Serie: Wie wir wohnen:Mit Schirm, ohne Charme

Serie: Wie wir wohnen: Alles muss in den Flur: Garderobe, Schuhcontainer, Haken und Spiegel. Für eine Bank ist oft kein Platz mehr - immer fehlt ein Zentimeter hier und einer da.

Alles muss in den Flur: Garderobe, Schuhcontainer, Haken und Spiegel. Für eine Bank ist oft kein Platz mehr - immer fehlt ein Zentimeter hier und einer da.

(Foto: Mauritius Images/Radius Images)

Die Diele war einst ein glanzvoller Ort, an dem Gäste empfangen wurden. Dann wurde sie kleiner und kleiner und verkam schließlich zur funktionalen Resterampe.

Von Oliver Herwig

Bei Woody Allen gibt es diesen magischen Moment. Die Tür eines Appartements schwingt auf, die Hausherrin lächelt und man steht plötzlich mitten im Wohnzimmer, umgeben von Büchern, Bildern und guten Gesprächen. Typisch New York, denkt man womöglich und erinnert sich an die eigene Einladung, als sich Gäste in den schmalen Flur drücken mussten, der schlagartig noch etwas zugiger und ungemütlicher wirkte.

Eingang und Diele sind eben keine Stärken modernen Wohnungsbaus. Es gibt sie, wie die Resterampe eines mittleren Kaufhauses. Und genauso sehen sie oft aus - zugemüllt und ohne Linie. Mancher Eingang gleicht einem Hindernisparcours auf dem Weg zur Arbeit, mit rutschigen Läufern, vorstehenden Containern und heimtückischen Kabeln. Wohnexperten raten dann zur Flurbereinigung, am besten in Form großer Einbauschränke, die mal so richtig aufräumen mit dem Terror der kleinen Dinge. Dabei ist diese Lösung oft Zeichen des Problems. Es gibt eben kaum Platz, schon gar nicht für Einbauschränke.

Der Flur ist ein seltsames Wesen. Obwohl drinnen, erinnern nasse Kleider, dampfende Schuhe, Autoschlüssel und Handschuhe eher an draußen. Dazu kommen die unvermeidlichen Accessoires eines schwedischen Möbelhauses: Garderobe, Schuhcontainer, Haken und Spiegel. Nichts passt so richtig, denn immer fehlt ein Zentimeter hier und einer da.

Wenigstens Imelda Marcos kannte dieses Problem nicht. Ihre geschätzten 1200 Paar Schuhe füllten ganze Räume und inzwischen ein eigenes Museum in Manila, nur eben nicht den Eingangsbereich einer Durchschnittswohnung. Wohin aber mit den Tretern, wenn keine begehbare Ankleide in Sicht ist? Wohin mit der Jacke, dem Mantel und dem Regencape? Und wohin mit Schlüsselbund und Handy?

Der Flur hat sich längst zum Zwischenspeicher des Alltags gewandelt, je nach Wetterlage und Uhrzeit gefüllt mit unterschiedlichsten Requisiten. Obendrein dient er als elektronische Schnittstelle zur Welt. In die Wand eingelassen liegen Sicherungskasten und Telefonanschluss, früher ein graues Kästchen der Deutschen Post, garniert mit Telefonbänkchen und Stuhl, heute ein Gewirr aus Kabeln, Wlan-Router und Adaptern, das manche schamhaft verstecken, andere einfach aus der Wand quellen lassen. Wenn etwas die vielen Gegenstände im Flur zusammenhält, so ist es die Tatsache, dass sie eine Grenze anzeigen, die es eigentlich gar nicht mehr gibt. Hier das Private, dort das Öffentliche. Hier Familie, dort die Freunde. Hier gemütlich, draußen arbeitsam - das war einmal. So wie sich die Arbeitszeit langsam unserer Lebenszeit angleicht, so hat sich das Entree der Wohnung gewandelt - von der inszenierten Schwelle zum sterilen Durchlauferhitzer des Alltags, in dem man im Stehen den Espresso kippt, die neuesten Tweets checkt und die Frisur im Spiegel.

Traditionell hoben Architekten solche Übergangsbereiche hervor. Sie verliehen dem Auftritt der Hausherrin Größe und gestalteten dazu raumhohe Türen, Einfassungen und spendierten selbst dem längsten Flur noch etwas Volumen, um einen Schrank unterzubringen, eine Hutablage, einen oder zwei Sessel sowie einen kleinen Tisch. Von solch gestalterischem Überschwang und räumlichem Luxus ist beim Einfamilienhaus noch der Windfang geblieben und ein, zwei Stufen, die sich manchmal wie ein Sabotageakt an Kinderwägen und Rollatoren ausnehmen, ganz zu schweigen von Rollstühlen und Skifahrern mit Gipsbein.

Selbst in der Etagenwohnung ist die Tür zur Außenwelt neuerdings gesichert durch Bewegungsmelder, Video-Überwachung und Zahlencode, den man ja nicht vergessen sollte, wenn man sich peinliche Anrufe bei der externen Sicherheitszentrale oder noch peinlichere Sicherheitsabfragen auf dem Handy ("Wie hieß deine erste Katze?" oder "In welcher Straße wohnten deine Eltern?") ersparen will. Die elektronische Aufrüstung der Schwelle steht jedenfalls in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Relevanz des unmittelbar dahinter liegenden Bereichs.

WLAN-Router, Kabel und Adapter: Der Eingangsbereich ist heute auch Schnittstelle zur Welt

Wenn der erste Eindruck tatsächlich durch nichts zu ersetzen wäre, müssten wir diesem Raum hohe Aufmerksamkeit widmen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Flur ist nicht länger Visitenkarte des Hauses und seiner Bewohner, er ist vor allem Durchgangsfläche mit hohem Verschleiß an Möbeln und Wandfarbe, das wissen nicht nur Familien mit kleinen Kindern. Warum das so ist? Nun, das moderne Wohnen setzt Prioritäten, die sich an bezahlbaren Größen orientieren. Eine 80-Quadratmeter-Wohnung lässt nicht zugleich Wohnküche, Masterbedroom, Wellnessbad und große Erschließungsbereiche zu. So wird der Flur, obwohl eigentlich Rückgrat der Wohnung, zu einer Art architektonischer Manövriermasse für den Schnitt der "wichtigeren" Räume. Je größer das Wohnzimmer, desto kleiner der Flur.

Der Nervenstrang des Hauses ist in der Art kommunizierender Röhren mit allen anderen Räumen verbunden. Daran ist die Moderne nicht unschuldig. Bereits Bruno Taut schwärmte 1924 vom großen Aufräumen, und er meinte nicht etwa Unterhosen in Sofaritzen: "Wenn aus einer Wohnung nach strengster und rücksichtslosester Auswahl alles, aber auch alles, was nicht direkt zum Leben notwendig ist, herausfliegt, so stellt sich von selbst eine neue Schönheit ein." Mit der Digitalisierung gehen wir tatsächlich in diese Richtung, die üblichen Ingredienzien eines Intellektuellenhaushalts (Bücher, Platten, Bilder) lassen sich inzwischen auf winzigsten Tablets und großen Plasmabildschirmen unterbringen. Was bleibt, ist ein Materiallager des Alltags: Schuhe in Containern und Schals an Haken ohne Schirm und Charme. Der Münchner Architekt Peter Haimerl ließ schon vor Jahren in einer Computersimulation virtuellen Staub durch Grundrisse wirbeln, um tote Winkel zu identifizieren, perfekte Orte für Einbauschränke und andere nützliche Dinge, die sonst nur im Weg herumstehen - als Garderobe, Schuhschränkchen und Ablagen. Da hilft nur noch eines: radikalisieren. Entweder richtig groß - oder weglassen. Das meint auch Philipp Reichelt, Partner von Grünecker Reichelt Architekten: "Ein Flur sollte großzügig sein, oder man sollte ihn in der Planung vermeiden. Als reiner Verbindungsgang ist er fragwürdig."

Wie man es auch dreht und wendet: Raum bietet der moderne Flur kaum. Kein Wunder, dass so viele Wohnberater mit (heller) Farbe die fehlende Weite der Diele wenigstens optisch kaschieren. Wenn also wieder der Rollcontainer unter der Treppe landet oder die neuen Schuhe nicht mehr in den Container passen, sollte man etwas Gelassenheit mitbringen. Das müssen nämlich auch die Nachbarn, wenn bei Regen das Bobbycar im Flur zum Einsatz kommt. Es sei denn, der Gang ist auch dafür zu schmal.

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