Schatzsucher: Honoré de Balzac:Der Schatz in der Silbermine

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Um jeden Preis wollte der französische Schriftsteller Honoré de Balzac reich werden. Dieser Traum trieb ihn mit einem Pferd in die Wildnis Sardiniens.

J. Willms

In seinem vergleichsweise kurzen Leben von 51 Jahren hat Honoré de Balzac so gut wie nichts unversucht gelassen, zu großem Reichtum zu gelangen. Er litt damit an einem Leiden, das er an vielen seiner Romanfiguren diagnostizierte. Dass so gut wie alle, die davon in seinem Riesenwerk, der "Menschlichen Komödie", befallen waren, daran auch zugrunde gingen, hat ihn nicht kurieren können.

Der Schriftsteller Honoré de Balzac wollte reich werden - um jeden Preis. (Foto: Foto: getty)

Das ist eine Paradoxie, die sich damit erklären lässt, dass das unbändige Verlangen, reich zu werden, die bezeichnende Signatur der Epoche wie der Gesellschaft war, in der Balzac sich schöpferisch entfaltete: die französische Juli-Monarchie von 1830 bis 1848, deren Parole "Enrichissez-vous! - Bereichert Euch!" lautete.

Reich zu werden versuchte Balzac auf verschiedene Weise. Den ersten Anlauf machte er als Buchdrucker und Verleger. Das ging schnell schief, endete mit Pleiten und Schulden. Entsprechendes erlebte er mit dem Kauf von Grundstücken und Aktien. Beides erwies sich als ein Verlustgeschäft. Andere entwickelten erfolgreiche Theaterstücke; seine verschwanden unmittelbar nach der Premiere vom Spielplan.

Spröder Realismus

Früh auch begann er davon zu träumen, durch eine reiche Heirat zum ersehnten Ziel zu gelangen. Die Erfüllung dieses Sehnens wurde ihm schließlich sogar vergönnt. Aber kaum war die Frau, die in der hintersten Ukraine lebte und der er fast 20 Jahre mit Briefen den Hof machte, endlich die Seine geworden, starb er ein halbes Jahr später.

Am zähesten klammerte er sich jedoch daran, als Romanautor zu jenem Erfolg zu gelangen, der sich in Reichtum verzinst. Der fixen Idee verdanken sich die rund 100 Romane, aus denen er in weniger als 20 Jahren das Riesenwerk der "Menschlichen Komödie" schuf. Das trug ihm zwar zu Lebzeiten Erfolg ein, aber machte ihn dennoch nicht reich. Das war eine weitere Paradoxie, die er der in großer Ferne Angebeteten im April 1842 hellsichtig auflöste: "Unglücklicherweise werde ich mit meinem Werk erst dann zu Wohlstand kommen, wenn ich dessen gar nicht mehr bedarf. Es braucht sicherlich 25 Jahre, bis sich ein finanzieller Erfolg einstellt, zumal erst ein halbes Jahrhundert vergangen sein muss, bevor eine große Sache überhaupt verstanden wird."

Aber selbst dieser spröde Realismus konnte dem Traum vom jähen Reichtum nichts anhaben. Den träumte Balzac in verschiedenen Varianten. Eine davon war, dass er sich bei einem Essen beiläufig vernehmen ließ, es sei ihm gelungen, die "blaue Rose" zu züchten, für die die Botanische Gesellschaft zu London eine halbe Million Francs ausgesetzt habe. Jeden Samen dieser Züchtung wolle er für das Doppelte seiner Gestehungskosten verkaufen. Auf die Frage, was ihn noch zögern lasse, versetzte Balzac: "Ach, ich habe erst noch so viel anderes zu erledigen! Aber in einigen Tagen werde ich mich daranmachen."

Ein aus Wunschdenken geborenes Hirngespinst oder ein hübscher Einfall, mit dem Balzac die anderen Gäste zum Besten hielt? Beides ist ihm zuzutrauen, denn im März 1838 brach er von Paris nach Sardinien auf, um dort einen Schatz zu bergen. Die Grille hatte ihm im Jahr zuvor beim Besuch in Genua ein Italiener ins Ohr gesetzt. Im unwirtlichen Inneren der Insel, hatte der erzählt, lägen Abraumhalden von Blei und Silberminen aus römischer Zeit. Da die Römer noch nicht die chemischen Kenntnisse des 19. Jahrhunderts besaßen, müsste der Abraum folglich noch viel von dem begehrten Edelmetall enthalten.

Der Gedanke war einleuchtend, brachte Balzac aber zunächst nur auf den Einfall, dass eine seiner Romanfiguren, Eugène de Rastignac, durch den Kauf von Aktien eines Unternehmens, das silberhaltige Bleiminen ausbeutete, zu jähem Reichtum gelangte. Als er diese Erzählung Ende 1837 abschloss, hat er im vierten Korrekturdurchgang den Hinweis, dass sich diese Minen in Sardinien befänden, gestrichen. Jetzt, das verrät dies, hatte der Gedanke bei ihm gezündet.

Um sich die notwendige Barschaft für seine Expedition zu verschaffen, musste Balzac zuvor, wie er einer Freundin anvertraute, sein bisschen wertvolle Habe zu "meiner Tante" tragen. So nannte er die Pfandleihe, die in Paris noch heute so heißt. Mit der Schatzsuche war es ihm also wirklich ernst. So ernst, dass er alle Strapazen klaglos auf sich nahm, ehe er Anfang April an Bord eines Korallenfischers in Alghiero, einem kleinen Hafen auf Sardinien, an Land ging. Von hier drang er ins Inselinnere vor auf der Suche nach dem Schatz, der dort lagerte.

Zu spät gekommen

Über das, was ihm unterwegs dorthin zustieß, darüber berichtete er in einem Brief vom 17. April aus Cagliari in die Ukraine: "Ich habe ganz Sardinien durchquert und dabei Dinge gesehen, wie man sie von den Huronen oder aus Polynesien erzählt. Ein ganzes wüstes Königreich, wahre Wilde, keinerlei Kultur. (...) Ich bin durch jungfräuliche Wälder gestreift, um mein Leben bangend über den Hals meines Pferdes gebeugt, denn um diese zu durchqueren, muss man den Bächen folgen, die unter Schlingpflanzen und Zweigen verborgen sind, die einem sonst die Zähne ausschlügen oder den Schädel zertrümmerten."

Nach der Schilderung dieser und anderer Schrecken ist man auf das Schlimmste gefasst. Allein davon berichtet Balzac mit dramaturgischer Könnerschaft erst am 22. April von Genua aus: "Ich habe gleichermaßen recht wie unrecht gehabt."

Er war zu spät gekommen. Seit einem Jahr beutete eine Gesellschaft den Silbergehalt des Abraums aus, ein Schatz, der zu Hügeln aufgetürmt unter freiem Himmel lag. "Meine Überlegungen waren also wohl begründet, allein ich hatte das Unglück, nicht schnell genug gehandelt zu haben." Damit blieb ihm nichts anderes, wie er am 20. Mai aus Mailand schrieb, als wieder "in meinen Laden eines Phrasendreschers zurückzukehren, denn ich kann nichts anderes als kritzeln".

© SZ vom 25.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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