Proteste in Griechenland:"Wir haben nichts, wir zahlen nichts"

Zehntausende gegen die Sparmaßnahmen: Bei Protesten ist es in Saloniki zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Griechenlands Finanzminister Venizelos hatte zuvor gesagt, er rechne mit einem drastischen Einbruch der gebeutelten Wirtschaft des Landes. Die Zahlen seien schlimmer als alle bisherigen Prognosen. Finanzminister Schäuble stellt sich laut "Spiegel" bereits auf die Pleite des Landes ein.

Die griechische Regierung befürchtet einen drastischeren Einbruch der Wirtschaft als bislang angenommen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird nach den Worten von Finanzminister Evangelos Venizelos in diesem Jahr um mehr als fünf Prozent sinken.

Proteste in Griechenland: Demonstration gegen den Sparkurs vor dem griechischen Parlament in Athen: Die Griechische Regierung befürchtet jetzt einen noch drastischeren Einbruch der Wirtschaft als bislang angenommen.

Demonstration gegen den Sparkurs vor dem griechischen Parlament in Athen: Die Griechische Regierung befürchtet jetzt einen noch drastischeren Einbruch der Wirtschaft als bislang angenommen.

(Foto: AFP)

"Die Rezession übertrifft alle Vorhersagen, auch die der Troika", sagte Venizelos in Thessaloniki vor Wirtschaftsvertretern. Im Mai sei man noch von einem Schrumpfen des BIP von 3,8 Prozent ausgegangen.

Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, die quartalsweise kontrolliert, ob Griechenland sich an die Auflagen hält, war kürzlich vorzeitig aus Athen abgereist, da die Regierung nicht die notwendigen Reformen und Einsparungen vorweisen konnte. Griechenland hat erneut Schwierigkeiten, die geforderten Einsparungen und Reformen umzusetzen, um die nächste Kredittranche aus dem Rettungsprogramm der Euro-Zone ausgezahlt zu bekommen. Dennoch fürchten Beobachter, die bisher unternommenen Sparschritte könnten der Wirtschaft zu stark zusetzen.

Allerdings hatte Venizelos auch Positives zu vermelden: So sagte er, der Privatsektor spreche sehr gut auf den Anleihentausch-Plan an. Damit sollen private Gläubiger an den Kosten der Rettung beteiligt werden. Die größten privaten Besitzer griechischer Anleihen sind die Banken des Landes. Der Anleihentausch ist Teil des zweiten Griechenland-Rettungspaketes.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ermahnte Griechenland, seine Reformen umzusetzen. "Griechenland weiß, dass die Auszahlung der Kredite davon abhängt, dass es seine Auflagen erfüllt", sagte Merkel im Interview mit dem Tagesspiegel am Sonntag. Gleichzeitig forderte sie zu Geduld mit dem Land auf. "Was über Jahre versäumt wurde, kann nicht über Nacht behoben werden."

CSU verschärft den Ton

Schärfere Töne kamen von Seiten der Schwesterpartei CSU, die erstmals notorischen Defizitsündern auch mit einem Ausschluss aus der Euro-Zone drohte. Zwar wird das Wort Ausschluss in einem 15-seitigen Leitantrag, den der CSU-Vorstand am Montag beschließen will, vermieden. Doch könnten die Worte deutlicher nicht sein: "Euro-Staaten, die sich nicht an die gemeinsamen Regeln der Haushaltsdisziplin halten und dadurch sich und die Währungsunion in Schwierigkeiten bringen, müssen damit rechnen, die Währungsunion verlassen zu müssen", heißt es darin.

Damit geht die CSU-Führung auf Konfrontationskurs zu Bundeskanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble und Vizekanzler Philipp Rösler, die alle einen solchen Schritt kategorisch abgelehnt hatten. Der maßgeblich von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt verfasste Antrag zur Europa- und Euro-Politik soll auf dem nächsten CSU-Parteitag verabschiedet werden.

Das Papier verschärft einen vor zwei Wochen gefassten Präsidiumsbeschluss. Damals war betont worden, dass ein Land, das nicht in der Lage oder gewillt ist, die Stabilitätskriterien einzuhalten, die Möglichkeit haben sollte, aus der Währungsunion auszutreten. Neu ist nun aber in dem Leitantrag, dass die anderen Euro-Regierungen auf notorische Defizitsünder auch direkten Druck ausüben können sollen. Allerdings sollten diese Länder als betroffene EU-Staaten Hilfe bei der finanziellen Restrukturierung erhalten - sie sollen also auch als Nicht-Euro-Staaten weiter Mitglied der EU bleiben.

Die Geberländer der Eurozone hatten Griechenland zuletzt immer unverhohlener mit einem Stopp der Hilfszahlungen gedroht, wenn das hoch verschuldete Land seine Sparzusagen nicht umsetzt.

"Spiegel": Schäuble wappnet sich für Pleite

Wie das Magazin Spiegel meldet, spielen Schäubles Beamten sämtliche Szenarien durch, die sich im Falle eines Zahlungsausfalls des Landes ergeben könnten. Schäuble hatte Griechenland am Samstag erneut eindringlich aufgefordert, die Zusagen für Finanzhilfen einzuhalten. "Es ist völlig klar: Griechenland muss die eingegangenen Verpflichtungen erfüllen", stellte Schäuble in Marseille am Rande des G8-Finanzministertreffens klar. Gegenwärtig seien die Voraussetzungen nicht erfüllt für eine Auszahlung nächstenTranche. Das sei zwar eine schwierige Lage für Griechenland, sagte Schäuble, betonte aber zugleich. "Es ist nicht so, dass eine unmittelbare Zuspitzung bevorsteht."

Dem Spiegel zufolge gibt es im Finanzministerium grundsätzlich zwei Varianten einer möglichen Griechenland-Pleite. Bei der ersten bleibe das Land in der Währungsunion, bei der anderen gebe es den Euro als Zahlungsmittel auf und führe die Drachme wieder ein. Eine Schlüsselrolle in den Überlegungen komme dem europäischen Rettungsschirm EFSF zu. Er solle so schnell wie möglich mit den neuen Kompetenzen ausgestattet werden, die ihm der Euro-Krisengipfel der Staats- und Regierungschefs Ende Juli zugedacht habe.

Schäubles Beamte setzten zum einen auf vorbeugende Kreditlinien, die Ländern wie Spanien oder Italien helfen sollen, wenn Anleger nach einer Insolvenz Griechenlands ihnen nichts mehr leihen. Zudem könnten Banken in zahlreichen Euroländern auf Milliarden vom Rettungsschirm angewiesen sein, weil sie ihre Bestände an griechischen Staatsanleihen abschreiben müssten.

Ausschreitungen und Tränengas in Thessaloniki

Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou hat sein Land unterdessen vor einem Nachlassen bei den Sparanstrengungen gewarnt. Alles andere als die "strikte Erfüllung unserer Verpflichtungen" sei "gefährlich für das Land und seine Bürger", sagte Papandreou am Samstag in einer Rede in der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki.

Vor seiner Ansprache hatten sich Demonstranten und Polizisten in der Stadt gewaltsame Zusammenstöße geliefert, mindestens zwei Menschen wurden verletzt. Die Beamten setzten Tränengas und Schlagstöcke ein. Gegen die Sparpolitik der Regierung gingen laut Polizeiangaben mehr als 25.000 Menschen auf die Straße. "Wir haben nichts, wir zahlen nichts, wir verkaufen nichts, wir haben keine Angst", hieß es auf dem größten Spruchband der Veranstaltung.

Wegen der befürchteten Ausschreitungen waren mehr als 5000 Polizisten im Einsatz. Zu der Demonstration hatten die sogenannten Empörten ("Aganaktisméni") und die Gewerkschaften aufgerufen, die ein Ende der "Politik der Armut und der Arbeitslosigkeit" fordern.

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