Sanierung:Wird München immer morscher?

Manchmal sind nicht Bauschäden, sondern Entmieter der Grund für einstürzende Altbauten.

Bernd Kastner

Cornelius Mager hat den schönsten Ausblick, den ein städtischer Amtschef in München haben kann. Er sieht von seinem Büro aus über die halbe Stadt. Mager leitet die Lokalbaukommission (LBK), jene Behörde, die für alles rund ums Bauen zuständig ist, und sitzt im zehnten Stock von Münchens ältestem Hochhaus am Rande der City.

In der Stadt unter ihm ist Merkwürdiges geschehen, so dass Sibylle Färber, die Chefin des Mietervereins, neulich entsetzt ausgerufen hat: "In den letzten Jahren ist ganz München baufällig geworden." Immer öfter war von einsturzgefährdeten Altbauten die Rede, immer öfter mussten Mieter Hals über Kopf ihre Wohnung verlassen.

Februar 2005: In der Donnersbergerstraße bricht aus der Fassade eines denkmalgeschützten Hauses ein großes Stück Mauer heraus, das Gebäude - es wird gerade saniert - stürzt halb zusammen. Wie durch ein Wunder bleiben die letzten verbliebenen Bewohner unverletzt - sie waren nicht im Haus. Mai 2005: In der Arndtstraße im Glockenbachviertel, einem der schicksten und teuersten Quartiere an der Isar, fahren Feuerwehr und Krankenwagen vor. Zwei türkische Familien müssen Hals über Kopf ihre Wohnungen verlassen. Einsturzgefahr. Die Decke habe sich gefährlich gesenkt, so die Statiker.

Juni 2005: In der Friedrichstraße, bestes Schwabing, steht ein herrschaftliches Gründerzeithaus leer - bis auf eine Wohnung. Dort stellt der Eigentümer durch Zufall fest, dass die Decke unter den letzten Mietern verfault sei. Die Stadt sperrt die Wohnung.

Wird München immer morscher?

Ernst Haude von der Bauinnung wundert sich nicht über marode Häuser. Mancher Eigentümer wolle beim Sanieren eines alten Gebäudes Geld sparen und setze schon mal Arbeiter ein, "die wenig Ahnung von Baukonstruktion haben". Wenn dann eine tragende Wand entfernt werde, könne die Decke darüber und das halbe Haus einstürzen.

Aber auch im Verborgenen lauern Gefahren für ein Haus: Einst seien viele Gebäude ohne Wasserleitungen errichtet worden, erst später habe man die Installationen eingebaut. Beginnt ein Rohr zu lecken und läuft Wasser in die Holzdecken, kann es kritisch werden. Das Füllmaterial der Decken sauge sich voll Wasser, und wenn es unten heraustropft, sei es oft schon zu spät. Haude appelliert an alle Eigentümer, sich um ihre Immobilien zu kümmern. Und den Mietern rät er, sich sofort an den Eigentümer zu wenden, wenn sie Wasserflecken oder gar Risse im Mauerwerk bemerken.

Wird München immer morscher?

Auf einige dieser Eigentümer ist Sibylle Färber vom Mieterverein gar nicht gut zu sprechen. Immer öfter registriere sie Fälle, in denen Eigentümer eine Wohnung oder ein ganzes Haus wegen Einsturzgefahr räumen ließen, seit 2001 kenne sie rund ein halbes Dutzend solcher "Not"-Fälle. Weil diesen oft ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen Mieter und Vermieter vorausgegangen sei, will sie an Baufälligkeit nicht glauben.

Sie sieht hinter mancher Zwangsräumung wegen Gefahr für Leib und Leben den Eigentümer am Werk. Entmietung - brutal, aber effektiv durch gezielte Baugefährdung. Färber erinnert an ein Anwesen in der Maxvorstadt: Dort mussten schon vor Jahren die Mieter von einer Stunde auf die andere ihr Zuhause verlassen - und seien nie wieder zurückgekehrt.

LBK-Chef Mager kennt diese Geschichten und sagt, man arbeite an einem Vorsorgeplan, um schikanierte Mieter zu schützen. Aber wenn ein Bauherr von Einsturzgefahr berichte und ein Statiker das bestätige und die Fachleute der LBK zum selben Ergebnis kommen, dann bleibe seiner Behörde nichts anderes, als das Haus sperren und räumen zu lassen.

Falls ein Eigentümer mit unlauteren Machenschaften seine Mieter loswerden wolle, werde man so fast zwangsläufig zum Erfüllungsgehilfen. Ein wohnungsloser Mieter und ein empörter Mieterverein sind immer noch besser als ein verletzter oder gar toter Mieter. Mager schaut recht unglücklich, er weiß keinen Ausweg aus dem Dilemma. Aber er bestätigt, was seine Pressestelle recherchiert hat und auch die Feuerwehr bestätigt: Trotz der spektakulären Fälle der vergangenen Monate sei keine Häufung von einsturzgefährdeten Altbauten in München festzustellen.

Er sagt's, und in diesem Moment klingelt sein Telefon. Mager hört zu, schaut ungläubig, wiederholt ein paar Worte, fragt, ob das Haus wohl zu halten sei. Er legt auf und lacht etwas bitter. Ein Mitarbeiter war das, und der habe ihm berichtet, dass in der Au gerade ein Haus am Einstürzen sei. Er deutet aus dem Fenster: da, gleich da drüben.

August 2005: Wieder ist es ein denkmalgeschütztes Gebäude, es wird gerade evakuiert. Offenbar wegen einer benachbarten Baugrube neigt es sich messbar und bedrohlich zur Seite. Lange, breite Risse sind entstanden, sie reichen bis unters Dach.

Über die genaue Ursache rätseln die Experten noch, es könnte am schlechten, von der Isar einst angeschwemmten Untergrund liegen, der durch umgeleitete Grundwasserströme womöglich ausgespült wurde. Die Präsidentin der Bauingenieurkammer, Heidi Aschl, sagt: So etwas kommt sehr, sehr selten vor. Sicher scheint immerhin zu sein: Kriminelle Entmietung steckt diesmal nicht dahinter, im Gegenteil. Der Eigentümer kümmert sich rührend um seine Mieter, besorgt Umzugswagen, Hotelzimmer und Ersatzwohnungen.

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