Serie: Wohnungssuche:Frösteln unter der Dusche

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Die Sowjetzeiten wirken in Moskau immer noch nach. Zwar wurde und wird kräftig gebaut, einen Wohnungsmangel gibt es nicht. Dafür aber viele Altlasten.

Von Julian Hans

Zwei Fragen muss man bei der Suche nach einer Wohnung in Moskau gleich zu Anfang klären: Wie lange wird im Sommer das warme Wasser abgestellt? Und sind die Heizungen regulierbar? Noch immer wird in den heißen Monaten in vielen Vierteln der Hauptstadt die Warmwasserversorgung für einige Wochen unterbrochen - die Kessel der Heizwerke und die Fernwärmeleitungen werden dann gewartet und gereinigt. Dann hat man entweder einen Boiler oder einen gut über die Stadt verteilten Freundeskreis, sodass man sich in den kritischen Wochen gegenseitig besuchen kann, um zu duschen. Oder man duscht eben kalt.

Wahrscheinlich wirkt der Sozialismus nirgends so lange nach wie in den Köpfen und in den Wohnungen. Der Kauf und Verkauf von Schuhen oder Autos lässt sich ziemlich schnell von Planwirtschaft auf Marktwirtschaft umstellen. Aber Immobilien? 80 Prozent der Wohnungen in Moskau wurden in der Zeit der Sowjetunion gebaut. Was damals nicht nach Gesetzen von Angebot und Nachfrage entstand, lässt sich nur sehr langsam den Bedürfnissen der neuen Zeit anpassen.

Natürlich gibt es heute alles in der Metropole mit ihren 13 Millionen Einwohnern, von der Hütte bis zum Palast. Aber wovon es eindeutig zu wenig gibt, ist die goldene Mitte, die einfache Wohnung mit einfacher Küche und sauberen, funktionierenden Sanitäranlagen. Stattdessen hat man nun die Wahl, ob man in einer Wohnung mit abgewetztem Linoleum, durchgelegener Klappcouch Modell "Knischka" (Buch) aus Sowjet-Zeiten, tropfendem Wasserhahn und - der Klassiker! - Wandteppich wohnen möchte. Oder in der luxusrenovierten Version dieser Wohnung mit gemusterten Stofftapeten, Parkett mit Intarsien, goldenen Wasserhähnen und Jacuzzi-Whirlpool. Hinter den Stahltüren öffnen sich oft Welten: Hundertwasser-Höhlen Marke Eigenbau, byzantinische Höfe mit Brokatvorhängen. Überhaupt die Vorhänge: Sie müssen schwer und blickdicht sein, und möglichst immer geschlossen.

Blick auf den Kreml in Moskau. Frostiger können die Beziehungen zu Russland gerade kaum sein. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Alexej Popow ist Chefanalyst beim Immobilien-Portal Cian.ru, der größten Online-Datenbank für Kauf und Miete von Wohnungen und Geschäftsräumen in Russland. "Vor zwei, drei Jahren hat sich der Immobilienmarkt von einem Angebotsmarkt zu einem Nachfragemarkt entwickelt", erzählt er. Das habe mit der Wirtschaftskrise zu tun, in der Russland seit 2014 steckt. Mitarbeiter internationaler Unternehmen, die vorher astronomische Mieten für Wohnungen im Zentrum zahlten, haben die Stadt seitdem verlassen. Ebenso viele Gastarbeiter aus Zentralasien, die sich billige Wohnungen in den Außenbezirken oft mit 20 und mehr Mitbewohnern teilten. Noch entscheidender für den Wandel des Marktes sei aber der Aufschwung beim Bau neuer Wohnungen, sagt Popow. Industriegebiete haben früher etwa ein Drittel des Stadtgebiets ausgemacht. Ungeklärte Eigentumsverhältnisse haben die Konversion lange behindert. Inzwischen wird das ehemalige Gelände der ZIL-Motorenwerke bebaut, das frühere Stahlwerk Hammer und Sichel. Dort entstehen ganze neue Stadtviertel.

Seit die Krise eingesetzt hat, hängen im Zentrum an vielen Balkonen älterer Bauten Planen mit der Aufschrift "Zu vermieten. Zu verkaufen". In der Stadt, in der noch vor wenigen Jahren großer Mangel an Wohnungen herrschte, kommen laut der Maklerfirma Inkom derzeit zwei bis drei Angebote auf eine Nachfrage. Allerdings lasse sich das nicht so einfach gegenüberstellen, sagt Popow, es herrsche immer noch ein Mangel an guten Wohnungen. In der Sowjetunion haben die meisten Menschen ihre Wohnungen vom Staat bekommen. Verkaufen konnte man die nicht, höchstens tauschen. Anfang der 1990er-Jahre entstand zum ersten Mal ein Markt. Inzwischen sind etwa 80 Prozent der Wohnungen in Moskau privatisiert. Wie viele davon genau vermietet sind, können selbst Spezialisten nicht sagen. Zu Beginn des Ölbooms Anfang der 2000er-Jahre hätten viele Menschen teure Immobilien in der Hauptstadt als Geldanlage gekauft, erklärt Popow. "Wenn Sie mal durch die Ostoschenka-Straße spazieren, dann fällt Ihnen auf, dass vielleicht 15 oder 20 Prozent der Wohnungen tatsächlich bewohnt sind. Das ist eher ein riesiges Bankschließfach".

Mit den Mieteinnahmen finanzieren die Hausbesitzer ihr Leben im Ausland

Die Wohnungen, die auf dem Markt verfügbar sind, gehören in der Regel Privatpersonen. Die meisten hätten sie von Verwandten geerbt; Popow schätzt ihren Anteil auf 60 Prozent. Die übrigen 40 Prozent hätten die Wohnung in den vergangenen Jahren als Geldanlage erworben. Daraus ist ein Modell entstanden, das viel über das heutige Russland sagt: Besitzer vermieten ihre Wohnungen im Zentrum an ausländische Mitarbeiter internationaler Unternehmen, die für einen guten Lebensstandard bereit sind, hohe Summen zu zahlen. Mit dem Einkommen finanzieren die russischen Besitzer dann ihr Leben im Ausland, die Privatschule in Großbritannien oder die Universität in den USA. In der Krise ist es aber schwer geworden, solche Elite-Wohnungen, für die mitunter bis zu eine Million Rubel (12 500 Euro) im Monat bezahlt wurden, zu vermieten.

SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt (Foto: N/A)

Für eine günstige Einzimmerwohnung muss man heute etwa 35 000 Rubel bezahlen (450 Euro), für eine Zweizimmerwohnung zwischen 40 000 und 50 000 Rubel (500 bis 600 Euro), drei Zimmer kosten etwa 60 000 (750 Euro). Im Verkauf werden derzeit Preise von 180 000 Rubel pro Quadratmeter erzielt (etwa 2250 Euro). Um international tätigen Investoren eine Orientierung zu geben, wo die Preise gerade am stärksten steigen, stellt die Immobilien-Beratungsgesellschaft Knight Frank regelmäßig ein Ranking auf. Ende 2015 landete Russland dort mit einem Zuwachs von 1,2 Prozent auf Platz 43. Im Jahr 2012 war das Land noch unter den ersten fünf gewesen.

"In Moskau und in Russland überhaupt gibt es keinen ökonomischen Mechanismus, der eine Verteilung der Bevölkerung in der Stadt nach Einkommen oder sozialem Status bewirken würde", erklärt Popow. In Hinterhöfen, zehn Minuten Fußweg vom Kreml entfernt, kann man Häuser sehen, bei denen der Putz blättert, die Eingangstüren schief im Scharnier hängen und alte Leute mangels eines Kühlschranks den Joghurt vor die zugigen, einfach verglasten Fenster stellen. Erst von diesem Jahr an wird schrittweise eine Steuer auf Immobilienbesitz eingeführt, die sich am Marktwert orientiert. Dies dürfte dazu führen, dass arme Menschen ihre Wohnungen im Stadtzentrum verkaufen und in günstigere Gegenden ziehen.

Rechnerisch wohnen derzeit etwa 1,3 Personen in einem Zimmer. Eine durchschnittliche Moskauer Wohnung wurde 1969 gebaut und hat 55 Quadratmeter - eine Küche mit etwa sieben Quadratmetern, ein Zimmer mit 16, eines mit etwa zwölf Quadratmetern plus Flur und Bad. Im Wohnzimmer schlafen die Eltern auch, ein Zimmer ist für die Kinder, gegessen wird in der Küche. Während ein Europäer im Durchschnitt um die 35 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung hat, sind es für Moskauer nur 22 - es geht hier enger zu.

Die SZ berichtet in dieser Serie in loser Folge über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt. Bisher erschienen: Madrid (23. 10.), Peking (30. 10.), Rio de Janeiro (6. 11.), Sydney (13. 11.), London (20. 11.), Tokio (27. 11.), Wien (11. 12.), Goma (2./3. 1.), Tel Aviv (8. 1.), Paris (15. 1.), Brüssel (22. 1.), New York (29. 1.), Vancouver (5. 2.), Zürich (12. 2.) und Rom (26. 2.).

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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