Schwarzer Montag an der Börse:Die Party ist aus

Nichts lässt sich leichter zerstören als Vertrauen: Das gilt im normalen Leben, aber erst recht an der Börse, die schon seit Jahren kein Teil des normalen Lebens mehr ist.

Ulrich Schäfer

Die Finanzmärkte haben sich losgelöst von der realen Wirtschaft; die Kurse sind schier unaufhaltsam gestiegen - obwohl schon seit langem überall Risiken lauerten. Energie und Rohstoffe? Wurden immer teurer. Amerikas Aufschwung? War wackelig. Der Dollar? Stand vor dem Absturz.

Jeder, der sehen wollte, konnte diese Gefahren sehen; jeder, der halbwegs nüchtern war, hätte in den vergangenen zwei, drei Jahren vorsichtig sein müssen, spätestens aber seit dem vorigen Sommer. Doch die Börse gleicht bisweilen einer wüsten College-Party: Weil jeder säuft, saufen alle mit. Und am Ende sind alle so besoffen, dass die Veranstaltung außer Kontrolle gerät.

Zusammenbruch in Zeitlupe

Banken und Börsianer hatten zuletzt geglaubt, dass es den immerwährenden Aufschwung gibt, die ewige Party; sie hatten darauf vertraut, dass die Kurse nur eine Richtung kennen - nach oben; sie wussten schier nicht wohin mit dem vielen Geld, mit dem die Notenbanken in den vergangenen sieben Jahren die Welt überschwemmt haben; sie haben die leicht verfügbaren Milliarden in ein Schattenreich gepumpt, das außerhalb des normalen Finanzsystems entstanden ist, in sogenannte Zweckgesellschaften außerhalb der Bilanz, deren wesentlicher Zweck darin bestand, die wahren Risiken zu verschleiern.

Neben das normale Bankensystem trat ein zweites. Kredite gab es deshalb im Überfluss, für den privaten Kunden ebenso wie für den Finanzinvestor; wer wollte, konnte sich mühelos viel Geld leihen, um ein Haus zu kaufen - oder ein ganzes Unternehmen.

Doch seit einigen Monaten kollabiert nun dieses aufgeblasene System: erst in Zeitlupe, nun im Zeitraffer. Der Grund dafür ist, dass die immer noch wichtigste Volkswirtschaft der Erde, die USA, sich in einer schweren Krise befindet, seit Hunderttausende amerikanische Familien die Kredite für ihr Eigenheim nicht mehr bedienen können. Deshalb sind unzählige Zweckgesellschaften und Dutzende Banken, die diese Risiken übernommen haben, in Not geraten.

Wie keine andere Wirtschaftsnation hatten die USA zuvor vom Schattenreich der Kreditinstitute profitiert. Sie waren froh, dass es jemanden gab, der ihren Aufschwung bezahlte, einen Boom auf Pump, finanziert mit geborgtem Geld.

Ermöglicht wurde der amerikanische Aufschwung zudem von der Notenbank in Washington, von einer Institution, die wie keine andere auf den Weltfinanzmärkten über Reputation und Ansehen verfügt hat.

Vielleicht hat deswegen niemand so genau hingesehen, als Alan Greenspan, der Vorsitzende der Federal Reserve, nach den Terroranschlägen des 11. September die Zinsen massiv gesenkt und die Wirtschaft mit billigem Geld versorgt hat.

Greenspan wollte verhindern, dass Amerika in eine Rezession abgleitet, nachdem erst die New Economy und dann auch noch die Türme des World Trade Centers zusammengebrochen waren. Greenspans Milliarden, so weiß man heute, zögerten den Abschwung lediglich hinaus - und ließen zugleich eine Blase entstehen, die jetzt umso heftiger und lauter geplatzt ist.

Die Welt zahlt in diesen Tagen die Rechnung für Amerikas geliehenen Aufschwung. Die Kurse stürzen, weil die Anleger die Risiken plötzlich erkennen - und in Panik geraten.

Die Vertrauenskrise, die auf Amerikas Immobilienmärkten begann, trifft auch Europa. In Großbritannien bildeten sich im Herbst bereits Schlangen vor einer Bank, weil die Kunden wie in der Weltwirtschaftskrise der 1930-er Jahre ihr Erspartes wiederhaben wollen.

Auch hierzulande haben einige Banken das Vertrauen der Öffentlichkeit verspielt. Noch sind es nur Geldhäuser, die mehr oder minder stark unter der Kontrolle des Staates stehen: die IKB, die SachsenLB oder die WestLB. Deren Manager haben sich besonders sicher gefühlt, entsprechend sorglos haben sie mit komplizierten Wertpapieren spekuliert. Am Ende zahlen für dieses Desaster vor allem alle Steuerzahler, nicht der einzelne Kunde.

Doch was ist, wenn hierzulande auch private Banken in Not geraten und sich plötzlich die Kunden vor den Filialen drängen? Noch mag sich dies niemand vorstellen. (Und wer es dennoch tut, verweist darauf, dass es ja - anders als früher - ein gemeinsames Sicherungssystem gibt, und alle Banken einspringen, wenn einige wenige in Not geraten.)

Vor ein paar Monaten konnte sich allerdings auch noch niemand vorstellen, dass die größten Banken der USA Dutzende Milliarden Dollar verlieren könnten und einige von ihnen nur deshalb noch leben, weil Staatsfonds aus Arabien oder Asien sich bei ihnen eingekauft haben.

Es ist gut möglich, dass das Schlimmste erst noch kommt und der Absturz der Finanzmärkte in den nächsten Monaten noch weitergeht. Doch die Krise und der Crash vom Montag haben auch ihr Gutes. Denn die Zeit der Exzesse, der zügellosen Gier an den Börsen und in den Banken, ist nun erst einmal vorbei.

Die Kreditinstitute und die Börsianer haben das Vertrauen, das ihnen die Anleger entgegengebracht haben, zerstört. Nun müssen sie es mühsam wieder aufbauen; und vertrauen kann man nur jemandem, der nüchtern ist - und nicht besoffen.

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