Rückgewinnung der Bauherren:Architekten entdecken das Fremde an sich

O-Ton aus dem Bau-Alltag: "Sooo, es regnet also durch das Dach ins Essen - was stehen Sie dann dumm herum? Verschieben Sie sofort den Tisch!" Die Architekten wollen jetzt aber ihren ruinierten Ruf aufpolieren und lassen zum ersten Mal das gemeine Publikum entscheiden über "Gutes Bauen".

(SZ vom 29.10.2003) Von Gustave Flaubert, dem architekturbegeisterten Poeten des 19. Jahrhunderts, ist ein großartiger Fluch der Bauherren auf die Baumeister ihrer Zeit überliefert: "Architekten - alles Schwachköpfe. Immer vergessen sie die Treppen in den Häusern." Aber von Mies van der Rohe, dem poetischen Architekten des 20. Jahrhunderts, ist ein mindestens ebenso großartiger Fluch der Architekten auf die Bauherren ihrer Zeit überliefert: "Ich glaube, wir sollten unsere Bauherren wie unsere Kinder behandeln."

Aber damit meinte Mies nicht liebe, hübsche, artige Kinder - sondern dumme, nervtötende, garstige Monster. Bauherren waren für ihn so etwas wie die Geißel Gottes. Diese freundliche Einschätzung jener Menschen, die in der Regel das Architektenhonorar und das Architektenwerk zu bezahlen (und, von Fall zu Fall, auch zu erleiden) haben, ist aber keineswegs einzigartig in der Baugeschichte. Schon Frank Lloyd Wright soll einmal einen Klienten, dem er soeben ein sehr teures, sehr schönes und offenbar sehr regendurchlässiges Haus gebaut hatte, am Telefon in dieser Weise angeblafft haben: "Sooo, es regnet also durch das Dach ins Essen - was stehen Sie dann dumm herum? Verschieben Sie sofort den Tisch!"

Vom gleichen Architekten handelt auch eine Notiz Arthur Millers, der sich von Wright ein Haus für sich und seine damalige Frau, Marilyn Monroe, bauen lassen wollte. Anlässlich der gemeinsamen, stundenlangen Grundstücksbegehung schrieb er: "Ich glaubte, es sei an der Zeit, darüber zu sprechen, wie wir das Haus haben wollten. Aber ich sah, dass ihn diese Information nicht im Geringsten interessierte."

Unerreichbar für die Masse

Dass in der Öffentlichkeit ein Bild vom Architekten zirkuliert, das ihn als Ausgeburt der allerschlimmsten Dienstleistungshölle porträtiert, ist sicher unfair. Völlig unbeabsichtigt ist es aber nicht. Denn manche Architekten haben es seit Jahrzehnten geradezu darauf angelegt, als Baukünstler in unerreichbaren Sphären wohnen zu dürfen - unerreichbar für die Masse des sehr allgemeinen und natürlich sehr schlechten Geschmacks.

Hausverkäufer übernehmen das Regiment

Doch das rächt sich seit einiger Zeit: Immer öfter werden missmutige Architekten von freundlichen Baumanagern abgelöst. Deren Verkaufskompetenz übersteigt zwar manchmal beträchtlich die Entwurfskompetenz - aber sie haben sich dennoch oder deshalb überall durchgesetzt. Die Folgen sind gleichfalls überall zu besichtigen.

Behutsame Selbstkritik

Man wird deshalb hellhörig, wenn Bemühungen wahrzunehmen sind, die das tradierte Bild vom Künstler-Architekten behutsam korrigieren. Zum Beispiel ist (noch bis zum 16. November) in Frankfurt am Main im Deutschen Architektur Museum (DAM) eine kleine, staunenswerte Ausstellung zu sehen. Unter dem Titel "Mach's noch einmal. Was ich schon immer abreißen wollte" hatte Arno Lederer seine Architekturstudenten dazu aufgefordert, scheußliche Heimwerkermärkte oder langweilige Bürogebäude durch eigene, bessere Ideen - fiktiv natürlich - zu ersetzen. Früher hätten die angehenden Architekten die halbe Welt - fiktiv natürlich - in die Luft gejagt vor lauter Neuerungsdrang. Deshalb erstaunen die überlegten und zurückhaltenden Eingriffe, die im DAM zu sehen sind.

Der derzeit in der Bayerischen Architektenkammer in München zu sehenden Ausstellung "aim 2001 - Architektur in München" liegt eine ähnlich konstruktive, selbstkritische Perspektive zugrunde. Der Architekt Roland Pawlitschko hat einfach alle 500 Häuser fotografiert, die im Jahr 2001 in München errichtet wurden: als Auseinandersetzung mit jener Bau-Wahrheit, die hinter den hübschen Architektur-Kulissen der Fachzeitschriften und Feuilletons aufscheint.

Das Publikum darf entscheiden

Und demnächst wird auch noch der renommierte "BDA-Preis" revolutioniert - jedenfalls in Bayern. Erstmalig soll im Januar außer der üblichen Architekten-Jury auch das Publikum einen Preis für gutes Bauen vergeben dürfen. Wer den Bund Deutscher Architekten kennt, der weiß, dass dieses Vorhaben an einem bislang radikal ausgelebten Credo der Architekten rüttelt: an der Überzeugung, dass Kinder den Mund halten sollen.

Man kann den Architekten nur Glück wünschen - und sie in der Realität begrüßen.

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