen Großstädten wie Berlin funktioniert es ähnlich: Umzäunte Appartment-Komplexe, die mit Ruhe und Sicherheit werben, gibt es in Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Das dort wohnende Edel-Individuum öffnet sein Fenster gern, um ein wenig multikulturellen Dönerduft in den hochpreisigen, exklusiven Loft hereinwehen zu lassen. Und mit einem Warenaufzug fährt hier kein Fremder direkt in die Wohnung, dem Doorman sei Dank.

Die kernige Sicherheitsrhetorik, mit der die Anbieter dieser exklusiven Immobilien noch in den Neunzigern geworben haben, wird heute vorsichtiger dosiert. Zu folgenreich waren negativ geführte Debatten wie jene über Arcadia. Schließlich weiß bei einem Blick auf die Statistik jeder: In Potsdam mag es laut Kriminalitätsrate gefährlicher zugehen als in Heidelberg, aber eben auch harmloser als in Oldenburg.

Doch nicht die reale, sondern die gefühlte Bedrohung ist entscheidend, das weiß man auch bei Arcadia: Auf der Webseite heißt es im Vorwort zu einem Interview: "Doorman und Gärtner schildern, wie Dienstleistung professionell gelebt wird und eine friedliche Atmosphäre entstehen lässt, die außerhalb des Zauns nicht möglich erscheint."

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