Schatzsucher: Die Brüder Sass:Verbuddelt im Grunewald

Die Presse nannte sie "Meisterdiebe" und "Gentleman-Ganoven": Franz und Erich Sass haben in den zwanziger Jahren beim Einbruch in einer Berliner Bank Millionen geraubt - ihre Beute wurde nie gefunden.

Marco Völklein

Es gibt ein Indiz. Ein einziges. Aber daran halten sie sich alle fest. Wolfgang Lietz und seine Freunde vom Berliner Schatzsucherclub Cocos e.V. genauso wie die vielen anderen Hobby-Schatzsucher, die hier schon gesucht haben nach den Millionen aus dem spektakulären Raub. "Der Polizeibeamte, der den beiden Sass-Brüdern auf den Fersen war, hat gesehen, wie sie an dieser Stelle aus dem Grunewald kamen", sagt Schatzsucher Wolfgang Lietz. Das ist das Indiz: Ein Augenzeugenbericht. Mehr nicht.

Sass, Foto: SZ

Die Gebrüder Sass setzen bei ihren Raubzügen auf modernste Technik.

(Foto: Foto: SZ)

Die Geschichte vom Millionenbruch in der Disconto-Gesellschaft, einer Bank am Berliner Wittenbergplatz, von den beiden legendären Bankräubern Franz und Erich Sass und von der möglicherweise im Stadtwald vergrabenen Millionen-Beute, diese Geschichte, die bereits mehrmals verfilmt wurde, zuletzt 2001 mit Ben Becker und Jürgen Vogel in den Hauptrollen, sie beginnt in den 1910er Jahren im Berliner Arbeiterviertel Moabit.

"Meisterdiebe" und "Gentleman-Ganoven"

In einer nur 40 Quadratmeter kleinen Wohnung wuchsen sie auf, zusammen mit dem aus Polen eingewanderten Vater, einem Schneider, der Mutter, die als Wäscherin im Krankenhaus Moabit schuftet, und drei weiteren Brüdern. Schon früh gerieten sie mit den Gesetzen in Konflikt: Regelmäßig schaut die Polizei vorbei, das städtische Jugendamt notiert in einem Bericht: "Die Mutter, trotz des besten Willens, war der Erziehung der schwierigen Burschen allein nicht gewachsen. So kamen von den fünf Brüdern Sass bereits die vier älteren auf die schiefe Bahn."

Einbrüche in die Safes der Berliner Bank in Moabit, der Dresdner Bank in Charlottenburg und Tiergarten sowie in die Reichsbahnzentrale am Schöneberger Ufer werden den Sass-Brüdern zur Last gelegt - beweisen konnten die Kriminalisten der Berliner Polizei ihnen nie etwas. Franz und sein eineinhalb Jahre jüngerer Bruder Erich gehen mit äußerster Präzision vor. Sie stemmen nicht einfach die Tresortüre auf, sie sprengen auch nicht mit Dynamit - Franz und Erich Sass setzen auf modernste Technik, als erste Bankeinbrecher benutzen sie Schneidbrenner.

Die Presse liebt die Sass-Brüder, schreibt von "Meisterdieben" und "Gentlemen-Ganoven". Die einfachen Berliner lieben sie ebenfalls. Die große Depression zeichnet sich bereits ab, ein Massenheer an Arbeitslosen bevölkert die Straßen. Da begeistern die Brüder die Leute mit ihren Einbrüchen in den Geldburgen der Stadt. Der Legende nach sollen sie sogar Geldscheine in die Briefkästen armer Nachbarn in Moabit geworfen haben. Die Medien feiern Franz und Erich Sass. Zwei Arbeiterkinder, die es geschafft haben - ihrer Kreativität und ihrer Dreistigkeit sei Dank. Zwei, die es schaffen, den riesigen Berliner Polizeiapparat an der Nase herumzuführen.

Diebstahl bei Disconto

Den Einbrechern auf der Spur ist Max Fabich. Der junge Kriminalsekretär merkt, dass die Einbrecher am Anfang dilettantisch agieren, aber von Einbruch zu Einbruch professioneller werden. Nach dem Disconto-Bruch lässt er die beiden festnehmen, kann ihnen aber nichts nachweisen. Er muss sie laufen lassen. Wieder in Freiheit, bitten Franz und Erich Sass umgehend zur Pressekonferenz ins Traditionslokal Lutter & Wegener. Sie reichen den Reportern Sekt und berichten stolz von ersten Filmangeboten. Der Disconto-Bruch ist aber auch zu aufsehenerregend. Und eine zu große Schmach für die Bank.

Als die Angestellten der Disconto-Gesellschaft, im noblen Teil der Stadt am Wittenbergplatz gelegen - dort wo auch das KaDeWe, das Kaufhaus des Westens, die Käufer lockt - am Morgen des 29. Januar 1929 den Tresor im Keller öffnen wollen, tut sich nichts. Die 40 Zentner schwere Tür lässt sich nicht bewegen, selbst der Direktor bekommt sie nicht auf. Er lässt zwei Maurer rufen, die insgesamt 14 Stunden benötigen, um in die dicke Wandarmierung ein kleines Loch zu stemmen.

Das gibt den Blick frei auf ein Desaster: Die dicke Tür war von innen blockiert, 179 der insgesamt 181 Schließfächer im Tresorraum waren weit geöffnet, ihr Inhalt verschwunden. Was die Reichen angesammelt hatten im angeblich bestgesicherten Tresorraum der Stadt an Bargeld und Schmuck, an Goldbarren und Wertpapieren - es war einfach weg.

Im zweiten Teil: Wie die Gebrüder Sass den Tresor der Disconto-Gesellschaft knackten - und wie sie schließlich in Dänemark gefasst werden.

Flucht nach Dänemark

Die Einbrecher hatten sich durch die Erde gegraben, unter dem Pflaster des Wittenbergplatzes hindurch, parallel zur Kellerwand der Disconto-Gesellschaft, durch einen Luftschacht herangepirscht an die Außenwand des Tresors. Und diese nach allen Regeln der Kunst durchbrochen. Im Schutz der verrammelten Stahltür räumten sie Schließfächer leer - und feierten ihren größten Coup. Am Boden, zwischen Schmuckresten und zerfledderten Wertpapieren, fanden die Polizisten auch zwei leere Weinflaschen.

Genau lässt sich die Beute nie beziffern. Schätzungen gehen von zwei Millionen Reichsmark aus. Das Geld, der Schmuck, die Goldbarren - all das lagerte auch deshalb in den Disconto-Schließfächern, um es vor Finanzamt, Gläubigern oder Ehepartnern zu verstecken. "Die Disconto-Gesellschaft rechnet mit einem Schaden in Millionenhöhe", schrieb das Lokalblatt B.Z. am Mittag. Und: "10.000 Mark Belohnung sind ausgesetzt."

Die allerdings kamen nie zur Auszahlung. Mit der Machtergreifung Hitlers fliehen die Brüder nach Dänemark, planen dort weitere Einbrüche. Die dänische Polizei erwischt sie, Franz und Erich Sass werden verhaftet, verurteilt, eingesperrt. Vier Jahre sitzen sie ein. Unterdessen nehmen sich die Ermittler in Berlin noch einmal die ungeklärten Fälle vor und finden in der Moabiter Wohnung in Mauerverstecken einiges an Werkzeug und Diebesgut von Berliner Raubzügen. Die Schlinge zieht sich zu.

"Auf Befehl des Führers erschossen"

1938 schließlich schiebt Dänemark die Brüder nach Deutschland ab. Hier machten die Nationalsozialisten kurzen Prozess mit den Verbrechern - Franz und Erich landeten umgehend im Zuchthaus. Am 27. März 1940, nach zwei Jahren Haft in Moabit und Plötzensee, werden sie in das KZ Sachsenhausen gebracht - und dort vom späteren Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß ermordet. Im Sterbebuch des zuständigen Standesamts Oranienburg steht: "Auf Befehl des Führers erschossen."

Die Millionenbeute aus dem Disconto-Einbruch allerdings taucht nie wieder auf. Nur Max Fabich, der Kriminaler, hinterlässt ein Indiz. Seinen Nachkommen berichtet er, er habe bei einem Restaurantbesuch in der Gaststätte "Schildhorn" im Grunewald Erich Sass aus dem Wald kommen sehen. Verdreckt sei er gewesen, mit einer Schaufel über der Schulter. Bis zu seinem Tode im Jahr 1963 glaubt Fabich fest daran, dass die Brüder dort die Beute vergraben haben.

Auch Wolfgang Lietz und seine Freunde vom Berliner Schatzsucherverein Cocos e.V. glauben daran. Das Restaurant gibt es zwar nicht mehr; die Halbinsel, an dessen Ende es stand, existiert aber. Darauf steht ein kleines Denkmal - für die Schatzsucher ein erster Anhaltspunkt. "Wenn ich eine Millionenbeute zu verstecken hätte, würde ich mir einen solchen Anhaltspunkt suchen, an dem ich mich orientieren kann", sagt Richard Wroblewski, ebenfalls Mitglied bei Cocos e.V. Um das Denkmal herum haben die Vereinsmitglieder mit ihren Metalldetektoren schon gesucht. Aber nichts gefunden.

Weitersuchen wollen sie dennoch, sagen die Cocos-Leute. Sie folgen weiterhin diesem einen Indiz: der Aussage von Kriminalpolizist Max Fabich. Zwei Metalldetektoren gehören mittlerweile dem Verein. Der schlägt auf metallische Kisten im Boden an, aber auch auf Gold. "Diamanten oder andere Edelsteine spürt man damit nicht auf", sagt Vereinsmitglied Peter Kosa. Papiergeld ohnehin nicht. Aber auf das sind sie auch nicht aus. "Goldbarren und Edelsteine", sagt Wolfgang Lietz, und dabei blitzt es ein bisschen in seinen Augen. "Das wär's."

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