Schatzsucher: Howard Carter:Jäger des ägyptischen Königs

Howard Carter gilt schon mit 31 Jahren als verkrachte Existenz. Dann nutzt er seine letzte Chance - und findet in Ägypten die Grabkammer des Tutenchamuns.

H. Freiberger

Das Loch in der Mauer ist so groß wie ein Kopf. Als Howard Carter die Laterne durchsteckt, strömt heiße Luft heraus und bringt das Licht zum Flackern. Man könnte sagen, dass die Luft abgestanden ist, gut 3300 Jahre alt. Anfangs kann er nichts erkennen, nur langsam gewöhnen sich seine Augen an das Licht. Hinter ihm steht ungeduldig sein Financier. Es kommt zum berühmtesten Dialog der Archäologiegeschichte. "Können Sie etwas erkennen?", fragt der Financier. Es dauert eine Weile, dann antwortet der Mann mit der Lampe: "Ja, wundervolle Dinge."

Tutenchamun, AP

Ein Fund, der eine Weltsensation war: Der in London geborene Howard Carter hat im Jahr 1922 das Grab des Tutenchamuns entdeckt.

(Foto: Foto: AP)

Howard Carter sieht seltsame Tiere, drei Hochbetten, Statuen, einen kleinen Thron, alles aus Gold. Er sieht in der Mitte so komische eiförmige Behälter, die sich hinterher als antike Lunchpakete herausstellen; in ihnen sind Enten- und Hammelfleisch aufbewahrt, mit langem Haltbarkeitsdatum, sie sind einbalsamiert, so wie der Bewohner der Grabstätte auch. So ist er, der alte Ägypter, seinen Herrschern soll es an nichts fehlen auf ihrer Reise ins Jenseits. Der Pharao soll alles haben, was er auch auf Erden hatte: Essen, Geschirr, Pfeil und Bogen, seinen Thron, alles vom Besten, aus Gold, teuren Stoffen, edlem Holz.

"Unschätzbarer Wert"

Der Archäologe Howard Carter und sein Financier Lord Carnarvon stehen vor einer Weltsensation: dem Grab des ägyptischen Pharaos Tutanchamun, der im Jahr 1323 vor Christus starb, nur 19 Jahre alt, wahrscheinlich an einem schweren Bruch am Knie, der sich entzündete. Es gab im 2700 Jahre überdauernden ägyptischen Reich 30 Dynastien mit unzähligen Herrschern, fast 70 Königsgräber wurden entdeckt, aber keines war auch nur ansatzweise so prächtig ausgestattet wie das von Tutanchamun mit seinen mehr als 5000 Objekten.

Was Carter als Erstes sieht, ist nur die Vorkammer, dahinter kommt die eigentliche Sargkammer mit Schreinen aus Stein und goldverziertem Holz, mit einem Sarg aus 110 Kilogramm massivem Gold, darin die mumifizierte, wie verkohlt aussehende Leiche des Pharaos, dessen Gesicht von einer Goldmaske bedeckt ist. Dann gibt es noch eine Schatzkammer und eine Nebenkammer, in der ein ziemliches Tohuwabohu herrscht; Grabräuber haben darin gewütet.

Der Aufbau des Grabs ist zur Zeit als Nachbau in der Münchner Tutanchamun-Ausstellung zu sehen. "Der Wert der Originale ist unschätzbar", sagt Wolfgang Wettengel, Ägyptologe und einer der beiden Wissenschaftler, die die Ausstellung konzipieren halfen. Allein die Goldmaske Tutanchamuns schätzt er auf mehrere Milliarden Dollar - wenn sie verkäuflich wäre. Aber sie gehört dem ägyptischen Staat und wird im Ägyptischen Museum von Kairo wie ein Nationalheiligtum gehütet.

Ein Mann mit zwei Gesichtern

Howard Carter ist ein Mann mit zwei Gesichtern: Er kann sehr charmant sein, aber auch stur und aufbrausend bis zum Äußersten, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. Ein Dickschädel, der sich von niemandem etwas sagen lässt. 1874 in London geboren, entdeckt er früh sein Interesse für das Altägyptische. 17 Jahre ist er, als er ins Land seiner Träume kommt, er tritt eine Stelle als Zeichner beim Egypt Exploration Fund an.

Später darf er bei Sir William Flinders Petrie mitgraben, einem der bekanntesten Archäologen seiner Zeit. Carter, der Autodidakt, der keinen einzigen Tag an einer Uni war, lernt Arabisch sprechen und Hieroglyphen lesen. Mit 26 ist er so gut, dass ihm die Antikenverwaltung einen ihrer besten Jobs anbietet: den des Chefinspektors. "Alles lief auf eine gehobene Beamtenkarriere hinaus", sagt Forscher Wettengel. "Aber dann wäre Tutanchamuns Grab wohl nie entdeckt worden."

Howard Carter ist kein Beamtentyp, er ist ein Dickschädel. Als einmal betrunkene französische Touristen an einer antiken Stätte pöbeln, kommt es zu einer Prügelei mit den ägyptischen Wärtern. Carter springt ihnen sofort bei. Der französische Konsul verlangt eine Entschuldigung von ihm, doch er weigert sich. Man will ihn in die Provinz versetzen, aber degradieren lässt er sich nicht, lieber kündigt er. Danach muss er sich als Maler, Touristenführer und Antiquitätenhändler durchschlagen. 1905, mit 31 Jahren, ist Carter in den Augen seiner Kollegen eine gescheiterte Existenz.

Eine archäologische Sensation

Lord Carnarvon, geboren 1866, ist ein Playboy mit Stil, er hat die astronomische Summe von 450.000 Pfund geerbt und führt ein sorgloses Leben. Er ist vernarrt in schnelle Pferde und schnelle Autos, fährt den Wagen mit dem Kennzeichen Nummer 3, ist der dritte britische Autobesitzer überhaupt. Auf einer Reise im Taunus verunglückt er mit dem Auto und wird schwer verletzt. Sein Arzt rät ihm, die kalten Winter künftig nicht mehr in Europa zu verbringen; Ägypten, das wäre doch etwas.

In Ägypten langweilt sich der Lord zunächst, dann entdeckt er sein Interesse an der Archäologie. Er beginnt zu graben, mit wenig Erfolg. Er erhält einen Tipp: Es gäbe da jemanden, menschlich schwierig, aber ein absoluter Fachmann. Es ist der Beginn einer wunderbaren Partnerschaft. In der Geschichte der Archäologie hat sich kein genialeres Paar mehr gefunden: hier der gelangweilte, aber ambitionierte Mann, für den Geld keine Rolle spielt, dort der Geächtete, der darauf brennt, wieder graben zu dürfen.

Verschütteter Eingang

1914 erhält Lord Carnarvon die Lizenz für das Tal der Könige, jenen mythischen Ort, an dem die Ägypter ihre Pharaonen beisetzten, ein nicht einmal ein Kilometer langes Tal mit steilen, zerklüfteten Felsen links und rechts. 63 Gräber sind dort in den letzten Jahrhunderten entdeckt worden, die meisten geplündert. 1914 erklärt der reiche Hobbyarchäologe Theodore Davis das Tal der Könige für erschöpft; er gibt seine Grabungslizenz auf. Howard Carter aber hat da so ein Gefühl. War nicht vor Jahren ein türkisfarbener Fayencebecher mit der Aufschrift "Tutanchamun" aufgetaucht? Es muss irgendwo da unter Stein und Geröll ein Grab geben, voll erhalten, nicht geplündert, vergessen im Laufe der Jahrtausende.

275 Ägypter arbeiten für Carter. Sie graben von 1917 an sechs Jahre lang. Sie finden nichts. Im Sommer 1922 will der Lord alles hinwerfen, Carter besucht ihn in England und droht: Notfalls werde er allein und auf eigene Kosten weitergraben. Das imponiert Carnarvon, er finanziert noch einmal eine Saison.

Der 4. November 1922: Howard Carter sitzt im Schatten seines Zeltdachs über einer Karte, da kommt ein ägyptischer Arbeiter, seine Stimme überschlägt sich, er habe gerade eine Stufe ausgegraben. Am übernächsten Tag haben sie 16 Stufen gefunden, an deren Ende eine zugemauerte Tür kommt. Carter bohrt und sieht einen Gang, von oben bis unten mit Schutt gefüllt. Ein gutes Zeichen: Offenbar wurde das Grab so vor den ewigen Grabräubern geschützt. Und später fand niemand mehr den Eingang: Er wurde bei der Aushebung eines anderes Grabs zugeschüttet. Carter schickt dem Lord ein Telegramm: "Habe endlich wunderbare Entdeckung im Tal gemacht; bis zu Ihrer Ankunft alles wieder zugedeckt."

Als Carnavaron nach zwei Wochen mit dem Schiff eingetroffen ist, beginnt die Grabung erneut. Zwei Tage legen sie den zugeschütteten Gang frei, dann stehen sie vor der Tür, in die Carter das kopfgroße Loch schlägt. Kurz darauf geht die Nachricht von der archäologischen Sensation um die Welt.

Ehrendoktor in den USA

Zehn Jahre dauert es, bis alle Gegenstände aus dem Grab dokumentiert, konserviert und per Schiff nach Kairo abtransportiert sind. Zwischendurch legt sich der Dickkopf Carter mit den ägyptischen Behörden an, die die Arbeiten für ein Jahr stoppen. 1932 ist Carter zum letzten Mal in der Grabeshöhle. Zu diesem Zeitpunkt heißt es bereits, es gebe einen Fluch des Pharao: Ein halbes Jahr nach Entdeckung des Grabes stirbt Lord Carnarvon, er hatte sich einen Moskitostich im Gesicht mit dem Rasiermesser aufgeschnitten und eine Blutvergiftung erlitten. Schon bei der Öffnung des Grabes war Carters Kanarienvogel angeblich von einer Kobra getötet worden; ein böses Omen, denn die Kobra ist das Wappentier der ägyptischen Könige.

Hat Tutanchamun jene bestraft, die sein Grab öffneten? Die These lässt sich nicht halten, einige aus Carters Mannschaft werden über 80 Jahre alt. Auch Carter stirbt mit erst 64 Jahren an Lymphdrüsenkrebs. Zuvor verleiht ihm die amerikanische Universität Yale die Ehrendoktorwürde. In England aber versagt man ihm solche Ehren. Der Mann, der nie an einer Universität studiert hatte, bleibt in der archäologischen Zunft ein Außenseiter. Die neidischen Kollegen kommen nicht einmal zu seiner Beerdigung. Gegrämt hat sich Carter über die mangelnde Anerkennung offenbar nicht, in seinen Tagebüchern findet sich dazu kein einziges Wort. Vielleicht weiß er, dass über ihn die Geschichte das einzig relevante Urteil fällt: Er ist der Mann, der den größten Schatz der Menschheit gefunden hat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: